Ich zog die Kinder morgens an und versuchte, sie sauber ins Auto zu kriegen. Vergeblich. Der kleine Finn fand trotzdem irgendwo eine Pfütze. Doch ich hatte keine Zeit, ihn umzuziehen – in einer Stunde musste der Einkauf erledigt sein. Einen Stau und drei zerkrümelte Kekse auf dem Rücksitz später kam ich im Supermarkt an. Meine Nerven lagen blank – und der Tag hatte gerade erst angefangen.
So oder so ähnlich geht es vielen Eltern.
Die schnelllebige Zeit, in der wir leben, die ohnehin schon striktes Zeitmanagement von uns erfordert, und dann noch die kleinen Hindernisse und Stolpersteine, die unsere Kinder uns zwischen die Beine werfen.
Dabei wollen sie einfach nur eins: Kind sein dürfen.
Und wir Erwachsenen haben sie schlichtweg verlernt, oder vergessen, die Freude des Kindseins.
Wir hetzen von A nach B, müssen möglichst viel unter den berühmten Hut bringen. Abends, oder wie in unserem Beispiel manchmal auch schon morgens, sind wir fix und fertig mit den Nerven. Kein Wunder, dass die Kinder nicht kooperieren.
WO KEINE BINDUNG IST, IST KEINE FREIWILLIGE KOOPERATION
Meine Geschichte von oben beispielsweise geht eigentlich noch früher los. Denn ich hatte schon schlecht geschlafen, und gerade, als ich endlich wieder eingeschlafen war, holte mich der Wecker aus einem wunderschönen Traum. So mag man nicht aufstehen müssen. Entsprechend schlecht gelaunt trat ich meinen Kindern gegenüber.
Ist es da ein Wunder, wenn einem gleich morgens die Hutschnur platzt, einem alles zu viel ist, die Kinder nichts richtig machen können? Mir hätte es gutgetan, einfach einmal durchzuatmen. Zehn tiefe Atemzüge an der frischen Luft, und zwar bevor außer meinen eigenen Bedürfnissen noch weitere befriedigt werden müssen.
Selbstfürsorge – das musste ich lernen – ist die Basis dafür, eine gute Mutter sein zu können. Wenn ich am Limit bin, oder ständig über meine Grenzen gehe, breche ich irgendwann zusammen. Und wenn eine Mutter zusammenbricht, bricht das ganze Familienkonstrukt zusammen. Diese Erfahrung war für mich ein Schlüsselmoment. Ich wusste: So geht es nicht weiter. Ich brauchte Strategien, die ich anwenden kann, um besser mit meinen Kindern – und mir selbst – in Kontakt zu kommen.
ENTSCHLEUNIGUNG DURCH BINDUNGSSPIELE
Das war der Zeitpunkt, an dem ich die Bindungsspiele nach der Entwicklungspsychologin Dr. Aletha Solter kennenlernte.
Früher habe ich meinen Kindern zig Mal zugerufen, sie sollen bitte ihr Spielzeug wegräumen. Am Ende war ich so genervt, dass ich es selbst und alleine tat. Heute fahre ich mein volles Repertoire an Spielideen auf, so dass ich nicht nur Hilfe bekomme, sondern die Kinder mich sogar darum bitten, mit mir gemeinsam aufräumen zu dürfen.
Manchmal tun wir so, als wären wir die sieben Zwerge, die das Haus für Schneewittchen schön machen. Ein andermal sind die Kinder Bagger und Kipplaster, die das Spielzeug in die entsprechende Aufbewahrungsstelle zurückbringen. Wir haben auch schon abwechselnd einen Gegenstand ausgesucht, der dann weggeräumt wurde: „Ich nehme das Buch vom Maulwurf, was räumst du weg?“ Oder wir sortierten nach Farben: „Ich räume alle roten Bauklötze ein. Welche Farbe nimmst du?“
Klar, das dauerte länger, als wenn ich es schnell alleine machte. Doch die Zeit war gut investiert. Zum einen machte es Spaß, etwas zusammen zu tun, zum anderen lernten die Kinder spielerisch, Ordnung zu halten. Und ich beobachtete, was die gemeinsame Aufräumaktion mit der Kooperationswilligkeit meiner Kinder machte. Und mit unserem Verhältnis zueinander. Heute kann ich selbst wieder Kind sein und es sogar genießen, mit meinen Jungs herumzualbern.
ICH BIN ENTSPANNTER. NICHT IMMER, ABER IMMER ÖFTER
Der Wecker holt mich aus dem Tiefschlaf. Das erste, was ich sehe, als ich endlich die Augen offen habe, ist mein Mann, der neben mir im Bett liegt. Dankbarkeit durchflutet mich: Wie schön es ist, dass er immer da ist. Mein Blick fällt auf meine Kinder, die ebenfalls mit uns im Familienbett schlafen. Natürlich werden auch sie durch den schrillen Ton geweckt. Wir lächeln uns an und ich sage zu jedem von ihnen: „Guten Morgen. Ich liebe dich. Und ich wünsche uns einen wundervollen Tag.“
Ich habe mir angewöhnt, den Wecker, um Stress am Morgen zu vermeiden, eine halbe Stunde früher zu stellen. So haben wir die Möglichkeit, in unserem Tempo aufzustehen – und Zeit zum Kuscheln ist immer da. Der Vorteil: Unsere Glückshormonspeicher sind voll, voll, voll und unsere Bindung maximal aktiv.
Entsprechend gut gelaunt starten wir in diesen Tag. Ich weiß, wir müssen uns ein bisschen beeilen an diesem Morgen, doch ich bitte meinen Mann, das Anziehen der Kinder zu übernehmen, so dass ich kurz vor die Tür treten und zehn tiefe Atemzüge nehmen kann. Das ist wichtig für mich und mein inneres Gleichgewicht.
Natürlich hat Finn auf dem Weg zum Auto tatsächlich eine Pfütze gefunden, so dass seine Kleidung nicht mehr sauber ist. Mein erster Impuls ist, darüber zu schimpfen, doch dann schaue ich in seine glücklichen Kinderaugen und schlucke meine Worte runter.
Kinder sind Kinder – es ist völlig unnatürlich, dass sie immer saubere Klamotten tragen.
Als wir in den Stau kommen, werde ich ein wenig unruhiger. Die Kekse auf dem Rücksitz sind mir egal, das können wir nachher zusammen wegsaugen. Aber jetzt wird die Zeit doch knapp. Bevor die Stimmung kippt, fällt mir ein, unser aller Lieblingslied einzuschalten, bei dem wir immer laut mitsingen. Das hebt die Stimmung augenblicklich. Noch mit den Tönen auf den Lippen steigen wir aus dem Auto aus. Damit die Kinder sich beeilen, habe ich mir ein Spiel ausgedacht: „Wir sind drei Rennautos, die zum Supermarkt rasen.“ Die beiden hätten Sie sehen sollen …
P.S. Heute wende ich die Bindungsspiele nicht nur bei meinen eigenen Kindern an, sondern habe in den vergangenen Jahren als Familiencoach schon vielen Familien geholfen, Alltagskonflikten nicht nur ruhiger zu begegnen, sondern diese mit aktiver Bindung, Liebe und vor allem Lachen zu lösen.
Eine Soforthilfe bietet mein E-Book „Erste Hilfe für Alltagskonflikte mit deinem Kind“, das kostenfrei heruntergeladen werden kann.