Der sichere Hafen - Foto piqselsUnsere Campingreisen durch skandinavische Länder bringen immer mal wieder kleinere und größere Überfahrten mit Fähren mit sich. Vor einigen Jahren wollten wir spätabends noch von Dänemark nach Deutschland übersetzen, trotz kräftigem Wind – so drückte sich mein Mann aus – bzw. heftigem Sturm – so sah ich es. »Sturmböen von Orkanstärke«, so stand es am anderen Tag in der Zeitung, erlebten wir, und ich erlebte zum ersten Mal am eigenen Leib, wie es sich anfühlt, nach einem Sturm in den sicheren Hafen einzufahren.

Die Wellen gingen hoch, aufgestapelte Stühle wurden auf der Terrasse wie Legosteine hin- und hergeschoben und von unseren Getränken landete mehr auf dem Tisch und Boden als in unserem Mund. Unsere 3 Kinder fanden das Ganze ziemlich lustig, ganz im Gegensatz zu mir. Die Angst kroch in mir hoch, Panik im Nacken… Doch ich wusste ganz genau, wenn ich Angst zeige, ist es auch mit der guten Laune unserer Kinder vorbei. So riss ich mich zusammen und sehnte die deutsche Küste herbei wie noch nie. Und dann, nach gefühlten Stunden, in Wirklichkeit waren es 45 Minuten, fuhren wir in den SICHEREN Hafen ein. Das Schiff kam zur Ruhe und ich auch. In mir machte sich das Gefühl von »nach Hause kommen« und Sicherheit breit.

Wir können unsere Kinder nicht immer verschonen von den Stürmen und rauen Winden des Lebens. Aber wir können für sie so ein sicherer Hafen sein. Ein Ort, wo sie zur Ruhe kommen können, wo sich der Herzschlag beruhigen kann und sich das Gefühl von »nach Hause kommen« ausbreiten kann.

Mitten im Sturm heißt es oft, sich zusammennehmen, durchzuhalten. Im sicheren Hafen können die Gefühle zurückkommen, Tränen können geweint werden, Herzen dürfen, sollen weich werden.

Und das ist für mich die Essenz des sicheren Hafens: ein Ort, wo man verletzlich sein darf, ein Ort, wo man mit allen Emotionen angenommen wird. An diesem Ort erwächst die Resilienz, die wir und unsere Kinder so dringend brauchen, um auf den Meeren des Lebens bestehen zu können.

Ihre Angela Indermaur

Ein Beitrag aus unserer Kolumne:

Menschen(s)kinder


Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In einer regelmäßig erscheinenden 14-tägigen Kolumne geht unsere Kolumnistin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?