Wie fühlte sich wohl Willy, der Sohn des Krämers, in der Fernsehserie Unsere kleine Farm, als er dort in der Ecke stand, und sich schämen musste? Wie fühlen sich wohl allgemein Kinder, die von ihren Eltern wegen Fehlverhaltens beschämt werden?
Beschämung hat auch etwas mit Bloßstellung und Demütigung zu tun. Willy war da auf jeden Fall bloßgestellt. Alle wussten, dass er etwas Dummes getan hatte, und alle konnten ihn sehen, wie er dastand.
Doch selbst dann, wenn es nicht im öffentlichen Bereich passiert, ist Beschämung ein sehr starkes Instrument, um dem Kind zu zeigen, dass sein Verhalten für uns nicht in Ordnung ist.
Wenn wir z. B. sagen: „Schäm dich!“, sagen wir im Grunde genommen:
Deine (starken) Gefühle sind falsch oder unangebracht.
Dein Verhalten ist falsch oder unangebracht.
Wenn du dich so verhältst, stehe ich nicht auf deiner Seite.
Wenn du dich so verhältst, werde ich zu deinem Gegner.
Wenn du dich so verhältst, bist du nicht angenommen.
Wie sich ein Kind fühlt, dem solche und ähnliche Dinge durch den Kopf gehen, das ist unschwer auszumalen. Vielleicht könnte man es zusammenfassen mit „ich bin nicht okay, so wie ich bin“ oder auch „ich bin falsch, nicht liebenswert und stehe alleine da“. Nicht gerade das, was ein Kind hören sollte …
Dabei sollte uns bewusst sein, dass wir all das ja nicht zu einem regulierten Kind, welches voll in seiner Komfortzone ist, sagen. Ein Kind, dass sich „daneben“ benimmt, ist in der Regel ein Kind in Not. Und ein Kind in Not braucht jemanden, der für es eintritt, ihm zur Seite steht und das Gefühl gibt, dass es bedingungslos angenommen und geliebt wird. Es braucht keine Beschämung. Das Fehlverhalten ansprechen, kann man selbstverständlich später noch, wenn alle wieder geerdet und zufrieden sind.
Zum Glück sind sich immer mehr Eltern bewusst, was ein „schäm dich“ bedeuten kann. Trotzdem kann es in aufgeheizten Situationen doch mal rausrutschen. Ein gut gebundenes Kind kann das auch mal vertragen. Vor allem dann, wenn man es später in den Arm nimmt und ihm erklärt, was da gerade passiert ist, und dass man etwas gesagt hat, was man eigentlich nicht sagen wollte …
Und auch hier noch einmal ein Wegweiser: Wenn wir ein Kind in Not vor uns haben, sollten wir uns immer einen Moment Zeit nehmen, zu überlegen, was das Kind gerade braucht. Oder auch, was der Grund für sein „Fehlverhalten“ und für seinen Frust sein könnte.
Ihre Angela Indermaur
Ein Beitrag aus unserer Kolumne:
Menschen(s)kinder
Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In unserer Kolumne geht die zert. Neufeld-Kursleiterin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?