Kinderängste - Foto iStock © EKramarEines Abends, kurz vorm Einschlafen. Da sehe ich plötzlich ein Ungeheuer mit riesigen Ohren und langen Haaren in der Ecke des Zimmers stehen. Ich ziehe die Bettdecke bis zum Kinn hoch und halte die Zipfel fest in den Händen. Meine Gedanken rasen: Steht es noch da? Ganz vorsichtig lug‘ ich noch einmal hervor. Oh nein, es ist immer noch da … Mutig rufe ich so laut ich kann: „Mama!“ Sie kommt ganz schnell. Ich deute mit dem Finger in die Ecke und bleibe unter der Decke. Meine Mama ist mutig; entschlossen geht sie hin und vertreibt das Ungeheuer – alles wird gut. Jetzt kann ich endlich Ruhe finden und in den Schlaf gleiten …

Viele Menschen können von aufkommenden Ängsten in der Kindheit berichten: Angst vor großen Tieren, Gewitter oder verlassen zu werden; Angst, sich auf die Toilette zu setzen, in der Annahme, weggespült zu werden, sind nur einige davon. Gibt es Schlüsselmomente oder Zeitfenster in der Kindheit, in denen Kinder besonders empfänglich für Ängste sind? Und was benötigen ängstliche Kinder? Die Erziehungswissenschaftlerin Erika Butzmann beschreibt in dem folgenden fünfteiligen Beitrag die entwicklungsbedingten Hintergründe, die Kinder in den ersten sechs Lebensjahren immer wieder in Aufregung versetzen können.

von Redaktion fürKinder

Was das Angstempfinden von Kindern beeinflusst

Kinderängste - shutterstock © Aynur_sibDas Ausmaß und die Intensität des Angstempfindens bei Kindern sind von Anfang an und in erster Linie abhängig vom Temperament, das vererbt wird. Das bedeutet, Angsterleben in einem konkreten Fall ist bei einem Teil der Kinder sehr stark, bei den meisten normal ausgeprägt und einige empfinden gar keine Angst. Von diesen Unterschieden wussten die Menschen schon in früheren Zeiten, wie zum Beispiel das Anderson-Märchen „Die Prinzessin auf der Erbse“ zeigt. Denn eine hohe Empfindsamkeit geht oft mit einer erhöhten Angstbereitschaft einher. Ebenso zeigt das Grimms Märchen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“, dass es schon vor langer Zeit Menschen gab, die keine Angst hatten.

Bei Kindern mit temperamentbedingt starken Ängsten ist es hilfreich, wenn Eltern und Betreuungspersonen die besondere Art der Ängste erkennen und dem Kind helfen, Angst zu ertragen und den Umgang damit zu bewältigen. Dazu ist es grundsätzlich nur nötig, das Kind bei Ängsten immer auf den Arm oder den Schoß zu nehmen.

Über den Körperkontakt spürt das Kind, wie die Angst wieder verschwindet und mit der Zeit lernt es dabei, Angst ist etwas, was kommt und wieder vergeht.

Auf diese Weise kann es sich selbst beruhigen, weil es erfahren hat, dass Angst nur ein aktueller Zustand ist, der wieder verschwindet. Voraussetzung ist allerdings, dass die angstauslösenden Situationen nicht dauerhaft vorhanden sind.

von Erika Butzmann

Lesen Sie weiter mit den nächsten Abschnitten des Beitrages:

Ängste, die in den ersten sechs Jahren auftreten

Kinderängste - AdobeStock © JohnstockerDie nachfolgend geschilderten entwicklungsbedingten Ängste treten im Laufe der ersten Lebensjahre aufgrund der Gehirnentwicklung zu einem bestimmten Zeitpunkt auf und verschwinden zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder bzw. bleiben abgeschwächt über die Kindheit bestehen. Dies hängt vom Umgang der Bezugspersonen mit solchen Ängsten ab und ob es in der Umgebung immer wieder Angstauslöser gibt.

In den ersten Lebenswochen sind Säuglinge vor Angst noch weitgehend geschützt, weil Reize nur sehr gedämpft zu ihnen vordringen. Im Gehirn des Kindes sind die notwendigen Verbindungen noch nicht vorhanden, die ein Angstgefühl auslösen können.[1] Nur plötzliche laute Geräusche, Schmerz, Lichtblitze oder das Gefühl zu fallen (Moro-Reflex) erschrecken das Kind. Dann weint das Baby, wendet sich ab oder klammert sich fest.

Zwischen drei und vier Monaten entstehen Ängste bei fremden Stimmen oder Geräuschen, weil die Hörfähigkeit dann voll ausgebildet ist und das Kind diese jetzt deutlicher wahrnimmt. Manche Babys fangen an zu weinen, wenn der Staubsauger losgeht, obwohl sie vorher nicht darauf reagiert haben.

Wenn Kinder fremdeln

Mit ungefähr sechs Monaten tritt Fremdenangst auf, die sich entweder durch starkes Weinen, durch Verziehen des Gesichts oder auch durch Abwenden zeigt. Der Grund für das relativ plötzliche Auftreten dieser Angst ist die Ausbildung der endgültigen Sehschärfe, so dass der Unterschied zwischen der Mutter und Fremden vom Kind genau wahrgenommen wird. Hier zeigt sich bereits, ob ein Kind eine hohe Angstbereitschaft geerbt hat.[2] Dann reagiert das Kind sehr stark auf Fremde. Solche Kinder werden sich später Fremden gegenüber schüchtern verhalten. Die meisten Kinder sind nach der wenige Wochen anhaltenden Fremdenangst an Fremden interessiert, wenn sie sich bei ihrer Bezugsperson rückversichern konnten.

Im zweiten Lebensjahr ist zu beobachten, dass Kinder sich vorsichtig Fremden nähern, indem sie mit einem „Geschenk“, wie zum Beispiel einem Spielzeug versuchen, Kontakt aufzunehmen, wenn sie sich in der Situation sicher fühlen. Dies ist zu dieser Zeit ein unbewusster Versuch, die Fremdenangst zu überwinden. Dann folgt ein bewusstes Anbieten von Gegenständen zur Kontaktaufnahme zu Fremden.

Wenn Kinder sich verlassen fühlen

Fremdenangst ist zu unterscheiden von der zwischen sieben und neun Monaten auftretenden Trennungs- und Verlassenheitsangst.

Auslöser dieser Angst sind nicht Fremde, sondern das Empfinden, von der primären Bindungsperson verlassen zu sein.

Sie wird aktiviert, wenn das Kind die Mutter nicht mehr sieht oder hört. Dann weint es und sucht sie überall. Sehr ängstliche Kinder können in Panik geraten. Befördert wird dieses Angsterleben durch die nun einsetzende Eroberung des Raumes durch das Kind, womit es sich von der Mutter entfernt. Dabei spürt es in ersten Ansätzen, dass sich die bisher empfundene Einheit mit der Mutter zu lösen beginnt. Solange es von den neuen Reizen im Raum abgelenkt ist, sucht es die Mutter nicht. Jedes Unwohlsein führt jedoch sofort zu dem starken Bedürfnis, zur Mutter zurückzukehren. Ist sie nicht erreichbar, werden Trennungs- und Verlassenheitsängste ausgelöst, die den größten Stress in dem noch kurzen Leben des Kindes verursachen.

Der entwicklungsbedingte Hintergrund für das starke Stressempfinden der Kinder unter zwei Jahren liegt in der noch fehlenden Erinnerungsfähigkeit. Das Kind kann sich die Mutter in einem anderen Raum nicht vorstellen. Verlässt sie das Zimmer, existiert sie für das Kind nicht mehr.[3]

Zwar können sich Kinder schon zum Ende des ersten Lebensjahres an Gegenstände erinnern, da diese statisch sind. Personen bewegen sich jedoch und verändern sich immer wieder, so dass die bildliche Vorstellung von Personen sehr viel länger dauert als die der Gegenstände.

Da vor allem Mama und Papa emotional hoch besetzt sind, können ängstliche Gefühle die schwache Erinnerungsfähigkeit überlagern. Zuerst verfügen die Kinder über das sogenannte Wiedererkennungsgedächtnis.[4] Das heißt, sie erkennen ihre Eltern wieder, wenn sie wieder „auftauchen“.

In der Zwischenzeit ist das innere Bild von den Eltern jedoch weg, es bleibt nur die Sehnsucht nach dem bekannten Geborgenheitsgefühl.

Das ängstliche Kind wird dann trotz einer anderen Betreuungsperson von Trennungs- und Verlassenheitsängste überflutet.

Aus diesem Grund ist die derzeitig häufig verwendete Bezeichnung der Angst als Trennungs- und Verlustangst nicht zutreffend. Ein Verlust setzt die Erinnerung an den Verlust voraus, was bis ins dritte Lebensjahr hinein unter Angstzuständen nicht möglich ist. Es ist immer die Trennung von der wichtigsten Person, die diese Angst auslöst.

Bei Trennungs- und Verlassenheitsängsten hilft – wie bei allen anderen Ängsten – in erster Linie das Aufnehmen und Beruhigen des Kindes durch die primäre Bindungsperson. Da diese Angst durch eine hohe Cortisolfreisetzung das Kind in Panik versetzt, ist es besonders wichtig, das Kind sofort auf den Arm zu nehmen. Ein solches Kind wird sich an der Mutter festklammern und sich vielleicht nicht gleich beruhigen lassen.

Dabei ist es unbedingt notwendig, das Kind so lange auf dem Schoß oder dem Arm zu halten, bis es von allein wieder herunter will. Erst dann hat es sich ausreichend beruhigt.

Bei häufigem Klammerverhalten ist es wichtig, dass Mütter keine innere Abwehr gegen das Klammern des Kindes entwickeln. Das würde die Angst verstärken, weil das Kind die Gefühle der Eltern über die Gefühlsansteckung spürt.[5] Auch Erklärungen, dass man ja da sei und es keinen Grund für diese Angst gibt, sind nicht hilfreich, denn das Kind versteht das nicht. Der Körperkontakt und beruhigende Dinge wie Summen oder Wiegen helfen am besten. Wenn ältere Kinder noch Trennungs- und Verlassenheitsängste zeigen, sollte genauso verfahren werden.

In der Regel gehen die Trennungs- und Verlassenheitsängste in der Mitte des zweiten Lebensjahres vorübergehend etwas zurück. Das Kind steckt in der Liebesaffaire mit der Welt.[6] Es kann laufen und erkundet durch einen starken Lernantrieb seine Umwelt immer dann, wenn es ihm gut geht. Durch die eindimensionale Wahrnehmung in dieser Phase bemerkt es die Trennung von der Bindungsperson nicht, solange keine Störung auftritt. Erst bei einer Störung sucht es die Mutter. Ist sie nicht da, wird das Kind von Trennungs- und Verlassenheitsängsten überflutet.

Kinderängste - Foto 2 iStock © Tatiana FoxyUm den zweiten Geburtstag herum können diese Ängste noch einmal stärker werden. Denn jetzt erkennt das Kind, dass es eine von der Mutter und der Umwelt getrennte Person ist. Dies ist auch die Zeit, wo Kuscheltiere für viele Kinder wichtig werden. Sie vermitteln Geborgenheit, wenn die Eltern nicht da sind.

„Ich bin allein und fühle mich stark!“ Diese Erkenntnis verwirrt das Kind, denn es fühlt sich zum ersten Mal allein. Gleichzeitig entwickelt sich das ichbezogene Denken, so dass es sich als Mittelpunkt der Welt empfindet, die es zu erobern gilt. Diese widerstrebenden Gefühle können zu Schlaf- oder Essstörungen und zu erneutem Klammerverhalten führen.

Durch die nun vorhandene Erinnerungsfähigkeit und das Wissen, wo die Eltern sind und die Erfahrung, dass sie immer wieder kommen, kann sich das Kind im Laufe des dritten Lebensjahres zunehmend selbst beruhigen. Das schließt jedoch nicht aus, dass es hin- und wieder zu starken Trennungs- und Verlassenheitsängsten kommt, wenn es emotional belastet ist. Ebenso werden diese auch bei älteren Kindern immer wieder aktiviert, wenn sie eine Trennung von den Eltern in einer bestimmten Situation nicht verkraften.

Wenn ein Kind von Urängsten eingeholt wird

Durch die sprunghafte Gehirnentwicklung im zweiten Lebensjahr aufgrund der Mobilität des Kindes kann es in der Mitte des zweiten Lebensjahres zur plötzlichen Angst vor Naturerscheinungen, großen Wasserflächen und großen Tieren kommen. Diese sogenannten Urängste treten nur in einer kurzen Zeitphase auf. Wenn das Kind in dieser Zeit zufällig mit einem solchen Ereignis konfrontiert wird, entwickelt es diese Angst. Das Alter von ungefähr 18 Monaten erklärt sich daraus, dass die meisten Kinder jetzt mobil und unterwegs sind. Mit solchen Urängsten wurden die Kinder unserer Vorfahren, wo dies reelle Bedrohungen waren, vor Gefahren geschützt. Etwas davon ist uns heutigen Menschen erhalten geblieben.[7]

Außerhalb dieser Zeit ist von diesen Ängsten nichts zu merken; das bedeutet, die meisten Kinder sind nicht davon betroffen. Wenn bei einem Kind jedoch solche Ängste plötzlich hervortreten, sollte es sofort aufgenommen und beruhigt werden; denn diese Ängste sind für das Kind real. Es kann sich daraus eine bleibende Angst zum Beispiel vor Wasser, Unwetter oder großen Tieren entwickeln. Häufig reagiert ein solches Kind längere Zeit auf derartige Auslöser, so dass hier die Geduld der Eltern gefragt ist. Bei moderatem Umgang der Eltern mit diesen Ängsten verflüchtigen die sich wieder.

von Erika Butzmann

Trennung von Fantasie und Realität

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Kinderängste - Foto iStock © MESSRROZwischen zwei und drei Jahren treten durch die beginnende Denkfähigkeit neue Ängste auf. Jetzt führt die Ansammlung von Wissen zu einer regen Fantasietätigkeit beim Kind. Die Unfähigkeit dabei zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden, ist ein neuer Grund für Angst. So sind schlechte Träume und Schauergeschichten Auslöser für Ängste. Albträume können das Kind sehr belasten, da es Schwierigkeiten hat, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Es hält den Traum für real.

Kindliche Fehlannahmen

In den dann folgenden zwei Jahren entwickeln Kinder aufgrund ihrer vorlogischen Denkweise Ängste durch mangelndes Verständnis und unerklärliche Geschehnisse. Manche Kinder fürchten sich zum Beispiel davor, sich auf die Toilette zu setzen, weil sie glauben, weggespült zu werden. Sie sehen ihre Ausscheidungen darin verschwinden und glauben in ihrer transduktiven Denkweise, dass ihnen dasselbe passieren könnte.[8] Ebenso führen sprachliche Missverstände zu Ängsten, denn die Kinder nehmen alles Gesagte wörtlich. Zum Beispiel will ein Vater zum Volkslauf, er fordert alle auf mitzukommen, um ihn anzufeuern. Da heult der dreijährige Sohn los: „Ich will aber meinen Papa nicht verbrennen!“

Angst vor Ungeheuern

Zur Unfähigkeit, in jeder Situation zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden, gehören auch die Ängste der Drei- und Vierjährigen vor Ungeheuern, die das Kind verschlingen wollen. Da hilft keine vernünftige Erklärung, sondern nur das Verscheuchen des vermeintlichen Ungeheuers. Die Kinder bekommen Angst vor ihren eigenen Fantasieprodukten, ohne zu wissen, wie damit umzugehen ist. Ihre schlechten Gefühle versuchen sie mit weiteren Fantasiegeschichten zu erklären.

Panik vor Verletzungen

Im vierten Lebensjahr entwickelt sich das deutliche Bewusstsein, ein eigenständiges, unabhängiges Wesen zu sein, das über seine Vergangenheit nachdenken und sich Gedanken über seine Zukunft machen kann. Dieses erste Einordnen in das eigene Leben führt auch dazu, sorgsam auf den eigenen Körper zu achten. Dadurch entstehen Ängste bezüglich der Verletzbarkeit der eigenen Person. Das Kind gerät in Panik, wenn es eine kleine Wunde hat und benötigt schnell ein großes Pflaster. Das sollte ihm auch ohne Einwände gegeben werden, weil diese Ängste für das Kind real sind. Nach einiger Zeit verschwinden diese wieder.

von Erika Butzmann

Die Entwicklung vom vorlogischen zum logischen Denken

Wie Angst verschwindet und Angstlust entsteht

Kinderängste - Buch Du bist also meine Angst Foto © JuniekverlagMit dem Übergang vom vorlogischen Denken, das die Fantasie beflügelt hat, zum logischen Denken, das die Schulreife vorbereitet, gehen die entwicklungsbedingten Ängste zurück und es entsteht eine besondere Form des aktiven Umgangs mit diesen Ängsten. Ab dem fünften Lebensjahr können Kinder zunehmend Fantasie und Realität trennen und beginnen jetzt mit Spielen, in denen sie testen, wieviel Angst sie aushalten. Sie erzählen sich Schauergeschichten, um sich zu gruseln. In diesem Alter ist auch das Vorlesen von Märchen erst sinnvoll, weil diese geeignet sind, die Trennung von Fantasie und Wirklichkeit zu begreifen und die eigenen Ängste zu kontrollieren. Dieses bewusste Provozieren von Angst wird als Angstlust bezeichnet, die bei vielen Menschen auch im Erwachsenenalter durch den Besuch von Jahrmärkten, dem Ausüben gefährlicher Sportarten und dem Provozieren von Abenteuern aktiviert wird.

Erst wenn Kinder zwischen Fantasie und Realität gut unterscheiden können, vertragen sie auch Fernsehfilme und Kassetten wie zum Beispiel PawPatrol.

Diffuse Angstgefühle

Bei eher ängstlich veranlagten Kindern kann es zu Beginn des Grundschulalters zu neuen Ängsten kommen, bedingt durch die erweiterten Wahrnehmungen, die vom logischen Denken noch nicht ganz durchdrungen werden. Dadurch können irrationale Ängste auftreten, wie zum Beispiel eine hartnäckige Furcht vor Einbrechern oder vor Feuer im Haus. Diese entstehen aus einem diffusen Angstgefühl, das sich auf eine konkrete Angst fokussiert und so eher zu ertragen ist. Darüber hinaus führen die zunehmenden Wahrnehmungen des Weltgeschehens zu Ängsten, die von den Erwachsenen relativiert werden müssen, da sie das Kind sonst zu stark belasten könnten; das bedeutet, zusammen keine Nachrichten anschauen und diese Themen vorübergehend am Familientisch vermeiden. Mit ungefähr acht Jahren können Eltern mit den Kindern über das Weltgeschehen diskutieren, wenn sie mögliche Lösungen parat haben. Eine sichtbare Hilflosigkeit den Geschehnissen gegenüber lässt die Angst der Kinder ansteigen.

von Erika Butzmann

Worauf Eltern achten können und wie Kinder aus eigener Kraft ihre Ängste in den Griff bekommen

Kinderängste - Foto jordan-whitt © unsplashWie gezeigt werden konnte, werden die beschriebenen entwicklungsbedingten Ängste durch die besondere Art der Gehirnentwicklung in den frühen Jahren verursacht. Da das logische Denken erst mit sechs Jahren voll ausgebildet ist, können Kinder ihre Ängste bis dahin noch nicht rationalisieren. Das Erleben, dass Angst kommt und wieder vergeht und die mit fünf bis sechs Jahren beginnende Suche nach logischen Erklärungen führt dann zur weitgehenden Kontrolle der eigenen Ängste.

Dafür ist es jedoch notwendig, dass in den frühen Jahren die Ängste der Kinder so wie oben beschrieben aufgefangen werden. Körperkontakt und das Aufnehmen des Kindes durch die Eltern sind dafür am besten geeignet, denn das Rationalisieren der kindlichen Ängste hilft dem Kind nicht, seine Angst zu überwinden. Durch das Wissen, welche Ängste in welcher Entwicklungsphase die Kinder umtreiben, kann der Umgang der Eltern mit diesen kindlichen Ängsten besser gelingen.

Wenn das Kind eine sichere Bindung zu seinen Eltern entwickeln konnte, wird es nach dem dritten Lebensjahr selbst versuchen, seine Ängste in den Griff zu bekommen. Durch die mit vier Jahren natürlicherweise zunehmenden Erkenntnisse über die eigenen Gefühle und die Stabilisierung des Selbstgefühls ist das möglich. Eine Ausnahme bilden die Kinder mit einer hohen Sensibilität und Empfindsamkeit. Diese benötigen den Schutz der Eltern länger und kämpfen länger mit ihren Ängsten. Das kann bis ins Grundschulalter dauern.

von Erika Butzmann

Hier können Sie den Beitrag in seiner Gesamtheit lesen:

Kinderängste: erkennen, verstehen, unterstützen

Kinderängste - Foto iStock © EKramarEines Abends, kurz vorm Einschlafen. Da sehe ich plötzlich ein Ungeheuer mit riesigen Ohren und langen Haaren in der Ecke des Zimmers stehen. Ich ziehe die Bettdecke bis zum Kinn hoch und halte die Zipfel fest in den Händen. Meine Gedanken rasen: Steht es noch da? Ganz vorsichtig lug‘ ich noch einmal hervor. Oh nein, es ist immer noch da … Mutig rufe ich so laut ich kann: „Mama!“ Sie kommt ganz schnell. Ich deute mit dem Finger in die Ecke und bleibe unter der Decke. Meine Mama ist mutig; entschlossen geht sie hin und vertreibt das Ungeheuer – alles wird gut. Jetzt kann ich endlich Ruhe finden und in den Schlaf gleiten …
Viele Menschen können von aufkommenden Ängsten in der Kindheit berichten: Angst vor großen Tieren, Gewitter oder verlassen zu werden; Angst, sich auf die Toilette zu setzen, in der Annahme, weggespült zu werden, sind nur einige davon. Gibt es Schlüsselmomente oder Zeitfenster in der Kindheit, in denen Kinder besonders empfänglich für Ängste sind? Und was benötigen ängstliche Kinder? Die Erziehungswissenschaftlerin Erika Butzmann beschreibt die entwicklungsbedingten Hintergründe, die Kinder in den ersten sechs Lebensjahren immer wieder in Aufregung versetzen können.

von Redaktion fürKinder

Was das Angstempfinden von Kindern beeinflusst

Kinderängste - shutterstock © Aynur_sibDas Ausmaß und die Intensität des Angstempfindens bei Kindern sind von Anfang an und in erster Linie abhängig vom Temperament, das vererbt wird. Das bedeutet, Angsterleben in einem konkreten Fall ist bei einem Teil der Kinder sehr stark, bei den meisten normal ausgeprägt und einige empfinden gar keine Angst. Von diesen Unterschieden wussten die Menschen schon in früheren Zeiten, wie zum Beispiel das Anderson-Märchen „Die Prinzessin auf der Erbse“ zeigt. Denn eine hohe Empfindsamkeit geht oft mit einer erhöhten Angstbereitschaft einher. Ebenso zeigt das Grimms Märchen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“, dass es schon vor langer Zeit Menschen gab, die keine Angst hatten.

Bei Kindern mit temperamentbedingt starken Ängsten ist es hilfreich, wenn Eltern und Betreuungspersonen die besondere Art der Ängste erkennen und dem Kind helfen, Angst zu ertragen und den Umgang damit zu bewältigen. Dazu ist es grundsätzlich nur nötig, das Kind bei Ängsten immer auf den Arm oder den Schoß zu nehmen.

Über den Körperkontakt spürt das Kind, wie die Angst wieder verschwindet und mit der Zeit lernt es dabei, Angst ist etwas, was kommt und wieder vergeht.

Auf diese Weise kann es sich selbst beruhigen, weil es erfahren hat, dass Angst nur ein aktueller Zustand ist, der wieder verschwindet. Voraussetzung ist allerdings, dass die angstauslösenden Situationen nicht dauerhaft vorhanden sind.

Ängste, die in den ersten sechs Jahren auftreten

Kinderängste - AdobeStock © JohnstockerDie nachfolgend geschilderten entwicklungsbedingten Ängste treten im Laufe der ersten Lebensjahre aufgrund der Gehirnentwicklung zu einem bestimmten Zeitpunkt auf und verschwinden zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder bzw. bleiben abgeschwächt über die Kindheit bestehen. Dies hängt vom Umgang der Bezugspersonen mit solchen Ängsten ab und ob es in der Umgebung immer wieder Angstauslöser gibt.

In den ersten Lebenswochen sind Säuglinge vor Angst noch weitgehend geschützt, weil Reize nur sehr gedämpft zu ihnen vordringen. Im Gehirn des Kindes sind die notwendigen Verbindungen noch nicht vorhanden, die ein Angstgefühl auslösen können.[1] Nur plötzliche laute Geräusche, Schmerz, Lichtblitze oder das Gefühl zu fallen (Moro-Reflex) erschrecken das Kind. Dann weint das Baby, wendet sich ab oder klammert sich fest.

Zwischen drei und vier Monaten entstehen Ängste bei fremden Stimmen oder Geräuschen, weil die Hörfähigkeit dann voll ausgebildet ist und das Kind diese jetzt deutlicher wahrnimmt. Manche Babys fangen an zu weinen, wenn der Staubsauger losgeht, obwohl sie vorher nicht darauf reagiert haben.

Wenn Kinder fremdeln

Mit ungefähr sechs Monaten tritt Fremdenangst auf, die sich entweder durch starkes Weinen, durch Verziehen des Gesichts oder auch durch Abwenden zeigt. Der Grund für das relativ plötzliche Auftreten dieser Angst ist die Ausbildung der endgültigen Sehschärfe, so dass der Unterschied zwischen der Mutter und Fremden vom Kind genau wahrgenommen wird. Hier zeigt sich bereits, ob ein Kind eine hohe Angstbereitschaft geerbt hat.[2] Dann reagiert das Kind sehr stark auf Fremde. Solche Kinder werden sich später Fremden gegenüber schüchtern verhalten. Die meisten Kinder sind nach der wenige Wochen anhaltenden Fremdenangst an Fremden interessiert, wenn sie sich bei ihrer Bezugsperson rückversichern konnten.

Im zweiten Lebensjahr ist zu beobachten, dass Kinder sich vorsichtig Fremden nähern, indem sie mit einem „Geschenk“, wie zum Beispiel einem Spielzeug versuchen, Kontakt aufzunehmen, wenn sie sich in der Situation sicher fühlen. Dies ist zu dieser Zeit ein unbewusster Versuch, die Fremdenangst zu überwinden. Dann folgt ein bewusstes Anbieten von Gegenständen zur Kontaktaufnahme zu Fremden.

Wenn Kinder sich verlassen fühlen

Fremdenangst ist zu unterscheiden von der zwischen sieben und neun Monaten auftretenden Trennungs- und Verlassenheitsangst.

Auslöser dieser Angst sind nicht Fremde, sondern das Empfinden, von der primären Bindungsperson verlassen zu sein.

Sie wird aktiviert, wenn das Kind die Mutter nicht mehr sieht oder hört. Dann weint es und sucht sie überall. Sehr ängstliche Kinder können in Panik geraten. Befördert wird dieses Angsterleben durch die nun einsetzende Eroberung des Raumes durch das Kind, womit es sich von der Mutter entfernt. Dabei spürt es in ersten Ansätzen, dass sich die bisher empfundene Einheit mit der Mutter zu lösen beginnt. Solange es von den neuen Reizen im Raum abgelenkt ist, sucht es die Mutter nicht. Jedes Unwohlsein führt jedoch sofort zu dem starken Bedürfnis, zur Mutter zurückzukehren. Ist sie nicht erreichbar, werden Trennungs- und Verlassenheitsängste ausgelöst, die den größten Stress in dem noch kurzen Leben des Kindes verursachen.

Der entwicklungsbedingte Hintergrund für das starke Stressempfinden der Kinder unter zwei Jahren liegt in der noch fehlenden Erinnerungsfähigkeit. Das Kind kann sich die Mutter in einem anderen Raum nicht vorstellen. Verlässt sie das Zimmer, existiert sie für das Kind nicht mehr.[3]

Zwar können sich Kinder schon zum Ende des ersten Lebensjahres an Gegenstände erinnern, da diese statisch sind. Personen bewegen sich jedoch und verändern sich immer wieder, so dass die bildliche Vorstellung von Personen sehr viel länger dauert als die der Gegenstände.

Da vor allem Mama und Papa emotional hoch besetzt sind, können ängstliche Gefühle die schwache Erinnerungsfähigkeit überlagern. Zuerst verfügen die Kinder über das sogenannte Wiedererkennungsgedächtnis.[4] Das heißt, sie erkennen ihre Eltern wieder, wenn sie wieder „auftauchen“.

In der Zwischenzeit ist das innere Bild von den Eltern jedoch weg, es bleibt nur die Sehnsucht nach dem bekannten Geborgenheitsgefühl.

Das ängstliche Kind wird dann trotz einer anderen Betreuungsperson von Trennungs- und Verlassenheitsängste überflutet.

Aus diesem Grund ist die derzeitig häufig verwendete Bezeichnung der Angst als Trennungs- und Verlustangst nicht zutreffend. Ein Verlust setzt die Erinnerung an den Verlust voraus, was bis ins dritte Lebensjahr hinein unter Angstzuständen nicht möglich ist. Es ist immer die Trennung von der wichtigsten Person, die diese Angst auslöst.

Bei Trennungs- und Verlassenheitsängsten hilft – wie bei allen anderen Ängsten – in erster Linie das Aufnehmen und Beruhigen des Kindes durch die primäre Bindungsperson. Da diese Angst durch eine hohe Cortisolfreisetzung das Kind in Panik versetzt, ist es besonders wichtig, das Kind sofort auf den Arm zu nehmen. Ein solches Kind wird sich an der Mutter festklammern und sich vielleicht nicht gleich beruhigen lassen.

Dabei ist es unbedingt notwendig, das Kind so lange auf dem Schoß oder dem Arm zu halten, bis es von allein wieder herunter will. Erst dann hat es sich ausreichend beruhigt.

Bei häufigem Klammerverhalten ist es wichtig, dass Mütter keine innere Abwehr gegen das Klammern des Kindes entwickeln. Das würde die Angst verstärken, weil das Kind die Gefühle der Eltern über die Gefühlsansteckung spürt.[5] Auch Erklärungen, dass man ja da sei und es keinen Grund für diese Angst gibt, sind nicht hilfreich, denn das Kind versteht das nicht. Der Körperkontakt und beruhigende Dinge wie Summen oder Wiegen helfen am besten. Wenn ältere Kinder noch Trennungs- und Verlassenheitsängste zeigen, sollte genauso verfahren werden.

In der Regel gehen die Trennungs- und Verlassenheitsängste in der Mitte des zweiten Lebensjahres vorübergehend etwas zurück. Das Kind steckt in der Liebesaffaire mit der Welt.[6] Es kann laufen und erkundet durch einen starken Lernantrieb seine Umwelt immer dann, wenn es ihm gut geht. Durch die eindimensionale Wahrnehmung in dieser Phase bemerkt es die Trennung von der Bindungsperson nicht, solange keine Störung auftritt. Erst bei einer Störung sucht es die Mutter. Ist sie nicht da, wird das Kind von Trennungs- und Verlassenheitsängsten überflutet.

Kinderängste - Foto 2 iStock © Tatiana FoxyUm den zweiten Geburtstag herum können diese Ängste noch einmal stärker werden. Denn jetzt erkennt das Kind, dass es eine von der Mutter und der Umwelt getrennte Person ist. Dies ist auch die Zeit, wo Kuscheltiere für viele Kinder wichtig werden. Sie vermitteln Geborgenheit, wenn die Eltern nicht da sind.

„Ich bin allein und fühle mich stark!“ Diese Erkenntnis verwirrt das Kind, denn es fühlt sich zum ersten Mal allein. Gleichzeitig entwickelt sich das ichbezogene Denken, so dass es sich als Mittelpunkt der Welt empfindet, die es zu erobern gilt. Diese widerstrebenden Gefühle können zu Schlaf- oder Essstörungen und zu erneutem Klammerverhalten führen.

Durch die nun vorhandene Erinnerungsfähigkeit und das Wissen, wo die Eltern sind und die Erfahrung, dass sie immer wieder kommen, kann sich das Kind im Laufe des dritten Lebensjahres zunehmend selbst beruhigen. Das schließt jedoch nicht aus, dass es hin- und wieder zu starken Trennungs- und Verlassenheitsängsten kommt, wenn es emotional belastet ist. Ebenso werden diese auch bei älteren Kindern immer wieder aktiviert, wenn sie eine Trennung von den Eltern in einer bestimmten Situation nicht verkraften.

Wenn ein Kind von Urängsten eingeholt wird

Durch die sprunghafte Gehirnentwicklung im zweiten Lebensjahr aufgrund der Mobilität des Kindes kann es in der Mitte des zweiten Lebensjahres zur plötzlichen Angst vor Naturerscheinungen, großen Wasserflächen und großen Tieren kommen. Diese sogenannten Urängste treten nur in einer kurzen Zeitphase auf. Wenn das Kind in dieser Zeit zufällig mit einem solchen Ereignis konfrontiert wird, entwickelt es diese Angst. Das Alter von ungefähr 18 Monaten erklärt sich daraus, dass die meisten Kinder jetzt mobil und unterwegs sind. Mit solchen Urängsten wurden die Kinder unserer Vorfahren, wo dies reelle Bedrohungen waren, vor Gefahren geschützt. Etwas davon ist uns heutigen Menschen erhalten geblieben.[7]

Außerhalb dieser Zeit ist von diesen Ängsten nichts zu merken; das bedeutet, die meisten Kinder sind nicht davon betroffen. Wenn bei einem Kind jedoch solche Ängste plötzlich hervortreten, sollte es sofort aufgenommen und beruhigt werden; denn diese Ängste sind für das Kind real. Es kann sich daraus eine bleibende Angst zum Beispiel vor Wasser, Unwetter oder großen Tieren entwickeln. Häufig reagiert ein solches Kind längere Zeit auf derartige Auslöser, so dass hier die Geduld der Eltern gefragt ist. Bei moderatem Umgang der Eltern mit diesen Ängsten verflüchtigen die sich wieder.

Trennung von Fantasie und Realität

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Kinderängste - Foto iStock © MESSRROZwischen zwei und drei Jahren treten durch die beginnende Denkfähigkeit neue Ängste auf. Jetzt führt die Ansammlung von Wissen zu einer regen Fantasietätigkeit beim Kind. Die Unfähigkeit dabei zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden, ist ein neuer Grund für Angst. So sind schlechte Träume und Schauergeschichten Auslöser für Ängste. Albträume können das Kind sehr belasten, da es Schwierigkeiten hat, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Es hält den Traum für real.

Kindliche Fehlannahmen

In den dann folgenden zwei Jahren entwickeln Kinder aufgrund ihrer vorlogischen Denkweise Ängste durch mangelndes Verständnis und unerklärliche Geschehnisse. Manche Kinder fürchten sich zum Beispiel davor, sich auf die Toilette zu setzen, weil sie glauben, weggespült zu werden. Sie sehen ihre Ausscheidungen darin verschwinden und glauben in ihrer transduktiven Denkweise, dass ihnen dasselbe passieren könnte.[8] Ebenso führen sprachliche Missverstände zu Ängsten, denn die Kinder nehmen alles Gesagte wörtlich. Zum Beispiel will ein Vater zum Volkslauf, er fordert alle auf mitzukommen, um ihn anzufeuern. Da heult der dreijährige Sohn los: „Ich will aber meinen Papa nicht verbrennen!“

Angst vor Ungeheuern

Zur Unfähigkeit, in jeder Situation zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden, gehören auch die Ängste der Drei- und Vierjährigen vor Ungeheuern, die das Kind verschlingen wollen. Da hilft keine vernünftige Erklärung, sondern nur das Verscheuchen des vermeintlichen Ungeheuers. Die Kinder bekommen Angst vor ihren eigenen Fantasieprodukten, ohne zu wissen, wie damit umzugehen ist. Ihre schlechten Gefühle versuchen sie mit weiteren Fantasiegeschichten zu erklären.

Panik vor Verletzungen

Im vierten Lebensjahr entwickelt sich das deutliche Bewusstsein, ein eigenständiges, unabhängiges Wesen zu sein, das über seine Vergangenheit nachdenken und sich Gedanken über seine Zukunft machen kann. Dieses erste Einordnen in das eigene Leben führt auch dazu, sorgsam auf den eigenen Körper zu achten. Dadurch entstehen Ängste bezüglich der Verletzbarkeit der eigenen Person. Das Kind gerät in Panik, wenn es eine kleine Wunde hat und benötigt schnell ein großes Pflaster. Das sollte ihm auch ohne Einwände gegeben werden, weil diese Ängste für das Kind real sind. Nach einiger Zeit verschwinden diese wieder.

Die Entwicklung vom vorlogischen zum logischen Denken

Wie Angst verschwindet und Angstlust entsteht

Kinderängste - Buch Du bist also meine Angst Foto © JuniekverlagMit dem Übergang vom vorlogischen Denken, das die Fantasie beflügelt hat, zum logischen Denken, das die Schulreife vorbereitet, gehen die entwicklungsbedingten Ängste zurück und es entsteht eine besondere Form des aktiven Umgangs mit diesen Ängsten. Ab dem fünften Lebensjahr können Kinder zunehmend Fantasie und Realität trennen und beginnen jetzt mit Spielen, in denen sie testen, wieviel Angst sie aushalten. Sie erzählen sich Schauergeschichten, um sich zu gruseln. In diesem Alter ist auch das Vorlesen von Märchen erst sinnvoll, weil diese geeignet sind, die Trennung von Fantasie und Wirklichkeit zu begreifen und die eigenen Ängste zu kontrollieren. Dieses bewusste Provozieren von Angst wird als Angstlust bezeichnet, die bei vielen Menschen auch im Erwachsenenalter durch den Besuch von Jahrmärkten, dem Ausüben gefährlicher Sportarten und dem Provozieren von Abenteuern aktiviert wird.

Erst wenn Kinder zwischen Fantasie und Realität gut unterscheiden können, vertragen sie auch Fernsehfilme und Kassetten wie zum Beispiel PawPatrol.

Diffuse Angstgefühle

Bei eher ängstlich veranlagten Kindern kann es zu Beginn des Grundschulalters zu neuen Ängsten kommen, bedingt durch die erweiterten Wahrnehmungen, die vom logischen Denken noch nicht ganz durchdrungen werden. Dadurch können irrationale Ängste auftreten, wie zum Beispiel eine hartnäckige Furcht vor Einbrechern oder vor Feuer im Haus. Diese entstehen aus einem diffusen Angstgefühl, das sich auf eine konkrete Angst fokussiert und so eher zu ertragen ist. Darüber hinaus führen die zunehmenden Wahrnehmungen des Weltgeschehens zu Ängsten, die von den Erwachsenen relativiert werden müssen, da sie das Kind sonst zu stark belasten könnten; das bedeutet, zusammen keine Nachrichten anschauen und diese Themen vorübergehend am Familientisch vermeiden. Mit ungefähr acht Jahren können Eltern mit den Kindern über das Weltgeschehen diskutieren, wenn sie mögliche Lösungen parat haben. Eine sichtbare Hilflosigkeit den Geschehnissen gegenüber lässt die Angst der Kinder ansteigen.

Zusammenfassung: Worauf Eltern achten können und wie Kinder aus eigener Kraft ihre Ängste in den Griff bekommen

Kinderängste - Foto jordan-whitt © unsplashWie gezeigt werden konnte, werden die beschriebenen entwicklungsbedingten Ängste durch die besondere Art der Gehirnentwicklung in den frühen Jahren verursacht. Da das logische Denken erst mit sechs Jahren voll ausgebildet ist, können Kinder ihre Ängste bis dahin noch nicht rationalisieren. Das Erleben, dass Angst kommt und wieder vergeht und die mit fünf bis sechs Jahren beginnende Suche nach logischen Erklärungen führt dann zur weitgehenden Kontrolle der eigenen Ängste.

Dafür ist es jedoch notwendig, dass in den frühen Jahren die Ängste der Kinder so wie oben beschrieben aufgefangen werden. Körperkontakt und das Aufnehmen des Kindes durch die Eltern sind dafür am besten geeignet, denn das Rationalisieren der kindlichen Ängste hilft dem Kind nicht, seine Angst zu überwinden. Durch das Wissen, welche Ängste in welcher Entwicklungsphase die Kinder umtreiben, kann der Umgang der Eltern mit diesen kindlichen Ängsten besser gelingen.

Wenn das Kind eine sichere Bindung zu seinen Eltern entwickeln konnte, wird es nach dem dritten Lebensjahr selbst versuchen, seine Ängste in den Griff zu bekommen. Durch die mit vier Jahren natürlicherweise zunehmenden Erkenntnisse über die eigenen Gefühle und die Stabilisierung des Selbstgefühls ist das möglich. Eine Ausnahme bilden die Kinder mit einer hohen Sensibilität und Empfindsamkeit. Diese benötigen den Schutz der Eltern länger und kämpfen länger mit ihren Ängsten. Das kann bis ins Grundschulalter dauern.

von Erika Butzmann

Literaturverzeichnis

[1] Strüber, Nicole (2017): Neurobiologie im Säuglingsalter. Frühe Kindheit 6, S. 58-64.

[2] Wolfensberger-Haessig, Christoph (1980): Genetisch bedingte Motivation im Verhalten des Kindes. In W. Spiel (Hg), Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Band XI, Konsequenzen für die Pädagogik (1), S. 37-62. Zürich: Kindler.

[3] Piaget, Jean (1954/1995): Intelligenz und Affektivität in der Entwicklung des Kindes. Frankfurt: Suhrkamp-Verlag.

[4] Piaget, Jean (1959/1992): Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde. München: dtv.

[5] Bischof-Köhler, Doris (1989): Spiegelbild und Empathie. Die Anfänge der sozialen Kognition. Bern: Huber-Verlag.
Bischof-Köhler, Doris (2011): Soziale Entwicklung in Kindheit und Jugend. Stuttgart: Kohlhammer-Verlag.

[6] Kaplan, Luise (1987): Die zweite Geburt. 5. Aufl., München: Piper-Verlag.

[7] Kohnstamm, Rita (1990): Praktische Kinderpsychologie. Bern: Huber-Verlag.

[8] Piaget, Jean (1983): Sprechen und Denken des Kindes. Frankfurt: Ullstein-Verlag.

Links zum Thema

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Wenn kleine Kinder klammern

Bindungsentwicklung