„Jaaa, ich komme gleich“- sagt’s und spielt weiter.
Welche Mama oder welcher Papa kennt es nicht: Man schreit kurz vor dem Abendessen einmal quer durchs Haus:
„Aufräumen, Hände waschen, Eeeeessen!“
Bei uns kam darauf jahrelang die Standart-Antwort „Jaaa, gleich!“ Und dann passierte … NICHTS.
Ach, was war ich in solchen und ähnlichen Situationen genervt und oft habe ich mich gefragt: „Spreche ich denn eigentlich mit der Wand, oder was!?“
Der Bindungstanz
Aus Sicht eines (Klein-)Kindes sieht der gleiche Vorgang natürlich ganz anders aus: Da sitzt man gemütlich im Zimmer, baut gerade an dem genialsten Hochhaus der Menschheitsgeschichte und mittendrin ruft Mama zum Essen, was man auch ganz kurz wahrnimmt. „Nur noch schnell ein paar Steine draufsetzen“, mag das Kind denken und antwortet, um die Mama zu beruhigen: „Jaaa, gleich!“
Doch oh weh, nach 2, 3 Steinen ist das Essen längst wieder vergessen und das Kind in sein Bauwerk völlig versunken. Umso überraschter, wenn nicht gar schockierter ist das Kind, wenn die Mama ein paar Minuten später genervt im Zimmer steht und eine sofortige Spielunterbrechung verlangt. Den Rest des Dramas können wir uns denken …
Wenn wir die Situation aus Sicht des Kindes betrachten, stellen wir wahrscheinlich fest, dass das Kind es in den meisten Fällen nicht böse meint, wenn es unserer Aufforderung nicht sofort Folge leistet und diese dann gleich wieder vergisst.
Kleine Kinder (unter 7 Jahren) können nur eine Sache gleichzeitig bedenken und präsent haben.
Und auch bei größeren Kindern passiert das noch hin und wieder. Je sensibler ein Kind ist oder je emotionaler eine Sache ist, desto höher ist die Chance, dass es nicht zwei Dinge gleichzeitig abwägen kann. Dies erklärt, dass Kinder, die gerade mitten im Spiel sind, eine Aufforderung unsererseits zwar hören, aber ganz schnell auch wieder „vergessen“.
Ich denke, wir alle merken, ob dieser entwicklungspsychologischen Einsicht, dass Strafen hier nicht angebracht und wohl auch nicht wirksam wären. Ein Kind für etwas zu bestrafen, was es aufgrund seiner Hirnreifung noch nicht leisten kann, macht schlicht keinen Sinn.
Was aber können wir tun?
Bindung vor Weisung
So lautet die verblüffend einfach erscheinende Lösung: „Bindung vor Weisung“ und meint:
- Aktiviere die Bindung zwischen Deinem Kind und Dir, bevor Du irgendeine Anweisung oder Aufforderung aussprichst.
- Lenke die kindliche Aufmerksamkeit kurz vom Spiel weg auf Dich selbst, in dem Du vielleicht Deine Hand auf seine Schulter legst und Augenkontakt suchst.
- Begib Dich kurz in die Welt des Kindes: „Oh, was für ein wunderschönes Hochhaus Du baust! Kommst Du voran?“ Und „sammle“ ein Nicken und Lächeln Deines Kindes ein.
- Und dann ist damit die Bühne für Deine Anweisung bereitet!
„Bindung vor Weisung“ bedeutet auch, dass man unter Umständen sich 3, 4 Minuten Zeit nehmen muss und sich in die Nähe des Kindes begeben muss, statt durch das Haus zu rufen. Doch wenn das Kind danach unserer Aufforderung nachkommt und wir nicht nachhaken oder gar schimpfen müssen, holen wir die paar Minuten locker wieder ein.
Ob es mir immer gelungen ist, die Bindung zu aktivieren, bevor ich eine Weisung ausgesprochen habe? Nein, ganz bestimmt nicht. 😉 Aber immer, wenn es mir gelang, war ich über die Wirkung überrascht und so kann ich es nur empfehlen!
Just do it! Ihre Angela Indermaur
Ein Beitrag aus unserer Kolumne:
Menschen(s)kinder
Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In unserer Kolumne geht die zert. Neufeld-Kursleiterin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?