Von Angst ergriffen - Foto 123rf © Paha_LAls kleines Mädchen stand ich einmal zuhause in unserem Luftschutzkeller und stellte mir vor, wie es sein würde, hier als ganze Familie zu „wohnen“. In meinem kindlichen Denken stellte ich es mir gemütlich vor, zu Fünf in den Stockbetten zu schlafen. „Doch wohin mit allen Marmeladen-Gläsern, die jetzt die Betten, oder eher Gestelle füllen?“ Solche und ähnliche Fragen stellte ich meiner Mama.

Dass ich mich damit beschäftigte, kam nicht von ungefähr, der kalte Krieg und Tschernobyl, später der erste Golfkrieg waren Inhalt der Gespräche von Erwachsenen. Als Nachzügler bekam ich von diesen Gesprächen mehr als genug mit und die Themen beschäftigten mich, lösten Fragen und auch viele Ängste aus.

Ich vermute mal, dass es Kindern in den heutigen Tagen gerade nicht viel anders geht. Ob es uns gefällt oder nicht, bekommen auf verschiedenen Kanälen mit, dass nicht weit von hier ein Krieg tobt.

Als Kind haben mir einige Dinge geholfen, mit den Bedrohungen umzugehen:

Fragen stellen: Ich durfte meinen Eltern und meinen Brüdern meine Fragen stellen und sie nahmen sich Zeit, sie mir zu beantworten. Dies taten sie nach bestem Wissen und Gewissen auch kindgerecht. Manchmal mochte ich keine Fragen stellen, weil ich Angst vor den Antworten hatte. Zum Beispiel stellte ich nie die Frage „Könnte es sein, dass es auch bei uns Krieg gibt?“, weil ich Angst hatte, dass meine Eltern „Ja“ sagen könnten. Wie war ich erleichtert, als mein Vater dieses Thema einmal von sich aus anschnitt und mich diesbezüglich beruhigte.

Umgang mit der Angst: Wenn ich Angst hatte, zum Beispiel davor, dass der Krieg plötzlich auch zu uns kommen könnte, half es mir über die Angst zu reden. Auf kindgerechte Art und Weise vermittelten meine Eltern mir gerade in diesen Momenten auch Hoffnung. Sie erzählten mir davon, dass Gott alles in seiner Hand hat und dass ich gerade auch dann, wenn ich Angst habe, beten darf. Außerdem gab es Bilderbücher, die dieses Thema spielerisch aufgriffen.

Aktiv werden: Ich liebte es, mit meiner Mama zusammen Pakete für den Osten zusammen zu stellen. Ich schrieb Briefe an unsere Freunde in Rumänien und ich sammelte Geld, um es nachher zu spenden. Wir sortierten Kleider, Schuhe und Stofftiere aus und ich stellte mir vor, wie andere Kinder Freude an den Dingen haben werden.

Auch wenn wir heute in einer anderen Zeit leben, mit anderen Bedrohungen, glaube ich, dass diese Punkte unseren Kindern nach wie vor helfen.

Bindungsnähe gegen überflutende Gefühle

Etwas gab es aber in den späten 80ern noch nicht: Die Informationsflut. Bei uns zuhause beschränkte sich die Information auf die Tageszeitung und hin und wieder das Radio. Natürlich hörte ich von Schulkollegen die eine oder andere beängstigende, mehr oder weniger wahre Story, aber das hielt sich in Grenzen.

Heute laufen wir Gefahr, dass bereits kleine Kinder Informationen und vor allem Bildern ausgesetzt sind, die sie verstören könnten. Und selbst wenn wir alles tun, um sie davor zu schützen, gelingt es uns vielleicht nicht immer.

Was also tun, wenn ein Kind mit verstörenden Inhalten konfrontiert wurde? Oder wenn es eine so blühende Fantasie hat, dass aus den Informationen, die es erhält, sich selbst die schlimmsten Geschichten vorstellt? Was tun, wenn unsere Kinder aus Angst vor dem Krieg nicht mehr schlafen können?

Ich glaube, das Allheilmittel ist auch in diesem Falle Bindung. Nähe herstellen, Geborgenheit und Schutz geben. In solchen Momenten ist es sicher gut, wenn wir das Kind für eine gewisse Zeit von Nachrichten abschirmen und ihm ganz viel Sicherheit vermitteln. Bei dieser Art von Sicherheit geht es nicht nur um Fakten wie „Die Schweiz verfügt über eine gute Armee und wir könnten uns vor Angriffen schützen.“ oder „Wir haben Jodtabletten im Haus, die uns vor Schäden von Radioaktivität bewahren würden“. Ich meine viel mehr die Sicherheit über die Beziehung: „Ich bin dein Papa und werde immer für dich da sein.“ oder „Da sind Erwachsene, die sich darum kümmern, auch um jene Kinder, die gerade leiden (falls das Kind so etwas gesehen hat) und ich kümmere mich um dich.“ usw.

Aktiv emotionalem Erleben begegnen

Weiter ist es wichtig, sich auf das Hier und Jetzt zu besinnen und aus der Erstarrung herauszukommen, aktiv zu werden.

Und last but not least: Kinder brauchen Spiel, und verletzte oder verängstigte Kinder brauchen noch viel mehr Spiel! Wenn wir für Sicherheit und Geborgenheit gesorgt haben, ist dies die Bühne für echtes Spiel. Im Spiel können die (schwierigen) Gefühle ausgedrückt und „abgeladen“ werden, im Spiel kann neue Zuversicht entstehen. Dafür braucht es keine Anleitung. Das Spiel macht die Arbeit selbst, wenn wir den Raum dafür schaffen und das Kind in diese Blase abtauchen kann. Es ist auch nicht notwendig, dass Kinder Situationen nachspielen, meist machen sie intuitiv das, was sie gerade brauchen.

Für ein Kind, dass die Welt als chaotisch und unübersichtlich empfindet und deshalb verunsichert ist, kann zum Beispiel Puzzeln sehr hilfreich sein. Aus Chaos und Unordnung kann es Ordnung herstellen.

Aber wie gesagt, das müssen wir nicht planen, wir müssen nur den Raum dazu schaffen. Und vielleicht auch selbst etwas ins Spielen finden …

Ihre Angela Indermaur

Ein Beitrag aus unserer Kolumne:

Menschen(s)kinder


Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In einer regelmäßig erscheinenden 14-tägigen Kolumne geht unsere Kolumnistin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?