Belohnen und Bestrafen - Fotolia © PulweyBeim Zurückschauen liegt ein langer Weg hinter uns als Familie mit inzwischen drei Jugendlichen. Ein Weg, der oft sehr schön, manchmal aber auch ziemlich steinig war. Es gibt so einiges, was ich heute anders machen würde. So etwa die Sache mit dem Belohnungs- und Bestrafungssystem.

Kann ein Belohnungs- und Bestrafungssystem Berge versetzen?

Über längere Zeit hinweg hing bei uns beim Esstisch ein Plan mit kleinen Sonnen und Wölkchen, ja sogar Regentropfen fand man darauf. Je nach Benehmen am Tisch bekamen die Kinder nach dem Essen eine Sonne, eine Wolke oder eben ein paar Regentropfen zum Aufkleben. Was damit geschah, weiß ich nicht mehr, ich vermute mal, für 10 Sonnen oder so gab es eine Belohnung.

Selbstverständlich gab es nach jedem Essen eine Diskussion, wer denn nun was verdient hat. Und nicht selten hörte man uns Eltern schon während dem Essen sagen: „Pass auf, wenn du nicht aufhörst, gibt’s dann Regentropfen!“

Ich weiß, die Mahlzeiten mit drei kleinen Kindern können einen als Eltern herausfordern. Ich denke da zum Beispiel an Kindergarten- und Schulkinder, die den Frust vom Vormittag direkt an den Mittagstisch mitbringen. Oder an Kleinkinder, die bereits reif für den Mittagsschlaf sind und quengelnd im Triptrap sitzen. Und ich denke an die Kombination von beidem.😉

Gibt es wirkungsvolle Erziehungs-Alternativen?

Heute bin ich der Überzeugung, dass Belohnungs- und Bestrafungssysteme, auch wenn sie noch so herzig aussehen, nicht der beste Weg zum friedlichen Miteinander bei Tisch sind.

Ich habe gelernt, dass die Fähigkeit der Kinder zur Kooperation beschränkt ist. Nach einem langen Morgen außer Haus, wenn sie müde und hungrig sind, kann man davon ausgehen, dass die Kooperations-Fähigkeit gerade ausgeschöpft ist.

Von Gordon Neufeld, Entwicklungspsychologe, weiß ich:

Kinder ab etwa 2-3 Jahren wollen es uns sehr wohl recht machen. Die Bindungswurzel der Zugehörigkeit und Loyalität bewirkt im Kind den Wunsch, uns zu gefallen.

Das bedeutet also, dass gut gebundene Kinder es uns grundsätzlich recht machen wollen, dass sie es aber nicht immer können, weil sie eben noch Kinder sind und ihre Fähigkeit zur Kooperation beschränkt ist. Je mehr die Kinder reifen und sich entwickeln, desto mehr ist hier möglich. Ein Kind für etwas zu bestrafen, das es nicht kann, und sei es auch nur mit einem Wölkchen zum Aufkleben, empfinde ich nicht als guten Weg.

Heute würde ich einige Dinge anders machen:

  • Ich würde den Traum vom Mittagessen mit allen und dann Mittagsruhe (auch mit allen) aufgegeben und würde dem Kleinkind bei Bedarf auch schon um 11 Mittagessen gegeben und es dann Schlafen legen. (Das geht ja nicht 20 Jahre lang so 😉)
  • Ich würde darauf achten, dass Kindergarten- und Schulkinder gleich etwas zum Knabbern in die Hand bekommen, wenn sie zur Tür reinkommen. Dies habe ich sogar damals schon mit Erfolg ausprobiert.
  • Und zu guter Letzt: Je mehr ich das SPIEL entdeckt habe, desto mehr konnten wir auch Situationen, die „zu kippen“ drohten entschärfen. Den Kindern die Möglichkeit geben, vor dem Essen ihre Emotionen auszudrücken und Frust loszuwerden, z. B. durch Trampolin springen, kann enorm zu einem friedlichen Klima am Tisch beitragen. Auch kann man durch Blödeln, Witze, Grimassen und sprechende Stofftiere manch einen Konflikt entschärfen. Funktioniert übrigens auch bei großen Kindern und überhaupt in jedem Alter! 🙂

Ihre Angela Indermaur

Ein Beitrag aus unserer Kolumne:

Menschen(s)kinder


Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In einer regelmäßig erscheinenden 14-tägigen Kolumne geht unsere Kolumnistin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?