Flexibilisierungen - das Leid der Kinder - Foto Yeko Photo Studio © fotoliaDie Politik feiert sich derzeit selbst mit Mogelpackungen und mogelt sich so aus der Verantwortung. Die nachgewiesenen negativen Folgen für die emotionale, kognitive und physische Gesundheit der Kinder und damit die Zukuknft der Gesellschaft werden nicht einmal in Betracht gezogen.

Ein Beispiel ist das deutsche „Jobwunder“. Noch nie waren so viele Menschen in Deutschland erwerbstätig. Die Frage nach dem wie? und wieviel? scheint sich da zu erübrigen, ebenso wie die Frage nach den langfristigen gesellschaftlichen Konsequenzen und den politischen Gestaltungsaufgaben, die sich dabei stellen. Im vorliegenden Koalitionsvertrag zumindest kommt – von einigen Trippelschritten abgesehen – nichts dergleichen vor. Die Pauschalantwort auf alle Probleme ist der Ausbau der Ganztagsbetreuung für Kleinkinder. Mangel an sozialer Phantasie oder Kapitulation vor ökonomischen und budgetären „Sachzwängen“?

Das „Jobwunder“ allerdings hat recht „kurze Beine“. Wissenschaftler unterschiedlicher Couleur haben etwas genauer hingeschaut und schon entweicht die Luft aus der Blase:

  • Tatsächlich gibt es nicht mehr Arbeit (in Stunden ausgedrückt) als vor 20 Jahren, sie wird nur anders verteilt: von Männer zu Frauen, von Vollzeit zu Teilzeit, von Festanstellungen zu befristeten Arbeitsverträgen und Zeitarbeit, von sicheren zu „prekären“ Arbeitsverhältnissen Datenreport 2013
  • Tatsächlich hat diese Neuverteilung von Arbeit nicht, wie behauptet, die Ungleichheit in der Gesellschaft verringert und die Lebensverhältnisse der Beschäftigten verbessert. Das Gegenteil ist der Fall: Die – relative – Armut in Deutschland nimmt ständig zu – und vor allem Kinder sind betroffen. Die Kluft zwischen den untersten und den obersten Einkommenschichten vergrößerte sich (Gini-Index und Armutsquote – Datenreport 2013, S. 168 ff), wenn derzeit auch ein „Plateau“ erreicht zu sein scheint. (Auch zur Kinderarmut schweigt der Koalitionsvertrag!)
  • Wichtiger aber als Beschäftigung und Einkommen wirken sich die Arbeitsorganisation und Arbeitsverhältnisse aus auf das Wohlergehen der Kinder. Unregelmäßige Arbeitszeiten,  Nacht- und Wochenend-Arbeit, ad -hoc-Reaktionen auf betriebliche Anforderungen etc. sind nicht nur erhebliche Stressfaktoren für Eltern und Kinder, sie wirken auch direkt auf das Eltern-Kind-Verhältnis (s. u. die eben erschienene Studie aus dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, WZB).

In dieser Meta-Studie werden die ungewöhnlichen oder ungeregelten Arbeitszeiten der Eltern eindeutig als eine relevante Ursache für Hemmnisse und Fehler in der Entwicklung von (Klein-)Kindern ausgemacht.

Kurzfristige Scheinerfolge werden heute mit teuren Fehlentwicklungen in der Zukunft erkauft

21 der 23 gesichteten Studien kamen zu diesem Ergebnis:
Die „Flexibilisierung“ (besser: „Verunstetigung“) der Arbeitszeit, die immer auch ein Eingriff in die Familienzeit ist, hat ungünstige Folgen für die soziale und emotionale Situation der betroffenen Kinder. Verhaltensauffälligkeiten, schlechtere kognitive Leistungen (Sprechen, Lesen und Mathematik) und Fettleibigkeit sind unter Kindern, deren Eltern zu diesen Zeiten arbeiten, weiter verbreitet als bei Kindern, deren Eltern überwiegend während der Normalarbeitszeit erwerbstätig sind.

Polemisch zugespitzt könnte man formulieren:
Das „Jobwunder“ ist zu einem guten Teil auf Kosten der Wehrlosesten in unserer Gesellschaft, der (Klein-)Kinder, gemanaged worden – begleitet von den guten Wünschen nach mehr „Zeit für Familie“ (u.a. 8.Familienreport) diverser Regierungskommissionen.

von Redaktion fürKinder

Links zum Thema

„14. Kinder- und Jugendbericht“, Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, BMSFSJ

Jianghong Li et al., Parents‘ Nonstandard Work Schedules and Child Wellbeing – A Critical Review of the Literature, The Journal of Primary Prevention, September 2013, online vorab veröffentlicht (Studie als PDF)

J. Brooks-Gunn, W.J. Han , J. Waldfogel, Maternal employment and child cognitive outcomes in the first three years of life: the NICHD Study of Early Child Care. National Institute of Child Health and Human Development, Child Development, 2002, 73(4):1052-72