Gemischte Gefühle - Foto iStock © lostinbidsSchon steht sie wieder vor der Tür, die Adventszeit und damit auch die Zeit der Adventskalender. Als junge Mutter konnte ich es kaum erwarten, mein Kleinkind mit einem glitzernden und funkelndem Adventskalender voller kleiner Überraschungen zu beglücken. Jeden Tag ein kleines Päckchen, und wenn alle Päckchen weg sind, dann ist Weihnachten! So meine gutgemeinte Botschaft. Nie hätte ich damit gerechnet, auf wieviel Unverständnis ich damit stoßen würde … Dass mein Kind sich ja noch gar nicht ein Jahr zurück erinnern kann, und somit nur eine vage Vorstellung davon hat, was „Weihnachten“ denn eigentlich bedeutet, hatte ich nicht bedacht. Und auch nicht, dass es für ein Kleinkind nicht nachvollziehbar ist, warum man immer nur ein Päckchen öffnen darf, wenn doch so viele da sind …

Was mich damals mit Staunen erfüllte, ist mir heute völlig klar:

Kinder unter 5 – 7 Jahren haben noch keine gemischten Gefühle, und sind deshalb auch noch nicht in der Lage, zwei oder mehrere Dinge gleichzeitig zu berücksichtigen.

Das Prinzip des Adventskalenders wäre ja, jeden Tag ein Päckchen zu öffnen, damit es exakt bis Weihnachten reicht. Aber dieses „damit“ ist für ein Kleinkind noch nicht relevant. Es kann nicht heute ein Opfer bringen, um später ein Ziel zu erreichen. Ein Kleinkind lebt im Hier und Jetzt, und da sieht es die vielen, vielen Päckchen und würde alle öffnen, wenn wir sie nicht davon abhalten würden.

Dies ist mir zum Glück immer gelungen, indem ich den Adventskalender außer Reichweite meines Kindes aufgehängt habe. Die Diskussionen und gefühlten hundert Mal am Tag, wo es fragte, ob nun „morgen“ sei und es wieder ein Päckchen öffnen könne, habe ich mir damit nicht erspart. Auf jeden Fall war ich ganz schön froh, als das Ziel „Weihnachten“ endlich erreicht war.

Rückblickend muss ich sagen, für mein Kind hätte es damals bestimmt noch lange keinen Adventskalender gebraucht, um die Zeit bis Weihnachten zu verkürzen. Natürlich haben auch schon Kleinkinder ihren Spaß an den täglichen Überraschungen. Sie brauchen meist einfach noch unsere Hilfe, wenn es darum geht, dass man nur ein Päckchen jeden Tag öffnet. Die Zeit, wo das Kind wirklich verstand, um was es ging, kam – wie kann es anders sein – mit dem Einsetzen der gemischten Gefühle. Also zwischen 5 und 7 Jahren. Seither hat sich die Tradition des Adventskalenders etabliert und noch immer haben wir jedes Jahr viel Spaß damit. Bei meinen nächsten Kindern oder auch bei den Patenkindern habe ich etwas länger mit dem ersten Adventskalender gewartet. Denn ich bin ja schon groß und kann warten.

Ihre Angela Indermaur

Ein Beitrag aus unserer Kolumne:

Menschen(s)kinder


Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In einer regelmäßig erscheinenden 14-tägigen Kolumne geht unsere Kolumnistin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?