Ich kann und will das nicht mehr - Foto iStock © Juanmonino

ErzieherInnen in deutschen Kitas gelten als „Hoch-Risiko-Gruppe“ für Burn-Out. Steigende Anforderungen und nach wie vor unzureichende Personal- und Sachausstattung erklären nur einen Teil der wachsenden Stress-Belastung.

Gerade für ErzieherInnen mit klaren Vorstellungen zu den Bedürfnissen vor allem der Kleinkinder in den Krippen nach Nähe und Bindung sind die realen Mangel-Zustände in den Krippen schwer erträglich. Zwischen „Sollen“ und „Sein“ klaffen oft Welten. Viele verlassen nach Jahren frustrierender Erfahrung den geliebten Beruf. Nur selten machen sie die Gründe für ihren Ausstieg öffentlich.

Im folgenden Interview beschreibt die Erzieherin Katrin Bauer, ein Kind, Sozialpädagogin, ihre Erfahrungen mit der Arbeit in Krippen von 2010 – 2013 in Meckenburg-Vorpommern.

Die Tatsache, dass hier die Personalsituation besonders prekär ist (laut Bertelsmann Ländermonitor von 2014 ist der Krippen-Personalschlüssel in M-V mit 6,0 fast doppelt so hoch wie etwa in Bremen oder Baden-Württemberg und inzwischen entfallen bereits 25 Prozent der ErzieherInnen-Arbeitszeit auf Tätigkeiten, die nicht im direkten Kontakt mit den Kindern erledigt werden), beschreibt nur einen Teil der Problems. Hier also das Interview:

fürKinder: Frau Bauer, Sie haben zwei Jahre als Krippenerzieherin gearbeitet. Wie haben Sie Ihren Berufsalltag erlebt?

Katrin Bauer: Stressig. Aufgrund der zu geringen Zahl der Erzieherinnen und er zu hohen Kinderzahl.  Deshalb ist es also selten entspannt. Vieles muss schnell, schnell gehen. Das heute bekannte pädagogische und entwicklungspsychologische Wissen kann nicht zur Anwendung kommen, weil  auch eine Kindereinrichtung wie eine Firma funktioniert: Gewinne steigern und Ausgaben sparen. Das steht an oberster Stelle.

So werden z.B. jeden Tag die Kinder gezählt. In meiner Einrichtung kamen 12 Kleinkinder auf 2 Erzieherinnen. Wenn in einer Gruppe z. B. nur 8 Kinder da waren, dann wurde eine der beiden Erzieherinnen von dieser Gruppe abgezogen und in eine andere Gruppe oder nach Hause geschickt. Es ging darum, dass die Erzieherinnen eher Minusstunden hatten, als ggf. Überstunden.

Wenn eine Leiterin das mehr im Sinne der Kinder, sprich zugunsten eines geringeren Betreuungsschlüssels, handhaben würde, ginge das nicht, weil das vom Träger kontrolliert wird. Es heißt dann, die Kita kommt ins „Minus“ und trägt sich nicht. Deshalb muss die Kapazität auch immer voll ausgeschöpft werden. Dass die Kinder sich dort einigermaßen wohlfühlen können, ist überhaupt nicht der Grundgedanke.

fürKinder: Sie hatten also weder genügend Zeit noch Ruhe, sich dem einzelnen Kind zu widmen?

Katrin Bauer: Das genau trifft den Punkt. Trösten bzw. eine gute Beziehung zum Kind aufbauen, so wie sich das die Eltern vorstellen und wünschen, ist unter diesen Umständen kaum möglich. Je größer die Einrichtung und je länger das Kind am Tag dort ist, desto mehr wird das Kind mit verschiedenen Erzieherinnen konfrontiert. Urlaubs- und Krankheitszeiten verschärfen die Situation weiter.

fürKinder: Kann ein Kind da eine sichere Bindung zur Erzieherin aufbauen?

Katrin Bauer: Das Kind müsste, wenn das funktionieren sollte, genau entsprechend des Dienstplanes der jeweiligen Erzieherin in die Einrichtung gebracht werden.

fürKinder: Viele Eltern sind verunsichert und glauben, sie könnten ihrem Kind nicht das an Anregung und Bildung bieten, was ihnen eine Krippe bieten könne. Wie sehen sie das?

Katrin Bauer: Da, wo keine Beziehung zur Erzieherin entstehen kann – also ein Stück weit die Mutterstelle vertreten wird – kann man das Kind auch nicht bilden. Wenn die Grunderfahrung der Geborgenheit nicht gegeben ist, lernt ein Kind auch nicht. Wenn es z. B. gerade angebrüllt worden ist, weil es schon wieder in die Windel, statt auf´s Töpfchen gemacht hat, dann wird es wohl kaum danach aufnahmebereit sein, wenn diese Person ihm etwas beibringen will. Ein Kind muss sich zu 100 Prozent angenommen fühlen, so wie es ist.

Meiner Erfahrung nach geben die Erzieherinnen vielen Kindern – vor allem denen, die nicht ihren Erwartungen entsprechen – tagsüber viele Negativbotschaften, so dass diese Vertrauensbasis gar nicht vorhanden ist. M.E. hat es einen viel größeren Effekt für Bildung und Sprachförderung, wenn Eltern zu Hause mit ihrem Kind ein Bilderbuch ansehen, ein Liedchen singen oder spazieren gehen und mit ihm gemeinsam die Welt entdecken.

fürKinder: Wie ist denn das Ihrer Meinung nach mit Kindern, die unter familiärer Vernachlässigung leiden?

Katrin Bauer: Die kann man aufgrund der zu hohen Kinderzahl pro Erzieherin erst recht nicht auffangen. Sie sind sowieso oft schon von vornherein auffällige Problemkinder, die den Rahmen völlig sprengen. Sie haben meist gleich den Stempel des Buhmanns weg. Es müsste sich eine einzelne Person extra  um ein solches Kind kümmern, um eine solche Beziehung aufbauen zu können, um damit die seelischen Defizite auszugleichen.

fürKinder: Was könnte diesen Kindern denn ihrer Ansicht nach helfen?

Katrin Bauer: Eine Familientherapie zum Beispiel – die Kinder zusammen mit ihren Eltern begleiten. Da könnte man viel dafür tun, dass Eltern und Kindern eine sichere Bindung zu einander aufbauen können, die die Kinder für ihre Entwicklung wirklich brauchen.

fürKinder: Viele Eltern, vor allem im Osten, glauben, dass bereits ein Kleinkind viele andere Kinder zum Spielen, also für die Entwicklung von Sozialkompetenz, brauchen. Wie ist da Ihre Erfahrung?

Katrin Bauer: Das ist ein Trugschluss. Meiner Erfahrung nach spielen die Unterdreijährigen mehr  nebeneinander her als miteinander. Sie können noch kein gemeinsames Spiel planen. Das Wegnehmen des Spielzeugs, Schubsen, Kneifen, Treten sowie der Konkurrenzkampf um die Zuneigung der Erzieherin – das sind die gängigen Verhaltensmuster der Kinder in der Gruppe.

Um einen ersten förderlichen Kontakt zu anderen Kindern herzustellen, hilft es wenig, die Kinder den ganzen Tag in eine Krippe zu geben. Da eignen sich Mutter-Kind-Gruppen viel besser, weil da die Mutter als Rückzugmöglichkeit für das Kind die nötige Geborgenheit und Sicherheit schafft.

fürKinder: Wie sehen Sie die innerseelische Situation der Kinder?

Katrin Bauer: Es ist Stress pur für die Kinder. Zum Hauptstress, nämlich der Trennung von der Primär-Bindungsperson, kommt dazu, dass man auf die individuellen Bedürfnisse des  einzelnen Kindes nicht eingehen kann. Die Kinder müssen sich zwangsläufig den Einrichtungsbedingungen und -rhythmus anpassen und nicht umgekehrt.

Typische Stresssituationen sind z. B. das An- und Ausziehen, wenn man mit ihnen ´rausgehen will: Viele Kinder auf engem Raum – die einen schwitzen schon – die anderen sind noch nicht angezogen. Weiter sind die Mittagszeiten mit Essen bzw. Füttern sowie Fertigmachen zum Schlafenlegen ganz schlimm – alle sind müde – viele schreien – die Nuckel werden weggenommen – Kuscheltücher werden weggenommen, weil sie z. B. nicht an den Mittagstisch gehören. Das Schlafengehen kann nicht individuell gestaltet werden. Wird ein Kind zu früh wach – kriegen die anderen nicht genug Schlaf.

Am Nachmittag löst sich dann die Gruppe auf, weil einige Kinder abgeholt werden. Die Kinder, die länger bleiben müssen, kommen mit den anderen Kindern der Einrichtung in den Spätdienst: d. h. wieder neue Kinder – wieder eine neue Erzieherin.

Ich kann und will das nicht mehr - Foto Katya Naumova © FotoliaAb einer gewissen Zeit, ca. ab 16.00 Uhr, stehen die Kinder oft am Zaun und warten nur noch oder weinen schon nach der Mama. Wenn sie kommt, sieht man oft erst die Bedürftigkeit nach Nähe und Liebe, und ihre Erschöpfung: die Kinder schmiegen sich an, wollen ihre Kuschelsachen haben. Oder sie sind völlig überdreht und schreien nur noch als Druckventil.

Leider wird das auch von den Erzieherinnen oft missdeutet als elterliches Versagen, denn bei ihnen machen das die Kinder natürlich nicht. Das halten sie wiederum sich selbst als Erziehungserfolg zugute.

Auch die Eltern verstehen die Reaktion der Kinder oftmals nicht. Sie kommen ihrerseits abgespannt von der Arbeit und da macht das Kind so einen Stress. Die Notsignale der Kinder werden mehrheitlich nicht verstanden.

Ich selbst war ab dem 7. Monat ein Krippenkind. Die Situation der Trennung – was das für die Kinder heißt – und die Art und Weise der Erzieherinnen, wie sie mit den Kindern umgehen – das Unempathische, was ich in meinem Berufsalltag tagtäglich erlebt habe, hat viele Wunden meiner eigenen frühem Kindheit wieder schmerzlich berührt: So muss es mir wohl auch ergangen sein. Ich habe immer wieder versucht, im Kollegenkreis die innere Situation der Kinder anzusprechen, aber es wurde alles nicht wahrgenommen. Ich habe deshalb jetzt meinen Beruf aufgegeben. Ich kann und will das nicht mehr, weil diese Situation in einer Krippe für mich nur schwer zu ertragen ist.

fürKinder: Nun haben ja bei den Verdi-Streiks die Erzieherinnen die Verbesserung der Personalsituation in den Kitas gefordert. Könnte sich denn die Situation der Kleinkinder durch mehr Betreuungspersonal  nicht grundlegend verbessern?

Katrin Bauer: Nein, denn der Stress der Trennung bleibt. Es wäre besser, die Kinder könnten während der ersten drei Jahre bei ihrer Mutter bzw. in ihrer Familie bleiben. Das müsste ohne jeglichen finanziellen Druck möglich sein. Es wäre besser, unmittelbar in die Familie zu investieren – als in Einrichtungen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Hanne Kerstin Götze

Links zum Thema

Zu den extrem hohen Stressbelastungen der Kita-ErzieherInnen:
„Studie der Katholischen Hochschule NRW“ (J. Jungbauer und S. Ehlen: Stressbelastungen und Burnout-Risiko bei Erzieherinnen in Kindertagesstätten: Ergebnisse einer Fragebogenstudie, Das Gesundheitswesen 2015; 77 (6); S. 418-423)

Koch P, Stranzinger J, Nienhaus A, Kozak A (2015), Musculoskeletal Symptoms and Risk of Burnout in Child Care Workers — A Cross-Sectional Study. PLoS ONE 10(10): e0140980

Interview (WDR5) mit dem Studienleiter Prof. Johannes Jungbauer

Die bisher einzige umfassende Qualitätsstudie für deutsche Kindertageseinrichtungen, NUBBEK, beurteilt Qualität, vor allem auch die pädagogische Qualität, der Einrichtungen als „unbefriedigend“. Die Studie stammt allerdings schon aus dem Jahr 2012.