Wie wichtig Familie und wie eng damit das Glück der Kinder verbunden ist, beschreibt eine Mutter von zwei Kindern. Das eine ist 7 Jahre alt und in der ersten Klasse, das andere ist 4 Jahre alt und halbtags im Kindergarten. Auf die Einladung ihrer Nachbarin, einer Therapeutin, zu einer Ernte-Aktion auf einem Bauernhof schreibt sie folgenden Brief:
Liebe Frau Müller!*
Die Möglichkeit, beim Ernten mitzuhelfen, finde ich so schön, gerade auch für die Kinder. Und zugleich ist es so, dass die Kinder so froh sind, wenn sie mittags einfach zu Hause sind und hier sein und spielen können. Ich erlebe es sehr eindrücklich, wieviel Kraft so ein Vormittag in Schule und Kindergarten zu kosten scheint, wie viel „sich halten“, sich zurücknehmen, Eindrücke aufnehmen und verarbeiten es bedeutet – und wie erleichternd dann das loslassen-dürfen zu Hause ist.
Bezüglich der Angebote dieses Bauernhofes und all der anderen schönen Möglichkeiten, die es gibt, erlebe ich es so, dass die Kinder oft einfach gar nicht mehr wegwollen, ganz egal, wie „schön“ es klingt, was ich ihnen erzähle. In der Dämmerung warm eingepackt hier im Umfeld auf den ruhigen Straßen, vorbei an den Gärten oder durch den benachbarten Wald zu bummeln – das lieben sie. Und das mag ich auch, weil ich nicht ein weiteres Mal ins Auto einsteigen muss, nicht schon wieder „von zu Hause wegmuss“. Ich vermute, so ähnlich ist das Erleben der Kinder.
Diese Zerrissenheit zwischen all den Orten, zwischen denen wir uns/ sie sich bewegen … ich empfinde das oft sehr stark als „Zerrissen“, als losgelöst und zusammenhanglos. Wenn wir nachmittags hier zu Hause sind, alle beisammen, ohne Pläne und Termine, dann fühlt sich das sinnhaft an, dann entsteht so viel Schönes, und die Kinder sind immer, wirklich immer zufrieden und ganz im Spiel. Dadurch, dass ich das so erlebe, lasse ich noch mehr los von dem Gedanken, dass es ja doch schön wäre, dieses oder jenes zu tun. Es gibt nichts zu verpassen.
Was ich in der Schule erlebe, ist ganz ähnlich wie im Kindergarten. Alle Kinder gehen in den Hort oder die Kernzeit. Ich bin die Einzige, die ihr Kind nach dem Unterricht abholt. Ich erlebe, wie die Kinder über Bauchschmerzen klagen, wie sie weinen. Die Eltern verstehen nicht, was los ist und schleifen die Kinder zum Arzt – sie suchen Lösungen im Außen.
Als Mensch, als Kind in dieser „Welt“, ganz konkret hier in unserer Welt zu bestehen, scheint so herausfordernd – und doch machbar, wenn wir uns treu sind und unsere Werte friedlich in die Welt tragen und an unsere Kinder weitergeben – so hoffe ich.
Liebe Grüße
Alice*
* Anmerkung der Redaktion: Der Name wurde geändert.
Die Therapeutin berichtet über diese Familie: Beide Kinder wurden, bis sie mindestens 3 Jahre alt waren, zu Hause betreut und waren dann halbtags im Kindergarten. Wenn es die Kinder brauchten oder etwas erkältet waren, gab es Pausentage zu Hause.
Die Mutter ist Akademikerin und hatte ursprünglich vor, ihren Beruf wenigstens halbtags nach der Elternzeit fortzuführen. Nachdem aber ihr erstes Kind auf der Welt war, hat sie gespürt, wie wichtig diese intensive, gemeinsame Zeit mit ihrem Kind war, wie wichtig gerade sie war für dieses kleine Wesen, das ihr so rückhaltlos vertraute und sich von ihr am besten trösten ließ. Und sie ahnte schon im Vorfeld, dass sie im Falle eines Wiedereinstiegs in ihren Beruf, wenn auch nur halbtags, zwischen ihren beruflichen und mütterlichen Aufgaben zerrissen werden würde.
Auch wenn es ihr immer wieder schwerfiel, auf ihren Beruf einige Jahre zu verzichten, bestätigt sich nun ihre Entscheidung immer mehr, wenn sie die Entwicklung ihrer beiden zufriedenen, ausgeglichenen Kinder wahrnimmt. Sie bekommt im sozialen Umfeld, von Kindergarten und Schule nur positive Rückmeldungen über ihre Kinder.
Auch an ihrem Familienleben erfreut sie sich, wo sich selbst Konflikte konstruktiv und meist friedlich lösen lassen, wo sich alle wohlfühlen und gerne beieinander sind. Immer mehr kann jeder auch seinen eigenen Interessen in ruhiger Atmosphäre nachgehen und bei Bedarf um Beistand bitten. Auch innerhalb der Familie gibt es so immer mehr Freiräume.
Inzwischen hat diese Mutter beruflich eine für sie erfüllende Aufgabe gefunden, die sie selbstständig ausführt. So kann sie auch immer etwas mehr anderen Interessen und Aktivitäten nachgehen, die sich gut mit ihrer Familie und ihren schon etwas älteren, stabilen Kindern gut vereinbaren lassen.
Sie ist davon überzeugt: Es hat sich gelohnt – vor allem, wenn sie beobachtet, wie es häufig in anderen Familien zugeht, welche die heute übliche und propagierte viel zu frühe und teils umfangreiche „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ gewählt haben: Wie tendenziell alle unter Stress stehen, Kinder wie Eltern, und wie unerfreulich und konflikthaft das Leben in diesen Familien oft aussieht: Wie die genervten Eltern oft aufatmen, sobald sie ihre „anstrengenden“ Kinder wieder in der Betreuung untergebracht haben. Sie sind daher tendenziell bemüht, ihre Kinder möglichst viel in Betreuung zu geben, nichtsahnend, dass sie hier in einem Teufelskreis gefangen sind. Denn dadurch werden die Kinder meist noch mehr überfordert, sie können im Trubel der Gruppenbetreuung immer weniger zur Ruhe und zu sich selbst kommen. Und die Beziehung zwischen den Eltern und den Kindern wird weiter beeinträchtigt. Denn Beziehung braucht Zeit.