Kindergesundheit - Foto Fotolia © goodluz„Der erste Eindruck, der jetzt vom Robert Koch-Institut (RKI) vorgestellten Ergebnisse, aus der Kinder- und Jugendgesundheitsstudie KiGGS ist: alles in Ordnung.“ So sah es der SPIEGEL bei Erscheinen des Vorberichts zur 1. Welle der KIGGS-Studie („Kinder- und Jugend-Gesundheitssurvey“), der umfassendsten Langzeitstudie über die physische und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Die endgültige Auswertung der Daten erscheint erst im Frühjahr 2014.

Diese Einschätzung war vermutlich eher dem vorweihnachtlichen Harmoniebedürfnis geschuldet als der Analyse der vorliegenden Daten. Denn hier finden sich neben positiven Trends wie etwa beim Rauchen, besorgniserregende Entwicklungen und/oder unverändert negative Tendenzen im Vergleich zur ersten Erhebung aus den Jahren 2003-2006. Auch in der populär gestalteten Broschüre mit ersten Zusammenfassungen einzelner Ergebnisse überwiegen die beruhigenden Töne.

Anders der Bericht mit Interviews von Autoren der KIGGS- und der „verwandten“ BELLA-Studie („BEfragung zum seeLischen WohLbefinden und VerhAlten“) im Funkkolleg des Hessischen Rundfunks: „Gesund groß werden“.

Kinderarmut und soziale Stellung der Eltern zumeist von entscheidender Bedeutung

Arme Kinder haben eine geringere Chance, gesund aufzuwachsen, als Kinder aus sozial besser gestellten Familien. Das betrifft sowohl die kognitive wie emotionale Entwicklung. „Arm“ meint dabei allerdings nur eine längerfristige finanzielle Situation und/oder soziale Stellung. Ein Gegengewicht kann die bessere Bildung vor allem der Mutter darstellen. Armut bedeutet für diese Kinder vor allem eine ständige Stress-Situation, die im Verlauf der Kindheit und Jugend zu chronischer Überreaktion auf Stressituationen, zu Verhaltensstörungen und seelischem Ungleichgewicht führt.

Diese Auswirkungen der gesellschaftlichen Ungleichheit auf die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen zieht sich wie ein roter Faden durch alle KIGGS- und BELLA-Ergebnisse. Gegenüber der Vorstudie von 2003-06 hat sich daran nichts geändert.

Übergewicht wird epidemisch

Heute sind 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig, sechs Prozent gar adipös. In den letzte 20 Jahren ist die Zahl der übergewichtigen Kinder um 50 Prozent, bei den adipösen Kindern auf das Doppelte gestiegen. Auch hier spielt die gesellschaftliche Stellung der Eltern eine entscheidende Rolle.

Bezeichnend die erstaunlich Tatsache, dass diese Steigerungsraten erst ab dem Schulalter der Kinder beginnen und die Kinder von 0 – 6 Jahren so gut wie garnicht betreffen. Einflussfaktoren wie die veränderten Leistungsanforderungen in Schule und Freizeit und die rasant ansteigende Mediennutzung (s.u.) setzen tatsächlich erst in diesem Alter ein. Falsche Ernährung und mangelnde Bewegung tun ein übriges. Nur etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen erfüllen die Empfehlungen zum Umfang körperlicher Tätigkeit. Allerdings scheinen diese Defizite bei Ernährung und Bewegung in den letzten Jahren nicht größer geworden zu sein, betreffen aber nach wie vor insbesondere „sozial schwache“ Kinder und Jugendliche.

In der BELLA-Studie werden darüber hinaus weitere Ursachen für dieses Phänomen benannt, wie etwa der Rückgang gemeinsamer Mahlzeiten und generell der „Ruhe und die emotionalen Sicherheit“ beim Essen in der Familie.

Allergien auf dem Vormarsch

Allergische Erkrankungen wie Neurodermitis, Asthma, Heuschnupfen, nehmen seit mehr als 30 Jahren ständig zu, wenn auch mit sinkender Geschwindigkeit. Fast ein Viertel der Kinder und Jugendlichen sind aktuell von diesen Krankheiten betroffen.

Vermutet wird, dass diese Überreaktion des Immunsystems sozusagen auf mangelndes Training zurückzuführen ist. Der Kontakt mit harmlosen Mikroorganismen nimmt in einer immer „hygienischeren“ Umwelt so sehr ab, dass die Steuerung der Immunabwehr nicht mehr richtig funktioniert und die Abwehrkräfte sich auch an den gesunden Zellen „vergreifen“. Dafür spricht, dass bei diesen Krankheiten Kinder aus sozial bessergestellten Familien stärker betroffen sind als „ärmere“ Kinder, „Stadtkinder“ stärker als „Landkinder“.

Psychische Probleme der Kinder haben oft gesellschaftliche Ursachen

Verhaltens- und emotionale Probleme sowie Hyperaktivität nehmen zu. Jungen sind von diesen Problemen deutlich stärker betroffen als Mädchen. „Hyperaktiv“ (ADSH) sind zum Beispiel, laut KIGGS, doppelt so oft Jungen wie Mädchen. Gering dagegen der Unterschied bei den emotionalen Problemen. Auch hier können die KIGGS-Forscher über die Grunde nur spekulieren.

Hinweise liefert die BELLA-Studie – und der „gesunde Menschenverstand“: Kinder, die in stabilen (Familien-)Verhältnissen aufwachsen, eine sichere Bindung an Bezugspersonen, insbesondere natürlich die Eltern, entwicklen, die ihrerseits Zeit und ungeteilte Zuwendung für die Kinder aufbringen (können), sind weit weniger von all diesen Störungen betroffen, als Kinder, die in „unsicheren Verhältnissen“ aufwachsen müssen. Geborgenheit macht gesund!

Zunehmend sind auch Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen in den verschiedenen Formen und Ausprägungen. Hier nun sind die Mädchen sehr viel stärker betroffen als die Jungen.

Anstieg der Mediennutzung ungebremst

Grafik - KIGGS

Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren verbringt mehr als vier Stunden täglich vor Bildschirmen: TV, Computer, Smartphone, Spielkonsole etc. Bei den Jungen zwischen 14 und 17 Jahren verbringen sogar 28 Prozent jeden Tag über sechs Stunden mit diesen Bildschirm-Medien.

Die Nutzer werden immer jünger und die gesundheitlichen wie emotionalen Folgen laut KIGGS immer deutlicher sichtbar. Die Forderung nach mehr Medienkompetenz nimmt sich da eher etwas hilflos aus.

von Redaktion fürKinder

Quelle: KIGGS