Charakter bestimmt Schulerfolg - Foto epiximages © ShutterstockNeurotische und pflichtbewusste Schüler haben die besseren Noten…
… neugierige, extrovertierte und experimentierfreudige Schüler werden dagegen schlechter benotet – bei gleicher Intelligenz!

Zu diesem Ergebnis kommen zwei kürzlich erschienene Studien mit Schülern schwedischer Oberschulen. Ein eher vernichtendes Urteil über ein Bildungssystem, das ängstliche Anpassung und ordentliche Aufgabenerfüllung besser honoriert, als Offenheit für Erfahrungen und intellektuelle Neugier. Die gleiche Untersuchung im deutschen Bidlungssystem (Gymnasium, Gesamtschule) käme vermutlich zum gleichen Ergebnis.

Nicht zuletzt das viel diskutierte bessere Abschneiden der Mädchen gegenüber den Jungen in unseren Schulen lässt sich in Teilen – so auch ein Aspekt der Studien – durch dieses Ergebnis erklären.

Charakter und schulische Leistung – in Noten gemessen

Das Forscherteam der Universität von Lund, Schweden, testete zunächst die Intelligenz und die Persönlichkeitsmerkmale von 315 OberschülerInnen im Alter von 16 Jahren und schaute sich drei Jahre später die Abschlusszeugnisse (vergleichbar: Abiturzeugnisse) dieser Schüler an.

Anders als erwartet, punkteten nicht die Schüler mit den dominierenden Merkmal „intellektuelle Neugier“ und „Offenheit für Erfahrungen“, sondern die Jugendlichen mit den Charaktereigenschaften „Gewissenhaftigkeit, Verlässlichkeit“ und „Neurotizismus“.

Ähnlich unerwartet auch der Unterschied im Verhältnis von Intelligenz, Charakterzügen und Noten zwischen Jungen und Mädchen: Bei den Mädchen zeigte sich ein positiver Zusammenhang von Intelligenz (IQ) und „Gewissenhaftigkeit“, bei den Jungen kehrte sich erstaunlicherweise dieses Verhältnis um: Jungen mit höherem IQ waren weniger konstante Arbeiter, weniger zielstrebig und zuverlässig. Jungen, so vermuten die Autoren, könnten daher, anders als Mädchen, durch mehr Verlässlichkeit, Zielstrebigkeit und Ordnung ein Intelligenz-Defizit ausgleichen.

„In Schweden haben wir ein Schulsystem, das Schüler bevorzugt, die zuverlässig arbeiten und/oder von Angst (z.B. vor schlechten Noten, d. Red.) angetrieben werden,“ so die Studienleiterin Prof. Pia Rosander. „Für das persönliche, psychische Wohergehen ist es langfristig fatal, wenn Angst als Motor für das Lernen dominiert. Angst verhindert kreatives Tiefen-Lernen, das am ehesten von offenen Persönlichkeiten und von der Neugier auf Unbekanntes getragen wird.“

Die Schule dem Charakter der Schüler anpassen – nicht umgekehrt!

Die Empfehlung der Autoren: Da Persönlichkeitsmerkmale sich in der Regel nicht wesentlich beeinflussen lassen, müsste sich die Schule stärker den unterschiedlichen Persönlichkeitypen anpassen als umgekehrt. Nur so könnten die Talentreserven aller Schüler gehoben werden.

Die Studien werfen aber auch eine interessante Frage für die frühkindliche Entwicklung, Erziehung und Bildung auf: Viel zu häufig wird die „Überlegenheit“ der unterschiedlichen Betreuungsformen für Kleinkinder „U3“ gemessen an den Aussichten für einen „höheren“ oder „besseren“ (in Noten ausgedrückten) Bildungsabschluss.

Was zählt: Erfolg im System oder gesunde Persönlichkeit? Und wie erreichen wir beides?

Wenn die Untersuchungen von Pia Rosander und ihren Kollegen richtig sind, gibt es hier einen eindeutigen Widerspruch zwischen den vor allem auch in der Bindungstheorie „versteckten“ Werten von „gelingender Kindheit“ durch „sichere Bindung“ (Unvertrauen, Neugier und Entdeckungsfreude, Empathie und Gelassenheit im Umgang mit anderen Menschen, Widerstandskraft bei widrigen Verhältnissen) und den charakterlichen Voraussetzungen für den Erfolg in unseren derzeit existierenden Bildungssystemen.

Da erscheint plötzlich das Messkriterium „Bildungserfolg“, zumindest in den Sekundarstufen, für die Bewertungen in der Auseinandersetzung zwischen „früher Fremdbetreuung“ und „Familienbetreuung“ von Kleinkindern in einem völlig neuen Licht:
Wenn sichere Bindung, vor allem an die Mutter und danach an vertraute Personen in der unmittelbaren Umgebung – statt andauerndem Trennungsstress – bei Kindern in den ersten Lebensjahren die Entwicklung von kreativen, neugierigen, risikofreudigen und mitfühlenden Persönlichkeiten befördert, könnte das im Hinblick auf den „Abitur-Erfolg“ eher störend sein.

Und auch hier wieder die Frage: Wer sollte sich da wem anpassen?

von Redaktion fürKinder

Links zum Thema

Pia Rosander et al., Personality traits and general intelligence as predictors of academic performance: A structural equation modelling approach. Learning and Individual Differences, 21 (5): 590

Pia Rosander und Martin Bäckström, The unique contribution of learning approaches to academic performance, after controlling for IQ and personality: Are there gender differences? Learning and Individual Differences, 2012; 22 (6): 820

Quelle: Science Daily