„… und dann ging das Pipi einfach in die Hose. Alles war nass, was habe ich mich geärgert, und alle um uns herum haben auch noch so dumm zugeguckt…“ Eine Mama erzählt einer anderen Mama vom „Missgeschick“ ihrer 5-jährigen Tochter. Sie rollte theatralisch mit den Augen und beide lachen jetzt im Nachhinein über die Situation.
Was den beiden Mamas im Moment nicht bewusst ist: Die 5-jährige Tochter sitzt auf dem Rücksitz des Autos und hört ein Hörspiel. Sie bekommt aber sehr wohl mit, was vorne läuft. Und aus ihrer Sicht macht sich ihre Mama gerade lustig über sie und das Missgeschick, was ihr kürzlich passiert ist.
Als Erziehungsberaterin komme ich immer wieder in die Situation, dass Eltern mir Storys von ihren Kids erzählen, währenddem die Kids in Hörweite sind. Oft unterbreche ich dann kurz und lade zum Reflektieren ein: „Denkst du, es ist für dein Kind ok, wenn du mir das jetzt (in seiner Gegenwart) erzählst?“ oder auch nur: “Ist dir bewusst, dass deine Kleine das jetzt mithört?“
Ja, manchmal ist es okay für die Kinder. Dies vor allem dann, wenn sie gefragt werden, oder in die Erzählung miteinbezogen werden. Kinder spüren auch, mit welcher Haltung eine Story erzählt wird. Erzählt die Mama voller Stolz von mir? Oder geht es mehr darum, dass sie ihrer eigenen Frustration Luft machen kann?
Kindern mit Würde begegnen
Der Unterschied, so glaube ich, liegt darin, ob sich das Kind in so einer Situation in seiner Würde verletzt fühlt. Niemand von uns mag es, wenn andere sich über uns lustig machen, uns entwürdigen, herabsetzen oder eben beschämen. Und auch unsere Kinder mögen das nicht. Und dabei geht es auch nicht so sehr darum, ob wir das wollten oder nicht, oder wie wir eine Situation einschätzen, sondern vielmehr ist es entscheidend, wie es sich für das einzelne Kind anfühlt. So kann das eine Kind über eine Situation mitlachen, während das andere sich tief verletzt und beschämt fühlt.
Diese starken Emotionen können Kinder meist nicht als solche ausdrücken und benennen. Was als Erstes an die Oberfläche kommt und sichtbar wird ist oftmals der damit verbundene Frust. Das betroffene Kind wird wütend, aggressiv, frech oder zieht sich zurück und wird ablehnend und verschlossen.
Sehen wir dann nur diese Verhaltensweisen und reagieren darauf mit Strenge und sogar Strafen… ja, dann haben wir die berühmte Sauce.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir bei einem Kind, dass sich „danebenbenimmt“, auch immer das frustrierte Kind sehen und uns fragen, was gerade passiert ist und was für das Kind gerade frustrierend (= etwas funktioniert nicht) sein könnte.
Und noch besser wäre es natürlich, wenn wir alle sensibel mit den Gefühlen unserer Kinder umgehen und darauf achten, was wir in ihrer Gegenwart über sie sagen und was besser nicht.
Ihre Angela Indermaur
Ein Beitrag aus unserer Kolumne:
Menschen(s)kinder
Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In unserer Kolumne geht die zert. Neufeld-Kursleiterin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?