Baby Blues - Gefahr für Mutter und Kind - Foto Monkey Business © FotoliaEr ist häufiger als viele glauben und hat weitreichende Konsequenzen: die postpartale Depression, im Volksmund als „Baby Blues“ bekannt. Wenn Mütter gleich nach der Geburt „in ein Stimmungsloch fallen“ und Probleme haben, ihr Baby liebevoll anzunehmen, entwickeln sie oft Schuldgefühle und Versagensängste und versuchen, ihren Zustand zu vertuschen.

Eine US-Studie mit 10.000 teilnehmenden Müttern hat jetzt die Häufigkeit und Intensität der postpartalen depressiven Störung untersucht. In einem kritischen Gastbeitrag für „für Kinder“ stellt die Heilpädagogin, Familientherapeutin und Fachberaterin für Psychotraumatologie, Monika Reindl, die Studie vor:

Baby Blues gefährlich verharmlost oder maßlos überschätzt?

„Postpartale Depressive Störung (PPDS) gefährdet das Leben von Mutter und Kind“, so lautet der Tenor einer im März 2013 veröffentlichten Studie von Forschern des National Institute of Mental Health, die 10.000 Frauen kurz vor und nach der Geburt ihres Kindes mit einem Depressions-Screening untersuchten. 1.394, knapp 14 Prozent, dieser Frauen, zeigten postpartale depressive Störungen. 308 Frauen trugen sich sogar mit Selbstmordgedanken.  Zwei Prozent litten an einer schweren Wochenbettpsychose mit nachfolgender manischer Episode.

„Psychiatrische Anbindung und Psychopharmaka können das Leben von Mutter und Kind retten“, ist die Schlussfolgerung der amerikanischen Experten, die nun dafür plädieren, dass schwangere Frauen sich frühzeitig einer Gesundheitskontrolle mit zusätzlichem Depressions-Screening unterziehen sollten. Denn – so die Autoren der Studie – wenn schneller PPDS schneller erkannt würde, könnte eine „lebensrettende“ psychiatrische Anbindung und Gabe von Psychopharmaka rechtzeitig begonnen werden.

Gesunde Skepsis ist angebracht

Das Ergebnis der Studie und die Schlussfolgerungen erscheinen unnötig dramatisch zugespitzt. Zwar muss die PPDS durchaus ernst genommen und behandelt werden, aber der Anteil an Frauen, die mit wirklich schweren postpartalen depressiven Symptomen reagieren, ist mit zwei Prozent doch verhältnismäßig klein. Darüber hinaus erwecken die Autoren den Anschein, als sei die Psychopharmaka-Gabe das „A und O“ bei der Frage, was hilfreich sein kann beim Aufbau von Bindung zwischen Mutter und Kind.

Dass es Situationen gibt, in denen eine ergänzende Medikation sinnvoll erscheint, ist unbenommen, doch alleine auf Gesundheitskontrolle, psychiatrische Anbindung und Psychopharmaka zu setzen, greift gefährlich zu kurz bei dieser Bindungsthematik. Es sei auch erwähnt, dass parallel zu dieser Studie eine weitere Forschungsarbeit am selben Institut lief: „Die pharmakologische Bedeutung von Fluoxetine und Norfluoxetine (Psychopharmaka) bei postpartalen Depressionen“.

Baby Blues – eine ganz normale Reaktion

In Deutschland kennen wir den sogenannten Baby-Blues, der als eine normale Reaktion bei 40-50 Prozent aller Frauen 1-3 Tage nach Geburt einsetzt und sich etwa 2 Wochen danach in der Regel von selbst reguliert, wenn der Körper die hormonelle Umstellung bewältigt hat.

Es ist also wichtig, die Symptome des Baby-Blues von den postpartalen depressiven Störungen zu unterscheiden. Nur etwa zwei Prozent aller Frauen zeigen tatsächlich schwere postpartale depressive Störungen, und auch nur diese schwere Form der Wochenbettdepression ist im ICD, der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen, unter der Nummer F.53.1 eigenständig als „schwere Wochenbettdepression“ aufgeführt. 10 Prozent aller Frauen entwickeln leichtere Formen von PPD-Symptomen.

Die gegenwärtigen Beziehungen nehmen Einfluss

Hinweise zu dieser Annahme ergeben sich, wenn man sich die ungünstigen Faktoren ansieht, die eine postpartale depressive Störung befördern. So nehmen

  • Stress während der Schwangerschaft,
  • Partnerschaftsprobleme und Konflikte mit den eigenen Eltern,
  • und insbesondere zu geringe oder fehlende soziale Unterstützung,

nachweislich Einfluss auf Häufigkeit und Schwere von PPDS. Fehlende Sicherheit, Halt, Vertrauen und Unterstützung erschweren  den Aufbau sicherer Bindungen zwischen Mutter und Kind.

„Ich muss immer nur weinen und bin innerlich irgendwie so leer“

Wenn der als natürlich erlebte Prozess der wachsenden Bindung zwischen Mutter und Neugeborenem nicht wie erwartet gelingt, wenn

  • die Mutter sich traurig, „den Tränen nahe“ fühlt, „nur weinen möchte“,
  • sie sich hin- und hergerissen fühlt zwischen Liebe und Angst in ihrer Beziehung zu dem Kind,
  • sich kein mütterliches Interesse am Säugling einstellt,
  • sich möglicherweise auch bedrohliche und ängstigende Gefühle bezüglich des Kindes regen,
  • die Mutter sich unverbunden, isoliert, irgendwie innerlich leer fühlt,

stellen sich oft noch Scham- und Schuldgefühle darüber ein und der quälende, an sich selbst gerichtete Vorwurf: „warum gelingt mir das nicht?“

Die eigenen frühen Bindungserfahrungen sind bestimmend

Die Erfahrung der „Ent-Bindung“, wie der Geburtsvorgang auch genannt wird, kann in der Mutter frühe eigene Erfahrungen von „Unverbundenheit“ und eigener „Bindungs-Losigkeit“ oder „Bindungs-Unsicherheit“ auslösen. Das Fehlen des äußeren Haltes und das Erleben der inneren Angst lassen die Aufgabe einer sicheren Mutter-Kind-Bindung als unerfüllbar erscheinen.

Oft zeigt sich schon mit einigen einfühlsamen Gesprächen und genauem Hinhören auf das was die verunsicherte Mutter sagt  – oder auch nicht sagt -, was sie in ihrer jetzigen Situation am dringendsten benötigt, um in ersten Schritten mit ihren Ängsten umgehen zu können und den frühen „Dialog“ mit ihrem Kind aufzunehmen.

Wir brauchen „moderne Dörfer der Verbundenheit“

Eine Mutter in einer postpartalen Depression braucht nahe vertraute Menschen, ein wohlwollendes, haltendes und Sicherheit gebendes soziales Netz, indem sie sich angenommen fühlen kann, ohne Vorwürfe fürchten zu müssen. Deshalb ist die Einbindung der Mutter und des Kindes in einen verlässlichen, sicheren, familiären Verband von großer Bedeutung. Nahe Beziehungspersonen sollten unterstützend beteiligt werden, damit so Entlastung möglich wird und eine Trennung zwischen Mutter und Kind vermieden werden kann.

Wir wissen, dass wir heutzutage in den seltensten Fällen noch in intakten „Dörfern“ als Orte der familiären Verbundenheit leben. Deshalb müssen wir alternative soziale Netzwerke schaffen, mit denen wir das oft überlastete System der heutigen Kleinfamilie entlasten. Wir brauchen „moderne Dörfer“ der Verbundenheit, in denen wieder mehr wert-volle Nähe und ein bezogenes unterstützendes Miteinander gelebt werden kann.

Den tradierten „Beziehungs-Code“ erkennen und bearbeiten

Eine rasche Aufnahme einer Psychotherapie ist sinnvoll, weil  sie zu erster Stabilisierung führen kann, auf dem sich eine Mutter-Kind-Bindung mit Unterstützung sicher entwickeln kann.

Von großer Bedeutung ist das wachsende eigene Verständnis für Bindungsmuster aus der eigenen Kindheit. Darüber hinaus ist das Erleben neuer Beziehungserfahrungen innerhalb der Therapie von großer Wichtigkeit. Die Methode des „Generation-Code“ als weiterentwickelter familientherapeutischer Ansatz mit integrierten traumatherapeutischen Verfahren bietet diese Möglichkeit. Auf diese Weise kann der in uns eingeschlossene „Beziehungs-Code“, der auch vom Schicksal vergangener Generationen geprägt ist, aufgespürt und bearbeitet werden. Ein aktuelles Beispiel: Wie sehr immer noch das Trauma des 2. Weltkriegs Einfluss hat auf unser heutiges Bindungsverhalten, zeigt der aktuell laufende TV-Dreiteiler „Unsere Mütter, Unsere Väter.“

Um so wichtiger ist es, neue und korrektive Erfahrungen in der therapeutischen  Beziehungen zu schaffen und dadurch neue Wege zu eröffnen für ein verändertes, konstruktives Bindungsverhalten zum eigenen Kind, zum Partner, zu den eigenen Eltern, in sozialen Kontakten.

Abschließend kann gesagt werden, dass bei PPDS alle Lösungen Vorrang haben, die Bindung stärken und dazu beitragen, Trennungen zwischen Mutter und Kind zu vermeiden, weil das „das Rettende“ ist. Die Gabe von Psychopharmaka kann eine hilfreiche, aber niemals einzige und zu favorisierende Lösung bei PPDS sein. Denn das hieße: „das Kind mit dem Bade ausschütten.“

von Monika Reindl

Monika Reindl

Unsere Gastautorin: Monika Reindl

in eigener psychotherapeutischer Praxis mit Psychotherapie, Paartherapie, Supervision in Teams und für Einzelne, sowie mit Seminaren und auch lehrend an Heilpraktikerschulen tätig.

Links zum Thema

Katherine L. Wisner et al., Onset Timing, Thoughts of Self-harm, and Diagnoses in Postpartum Women With Screen-Positive Depression Findings, JAMA Psychiatry, März 2013 online vorab veröffentlicht