Die Töne in der (Un-)Vereinbarkeitsdiskussion werden gerade in der Wirtschaftspresse immer radikaler (im wörtlichen Sinne: an die Wurzel gehend). So titelt die WirtschaftsWoche: „Die Lüge von der Vereinbarkeit“.
Dazu ein Ausblick auf eine Auftragsstudie, die vom Kölner Institut für die deutsche Wirtschaft erstellt worden war und die am 29. März 2012 die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder vorstellte:
Mehr Investitionen in das Kind als „Humankapital“?
Tenor der Studienergebnisse: Kleinkinder in ganztätiger Gruppenbetreuung entwickeln sich in ihren Leistungen positiver als Kinder, die von ihren – insbesondere von alleinerziehenden – Müttern betreut werden: Mehr Abitur, mehr Einkommen, mehr Status.
Den Verfassern der Studie, wie vermutlich auch ihrer Auftraggeberin, dem Familienministerium, ging es um den Nachweis, dass die forcierte Investition in die quantitative Ausweitung der Gruppenbetreuung – Investitionen in die Qualität war dabei kein Thema – am Ende eine ausreichende „Rendite“ in Form von volkswirtschaftlichen Wachstumsfaktoren und damit von Steuermehreinnahmen einbringen könnten.
Rendite erwirtschaften mit Gruppenbetreuung auch von Kleinkindern
Der Nachweis gelingt – allerdings mit Ausblenden der wichtigsten Fragestellungen und mit zum Teil atemberaubenden statistischen Manipulationen. Kinderbetreuung wird reduziert auf seine Bedeutung für eine angemessene Rendite aus Investitionen des Staates in „Humankapital“ (hier: Kleinkinder).
Keine Frage, den Alleinerziehenden müssen dringend Hilfestellungen für die Vereinbarkeit von Betreuungs- und Erziehungsaufgaben einerseits und zur beruflichen Absicherung und Weiterentwicklung zur Verfügung gestellt werden. Dazu gehört auch die bezahlbare Gruppenbetreuung in qualitativ hochwertigen Einrichtungen für die Kinder ab drei Jahren. In dieser Studie aber wird der Versuch gemacht, Alleinerziehenden die Fähigkeit abzusprechen, überhaupt angemessen für ihre Kinder zu sorgen. Die Kinder seien, so der Präsident des an der Studie beteiligten Deutschen Roten Kreuzes, und frühere CDU-Kanzleramtsminister Rudolf Seiters, in Ganztagsbetreuungseinrichtungen besser aufgehoben.
Anhand neu gemischter PISA-Zahlen wird vorgerechnet, dass die Ganztagsbetreuung den Kindern Alleinerziehender Bildungsvorteile bringt. Die etwas verschämt in Klammern gesetzte Anmerkung, diese Ergebnisse seien leider statistisch nicht „signifikant“, sprich: könnten ebenso gut durch Zufall zustande gekommen sein, wird sowohl bei der Präsentation als vor allem auch von den News-hungrigen Medien schlicht ignoriert.
Alte Statistiken neu manipuliert, neue Forschungsergebnisse ignoriert
Mit Hilfe von Modellschätzungen und logistischen Regressionen wird der positive Effekt auf die Kinder unter 3 Jahre herunter gerechnet mit dem Ergebnis, dass die Ganztagsbetreuung ab dem ersten Geburtstag für alle Kinder von Nutzen für ihre spätere Schul und Berufskarriere sei.
♦ Übersehen wird dabei im Interesse des erwünschten Resultats, dass die ganztägige Fremd- und Gruppenbetreuung für einen Zweijährigen völlig andere Wirkungen und Konsequenzen hat als vergleichsweise bei einem Fünfjährigen.
♦ Übersehen werden ebenso die Ergebnisse der Forschungen in umfangreichen Langzeitstudien seit Beginn der 90ger Jahre, darunter die amerikanische NICHD-Studie oder die „Wiener Krippenstudie“ – beide mit deutlichen Belegen für die negativen Folgen unzureichender „Bindung“ von Säuglingen und Kleinkindern an die vertraute Mutter oder – später – an vertraute, verlässliche und liebevolle Bezugspersonen.
Wie nicht anders zu erwarten, hat die Studie aus der Feder von Volkswirten und aus dem wirtschaftsnahen Institut weniger mit dem Nutzen für Kinder zu tun, sondern eher mit der wirtschaftlichen und steuerlichen „Rendite“.
Kinder werden Investitionsobjekte mit messbarem „Output“
Die Kinder werden so zu beliebigen Investitionsobjekten, die sich nach 20 Jahren „rechnen“. Dabei spielt die Gefahr offensichtlich keine Rolle, dass auf diese Weise psychisch beschädigte, physisch gefährdete und bindungsschwache Menschen „produziert“ werden – und damit auch gleich die nächste Generation von Alleinerziehenden. Die manipulierte Rechnung geht also nicht auf, zumindest nicht für den Staat, der die negativen Folgen der eigenen Fehlinvestition durch massive Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen in der nächsten Generation auszubaden hat.
Was aber, wenn es Wirtschaft und Staat ernst wäre mit der Absicht, Kinder zu verantwortungsbewussten, sozial kompetenten Gesellschaftsmitgliedern heranwachsen zu lassen? Müssten dann nicht besonders Alleinerziehende in den ersten drei Jahren so unterstützt werden, dass sie weitgehend für ihre Kinder sorgen und ihnen die Sicherheit einer verlässlichen Bindung geben könnten, und damit die Grundlage für die Fähigkeit, später selbst in Familie leben und Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen zu können?
Stattdessen wird das Investitionsobjekt Kind in bestens ausgestatteten Betreuungseinrichtungen in den ersten Jahren so gut versorgt, dass es seine wirklichen Bedürfnisse nach Geborgenheit und Zeit mit den Eltern nicht bemerkt. Die starke Konsumorientierung, die dadurch entsteht, nutzt wiederum der Wirtschaft. Die Folgen einer solchen Entwicklung zeigen sich derzeit an den heftigen Jugendkrawallen in England. Laut UNICEF-Studie vom September 2011 sind zwei zusammenhängende Ursachen für diese Gewaltphänomene verantwortlich: Eltern arbeiten viel und lange und verbringen wenig Zeit mit ihren Kindern, überhäufen sie aber ersatzweise mit Konsumgütern: Den Kindern fehle Geborgenheit und Nestwärme und in den Familien herrsche Konsumwahn.
Investition in Bindung statt in kollektive Betreuungsorganisationen
Die IW-Studie ist ein weiterer Versuch, Mütter zu nötigen, ihre Kinder in teure Betreuungseinrichtungen zu geben, und ihre Arbeitskraft der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen, obwohl sie mit der finanziellen Unterstützung vergleichbar den Beträgen, die solche Plätze den Steuerzahler kosten, auf eine Berufstätigkeit in den ersten Jahren verzichten und sich ihren Kindern widmen könnten. Das so bei den kollektiven Betreuungsangeboten gesparte Geld würde zweifellos auch noch ausreichen, den Wiedereinstieg in den Beruf auch der alleinerziehenden Mütter durch flexible Arbeitszeitregelungen, Arbeitsplatz-nahe Kinderbetreuung und Weiterbildungshilfen zu unterstützen.
von Redaktion fürKinder