Ich habe erfahren, wie es ist bedingungslos zu lieben - Foto © Marita HüttnerEin Kind verändert alles. Das persönliche Leben, die Partnerschaft und manchmal auch komplett die eigene Denkweise.

Vor der Geburt meines Sohnes dachte ich, dass mein Leben unverändert so weiterliefe. Wie die meisten Eltern musste ich erfahren, dass dies falsch gedacht war. Durch meinen Sohn habe ich gelernt auf Dinge zu verzichten, welche mir vorher wichtig waren. Ich habe gelernt, für einen anderen Menschen Verantwortung zu übernehmen und ich habe erfahren, wie es ist, bedingungslos zu lieben.

In meiner Elternzeit habe ich viele Fachbücher und weitere Literatur über Bindung, Kindererziehung, Entwicklungspsychologie (…) gelesen; alles, was mich zu diesem Thema interessierte. Eines dieser Bücher, die mich sehr beeindruckt und geprägt haben, ist von dem Kinderarzt Rüdiger Posth: „Vom Urvertrauen zum Selbstvertrauen“. Er beschreibt sehr überzeugt und überzeugend, wie zum Beispiel prompte Bedürfnisbefriedigung bei Babys, sei es durch Windeln wechseln, Nahrungsgabe, Nähe usw. das Selbstvertrauen eines Babys gestärkt wird. Es lernt, dass sich jemand um es kümmert und es liebevoll umsorgt, wenn es auf seine Weise mit verschiedenen Lauten kommuniziert. So wird die Basis für das spätere Verhalten und Leben des Kindes gelegt.

Das Gegenteil wäre, wenn also die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Babys nicht umgehend erfüllt werden, dass es lernt, trotz Kommunikation nicht gehört bzw. beachtet zu werden.

EIN BABY KANN MAN GAR NICHT VERWÖHNEN

Ich habe erfahren, wie es ist bedingungslos zu lieben2 - Foto © Marita HüttnerEinen der Sätze, die ich mir auch manchmal anhören durfte, war. „Wenn du immer sofort springst, gewöhnst du das Baby daran. Dann verwöhnst du es und es tanzt dir auf der Nase herum.“ Doch gerade weil ich so viel darüber gelesen hatte und mir das Gelesene einleuchtete, konnte ich sicher antworten: Ein Baby kann man gar nicht verwöhnen.

Es ist kognitiv noch gar nicht in der Lage, so kompliziert oder gar manipulierend zu denken. Ein Baby ist reines Gefühl und handelt auch so; es handelt ausschließlich aus seinem Gefühl heraus. – Lässt man es jedoch weinen und seine Grundbedürfnisse bleiben unbefriedigt, lernt es: Wenn ich weine, weil ich etwas brauche (nicht will!), dann interessiert das niemanden. Es lernt, dass es nicht wichtig ist. Eine solche Lebensbasis wird sich zweifellos auf das spätere Leben des Kindes auswirken und wie ein roter Faden ein übersteigertes Bedürfnis nach Liebe entwickeln.

EINGEWÖHNUNG IN DER KITA – EINFACH MAL WEINEN LASSEN?

Ich habe meinem Kind von Anfang an gezeigt, dass ich da bin, wenn es mich braucht. Ein gutes Beispiel dafür war unsere Eingewöhnung in die Kita. Die Kita arbeitet angelehnt an das „Berliner Modell“ und praktiziert die sanfte Eingewöhnung. Am Anfang lief alles sehr gut. Mein Sohn machte alles mit und ging schon nach kurzer Zeit mit den Kindern allein in den Garten zum Spielen. In der zweiten Wochen machten die Erzieher dann auf einmal Druck. Ich sollte mich vor dem Morgenkreis verabschieden. Es hieß, wenn er weinte, würde er sich auch wieder schnell wieder beruhigen.

Das wollte ich so nicht. Ich habe klargemacht, dass ich ihn nicht allein lasse, wenn er weint. Er hatte schließlich bereits die Erfahrung von Anfang an gemacht, dass ich für ihn da bin und ihm Gehör schenke. Jetzt, in einer solch einschneidenden emotionalen Situation, wurde mir genau das Gegenteil empfohlen – von Fachleuten. Eine Erzieherin unterstellte mir Trennungsängste, und als dieses Argument nicht zog, versuchte man mich mit anderen Mitteln unter Druck zu setzen: Alle Kinder würden weinen, und alle Eltern würden gehen. Das sei normal.

Ich stellte klar, dass es nicht unbedingt richtig war, wenn es alle machten, und dass ich meinen Sohn zu nichts zwingen würde. Ich habe mich nicht unterkriegen lassen, auf mein eigenes Bauchgefühl und vor allem auf das von meinem Sohn gehört. – Die Eingewöhnungsphase hat übrigens nur unwesentlich länger als vier Wochen gedauert. Dafür hat mein Sohn nicht geweint, wenn ich gegangen bin und das Vertrauen in mich nicht verloren. Er hat die Zeit  bekommen, die er brauchte.

Ich war sicher nicht die beliebteste Mutter dort. Aber das war mir egal. Wenn ich mich nicht mit allen möglichen Erziehungsstilen und anderem Fachwissen vertraut gemacht hätte, hätte ich den Erzieherinnen wohl auch geglaubt und mich darauf verlassen, dass sie es wohl besser wüssten.

EXPERTEN-WISSEN ALLEIN GENÜGT NICHT

Ich denke, dass wir viel zu oft sogenannten Experten Glauben und Vertrauen schenken. Ein Experte ist in meinen Augen jemand, der nicht nur über großes und vor allem vielfältiges Fachwissen verfügt und danach handelt, sondern auch den Faktor Mensch (und Individualität) dabei nicht unterschätzt. Wenn ich mit Kindern arbeite, muss ich deren Bedürfnisse und Eigenarten einbeziehen und respektieren. Auch der individuelle Familiencharakter sollte erkannt und anerkannt sein, denn deren Mitglieder sind zweifellos Experten für die anderen. Sie haben Herzproffessionalität. Einander zu vertrauen und bedingungslose Liebe und Zugehörigkeit zu leben, ja, das sollten wir wieder lernen. Denn so lernen auch Kinder, sich selbst ernst zu nehmen, sich zu vertrauen und in unserer Gesellschaft selbstbewusst zu leben.

Ich wünsche mir ein Umdenken in der Gesellschaft. Vieles passiert schon im Kleinen, aber es hat durchaus noch viel Potenzial zu wachsen. Denn wenn wir uns bewusst für Kinder entscheiden, müssen wir ihnen auch bewusst alles geben, was sie zu einem gesunden Wachstum, körperlich, geistig und seelisch brauchen.

von Anita Jung

Links zum Thema

„Wie gelingt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Frühe Fremdbetreuung, in Kinderkrippe und Tagesstätten.“ – Eine Zusammenfassung, erschienen im tologo Verlag, unerzogen magazin von Rüdiger Posth

Berliner Modell, eine Handlungsübersicht

Das Berliner Eingewöhnungsmodell – Theoretische Grundlagen und praktische Umsetzung, KiTa Fachtexte, pdf, 11 Seiten von Katja Braukhane & Janina Knobeloch

Grundlagen der Bindungstheorie, Susanne Stegmaier aus: Das Kita-Handbuch, hrsgg. von Martin Textor

Bindungstheorie – Definition, Ansätze & Kritik – nach John Bowlby und Mary Ainsworth

Grundlagen zur Bindungstheorie von Karoline Kirschke und Kerstin Hörmann; KiTa Fachtexte, pdf, 19 sehr informative Seiten