Mein Kind ist nicht wie ich und doch genau richtig - Foto iStock © filadendronIch bin definitiv ein sehr extrovertierter Mensch und meine Kinder mussten ziemlich groß oder alt werden, bis auch mir dämmerte, dass nicht alle drei Kinder im gleichen Masse extrovertiert sind wie ich. Als extrovertierter und beziehungsliebender Mensch habe ich meine Familie ganz bestimmt stark in diese Richtung geprägt. Das hat sicher seine guten Seiten, hat aber auch mit sich gebracht, dass sich das eine oder andere Kind hier und da als „komisch“ oder sogar „falsch“ gesehen hat, weil es sich in dieser Art Familienleben nicht zu jedem Zeitpunkt wohl gefühlt hat.

Kinder einfach anders und doch genau richtig

Ein gutes Beispiel gibt der frühe Abend ab. Einer nach dem anderen trudelte nach Schule oder Arbeit zu Hause ein. Als Mama war es mir immer wichtig, in diesem Moment präsent zu sein, Interesse und Gesprächsbereitschaft zu zeigen. Dass es Kinder, bzw. Jugendliche gibt, die in diesem Moment vom nach Hause kommen an kein Gespräch, sondern erst mal Ruhe und Alleinsein bräuchten, auf diese Idee kam ich schlicht und einfach nicht. Als Kind und auch noch als Jugendliche fand ich es ganz schlimm, wenn ich nach Hause kam und niemand da war, der einem zuhörte, wenn ich vom Tag erzählen wollte. Das kam so ungefähr dreimal im Jahr vor und selbst dann war die Großmutter nebenan jederzeit für ein Schwätzchen bereit. Ich kann mich also nicht beklagen.

In dieser Sache schloss ich unbewusst von mir auf andere. Ich nahm einfach an, dass jedes meiner Kinder dieses Bedürfnis hat. Und wenn ein Kind dann mehr oder weniger vehement seine Grenzen setzen und sich zurückziehen wollte, zeigte ich dafür leider wenig Verständnis.

Gleichzeitig litt ich für meine Kinder, wenn sie denn doch mal allein sein mussten. Bis mir eines Tages ein Kronleuchter aufging und ich begriff, dass es Menschen in unserer Familie gibt, die ganz gerne mal allein sind. Es soll ja tatsächlich Menschen geben, die sich nicht einsam und verlassen fühlen, wenn sie mal einen Abend oder auch länger alleine zu Hause sind. 😉

Als Mutter nicht perfekt, aber auf einem guten Weg

Ich wünschte, diese Erkenntnis hätte ich früher gehabt. Ich hätte wohl manchen Konflikt und bestimmt auch Verletzungen vermeiden können, wenn ich mir früher bewusst gemacht hätte, dass jedes Kind auch in diesem Bereich eine ganz eigene Persönlichkeit entwickelt.

Eigentlich wäre es ja nicht so schwierig gewesen. Wenn man unter einem Dach wohnt, gibt es ja sicher die eine oder andere Möglichkeit, den anderen einfach zu fragen:

„Wie ist das für dich?“ oder auch „Was brauchst du gerade?“

Solche Fragen sind eine gute Möglichkeit für unsere Kinder über sich selbst nachzudenken und sich zu fragen:

„Ja, was brauche ich denn gerade?“

Sie helfen ihnen ihre eigene Persönlichkeit zu entdecken und ihre Bedürfnisse in Worte zu fassen. Als Eltern könnten wir auch die Chance nutzen, uns selbst zu hinterfragen:

„In welchen Situationen gehe ich davon aus, dass mein Kind das gleiche braucht wie ich?“ aber auch „Was bräuchte ich denn, wo werden vielleicht auch meine Grenzen oft überschritten?“

Und solange wir noch Klein- oder Schulkinder haben, ist es sicher noch eine Weile an uns Eltern, die Bedürfnisse der Kinder zu „lesen“. Das bedeutet, dass wir aufmerksam sind und versuchen zu erkennen, was sie wirklich brauchen. Und dann dürfen wir dafür sorgen, dass ihre wahren Bedürfnisse gestillt werden und sie so Raum zum Reifen und Wachsen haben.

Das werden wir nicht immer perfekt machen, aber immer öfter 😉

Ihre Angela Indermaur

Ein Beitrag aus unserer Kolumne:

Menschen(s)kinder


Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In einer regelmäßig erscheinenden 14-tägigen Kolumne geht unsere Kolumnistin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?