Eine scheinbar alltägliche Szene
„Leonie, kommst du endlich raus?“
„Leonie, jetzt kommt endlich, wir müssen gehen!“
„Leonie, wenn du jetzt nicht kommst, dann …“
Leonie ignorierte all diese Ansagen ihrer Mutter und ließ sich gemütlich weiter auf ihrem Schwimmring durchs warme Wasser des Mineralbades gleiten. Zuerst dachte ich allerdings, sie höre ihre Mama, die am Beckenrand in einer Entfernung stand, gar nicht. So schwamm ich zu dem kleinen Mädchen hin und sagte freundlich: „Hey, deine Mama möchte dir etwas sagen!“ Klein-Leonie grinste belustigt, drehte sich weg und weiter ging das gemütliche Treiben.
Die Machtlosigkeit der Eltern
Die Mama wurde immer verzweifelter und tat mir irgendwie leid. Einerseits. Andererseits schüttelte ich innerlich meinen Kopf. Wie konnte sie nur so lange in dieser Machtlosigkeit verbleiben?
Das Spielchen dauerte noch einige weitere Minuten, bis Leonie sich dann ihrer Mama erbarmte und sich zum Ausgang hinbewegte. Dort wurde sie von einer sichtlich erleichterten Mama mit dem Handtuch in der Hand empfangen. Und natürlich folgte auch der Satz „Du Leonie, so gehen wir nicht mehr ins Hallenbad, wenn du nicht folgen kannst!“
Ob jene Mama nun ihre „Drohung“ wahr macht, weiß ich natürlich nicht. Die Ruhe, mit der Leonie im Wasser verharrte, lässt mich aber vermuten, dass sich diese Situation nicht zum ersten Mal so oder ähnlich abspielte.
Kinder brauchen Führung und Orientierung
Und genau hier liegt das Problem. Wenn Kinder uns immer wieder so „machtlos“ erleben, erscheinen wir in ihren Augen mehr und mehr schwach. Im schlimmsten Fall entsteht das Gefühl im Kind, dass wir nicht in der Lage sind, zu führen und Orientierung, Schutz, etc. zu geben. Das verleitet Kinder dazu, selbst in die Führungsposition zu gehen, denn das ist weniger verletzlich, als sich jemandem anzuschließen, der als zu schwach für diese Position erscheint.
Wie wir solche Situationen vermeiden können
Wenn wir uns gar nicht in solche Situationen begeben oder wir nicht in der Machtlosigkeit verharren, können wir sie verhindern. In der Hallendbad-Situation hätte das bedeutet, dass die Mama ihr Kind gleich mit aus dem Wasser nimmt, oder dass sie wohl oder übel noch einmal ins Wasser steigt und aktiv dafür sorgt, dass ihrer Aufforderung Folge geleistet wird. Dies müsste nicht einmal feindlich geschehen. Mir fallen da diverse Ideen ein, wie man das Kind auch spielerisch aus dem Wasser fischen könnte, vielleicht sogar, ohne selbst noch einmal nass zu werden. 😉
Für ältere Kinder: Absprachen und gute Absichten
Mit älteren Kindern, die schon gemischte Gefühle haben (bei unserer Leonie war das definitiv nicht der Fall) könnte man natürlich auch im Vorfeld Absprachen treffen, wie man das Rausgehen gestaltet. Man könnte gute Absichten wecken, im Wissen, dass auch diese nicht immer einen reibungslosen Ablauf garantieren. Es ist ja auch zu gemütlich im warmen Wasser eines Mineralbades … Das verstehen wir doch alle, oder? 😊
Ihre Angela Indermaur
Ein Beitrag aus unserer Kolumne:
Menschen(s)kinder
Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In unserer Kolumne geht die zert. Neufeld-Kursleiterin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?