Wer hat Schuld - iStock © RuslanDashinsky

„Du hast dem Max sehr weh getan, nun musst du aber Entschuldigung sagen.“ So ähnlich klingt es auf Spielplätzen und in Wohnzimmer landauf und landab.

Der Übeltäter presst dann oftmals das eingeforderte Wort zwischen den Zähnen hervor und die Sache ist erledigt. Doch ist sie das wirklich?

Und warum fordern wir das Wort „Entschuldigung“ ein? Wahrscheinlich wollen wir Eltern in diesem Moment dem Kind zeigen, dass es etwas falsch gemacht hat und dass es das in Ordnung bringen muss.

Doch bringt ein erzwungenes „Entschuldigung“ eine Übeltat wirklich in Ordnung?

Eigentlich wäre es doch viel schöner, wenn ein Kind wirkliche Reue über eine Tat verspüren würde und wenn es für sich die Entscheidung treffen würde, das nicht mehr zu tun.

Natürlich, diese Gedankengänge sind viel verlangt für ein Kind. In der Tat sind solche Einsichten erst möglich, wenn das Kind gemischte Gefühle entwickelt hat, also zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr. Vorher, also im Kleinkindalter kann man aber im Kind nach einer „Tat“ die Fürsorglichkeit für das andere Kind wecken. Etwa so: „Oh schau, jetzt muss der Max weinen, weil du ihm weh getan hast. Komm, hilfst du mir ihn zu trösten? Holst du bitte ein Taschentuch?“

Sehr oft sind Kinder dann mit Eifer dabei und trösten das andere Kind hingebungsvoll. Und das ist doch viel mehr Wert als ein erzwungenes „Entschuldigung“ oder?

Entschuldigung – eine Frage der Schuldzuweisung?

Selbstverständlich gibt es noch einen anderen Punkt, den wir auch nicht außer Acht lassen sollten: Sind wir überhaupt sicher, dass jenes Kind, das aus unserer Sicht der „Übeltäter“ war, auch wirklich die alleinige Schuld für das Vergehen trägt?

Ich werde nie vergessen, wie unser Sohn mit etwa 6 Jahren in einem Ausbruch der Verzweiflung weinend vor mir stand und schrie: „Immer bin ich schuld, wenn die Kleine weint. Aber sie kommt auch immer in mein Zimmer und geht nicht raus, wenn ich es ihr sage. Und wenn ich sie dann rausstoße, schimpft ihr mit mir!“

Da hatten wir als Eltern eine Lektion zu lernen. Wir begannen, weniger „Schiedsrichter“ zu spielen und weniger zu schimpfen. Viel mehr fragten wir, was los ist und auch, was die Kinder gerade brauchen, um weiter spielen zu können. Und dies erwies sich manchmal zwar als aufwändiger, aber auch als friedensstiftender und beziehungsfreundlicher und damit auch zielführender.

Ihre Angela Indermaur

Ein Beitrag aus unserer Kolumne:

Menschen(s)kinder


Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In einer regelmäßig erscheinenden 14-tägigen Kolumne geht unsere Kolumnistin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?