Muttersein mit allen Nebenwirkungen - Foto iStock © HalfpointAls ich schwanger wurde, war die Freude riesig – ein Wunschkind war unterwegs! Schwangerschaft und Geburt waren überwältigend und erst recht die erste Begegnung mit meiner Tochter. Als ich dieses kleine Wesen im Arm hielt, war ich ergriffen von Zärtlichkeit für dieses Wunder von Menschlein, das – noch völlig ahnungslos – sein Erdenleben nun begann und völlig auf mich angewiesen war. Ich spürte, dass dies mein Leben grundlegend verändern würde.

Muttersein: Glück und Grenzerfahrung

Muttersein mit allen Nebenwirkungen - iStock © NataliaDeriabinaDas erste Jahr mit meiner Tochter war neben all dem Glück und der Freude an ihr auch körperlich und emotional sehr anstrengend. Sie hielt mich nicht nur tagsüber, sondern auch nachts auf Trab. Zugleich eröffnete sich mir eine ganz neue Erfahrungswelt:

Hier war ich unersetzlich und es war ganz selbstverständlich, mich mit Leib und Seele für dieses mir anvertraute, hilflose Geschöpf einzusetzen, auch wenn es oft an Erschöpfung grenzte. Durch die enge Verbundenheit mit diesem kleinen Wesen, das nahezu meine ständige Achtsamkeit forderte, konnte ich selbst meine eigenen Grenzen teilweise nicht mehr recht spüren. Besonders schwer fiel es mir, ihr Schreien auszuhalten und dabei Ruhe zu bewahren.

So trug ich sie stundenlang im Tragetuch und ging mit ihr im Haus hin und her, um sie zu beruhigen. Dabei lernte und rezitierte ich wunderbare Gedichte oder sang Lieder mit allen Strophen. Das schenkte nicht nur ihr, sondern auch mir Nahrung und Ruhe.

Zwischen Paarsein und Selbstverwirklichung

In dieser Zeit war ich besonders auf den Rückhalt und das Verständnis meines Umfelds – vor allem meines Mannes – angewiesen. Doch auch für ihn war vieles neu und so wurde unsere bisherige Paarbeziehung auf die Probe gestellt.

All dies forderte vorerst ein völliges Loslassen meiner bisherigen Vorstellung von „Selbstverwirklichung" und all der damit verbundenen Pläne, auch was meine Weiterbildung betraf. Diese wurde erst einmal „auf Eis" gelegt. Auch meine sichere Beamtenstelle als Lehrerin sollte ich später „opfern", noch bevor meine Ausbildung als Psychotherapeutin abgeschlossen war. Schritte ins Ungewisse, die mich jedoch Wesentliches erkennen und neue Prioritäten setzen ließen.

Vom Tun zum Sein

Muttersein mit allen Nebenwirkungen - Foto iStock © cunfekDas erste Jahr eröffnete mir eine bedeutungsvolle, elementar vertiefende Erfahrungswelt des „Lebens an sich", der Hingabe, der Sinnhaftigkeit, der Verbundenheit, des „Seins", der „Tiefe im Moment".

Und ich erkannte für mich ganz neu die Bedeutung, „vom Tun zum Sein" zu finden, auch wenn es nicht immer einfach war.

Mit Kindern wachsen

Im zweiten Lebensjahr überwog immer mehr die Freude mitzuerleben, wie mein Baby zur kleinen Persönlichkeit heranwuchs und wie vieles sich von Tag zu Tag von innen heraus, wie von selbst entwickelte: die ersten Schritte, das allmähliche Sprechen lernen … Mein Teilnehmen an ihren Errungenschaften, ihrer Entdeckungsfreude, ihrem Staunen und ihrer Lebensfreude, beglückte und verband uns dabei auf eine besonders schöne Weise.

Ich lernte sie in ihren Bedürfnissen und Gefühlen immer besser kennen und wir wurden immer vertrauter miteinander. Welch kostbare Zeit!

Muttersein mit allen Nebenwirkungen - Foto AdobeStock © MNStudioAls unsere Tochter zwei Jahre alt war, wurde unsere zweite Tochter geboren. Zwei kleine Kinder, die viel Zuwendung brauchten und deren beider Bedürfnisse ich gleichzeitig oft nicht erfüllen konnte, das brachte mich abermals oft ans Ende meiner Kräfte.

Doch genau diese Herausforderungen schulten mein Einfühlungsvermögen, Gelassenheit, Präsenz, Geduld, Hingabe, Humor, Kreativität, Großmut, Klarheit, Entschlossenheit, Entscheidungskraft, Organisation, Disziplin – nicht selten im Verzicht auf eigene Bedürfnisse …

All dies fiel mir nicht zu: immer wieder wurde ich von den Kleinen diesbezüglich auf Schwächen hingewiesen und musste es entsprechend „ausbaden". Denn die Kinder sind unerbittlich!

Wenn ab und zu der Papa oder die Oma für die Kleinen sorgten, konnte ich diese freie Zeit ganz bewusst genießen: Momente nur für mich zu sein, nur mich zu spüren oder mich auf etwas zu konzentrieren, gegenüber dem sonst ständigen Bezogen-sein.

„Erziehung ist Selbsterziehung"

Gleichermaßen ging es dabei auch ständig um einen Abgleich mit mir selbst und meinen Gefühlen und Bedürfnissen. Das erforderte viel Achtsamkeit in alle Richtungen. Denn die Nichtbeachtung wichtiger Bedürfnisse meiner Kinder und gleichermaßen meine eigenen Emotionen wie Ungeduld, Ärger, Genervt-sein, schlechte Laune, … schlugen wie durch ein Vergrößerungsglas verstärkt, durch die Reaktionen der Kinder wiederum auf mich zurück. Besonders in den emotional herausfordernden Phasen der Autonomieentwicklung konnte das die Situationen emotional umso schwieriger und verzweifelter machen.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass kleine Kinder neben der Fürsorge – gefühlt rund um die Uhr – für die eigene Befindlichkeit und für eigene, bisher weitgehend unbewusste Prozesse eine solch emotionale Herausforderung darstellen. Und dass sie in den ersten Lebensjahren (je jünger desto mehr) elementar mit uns verbunden sind, wie mit einer seelischen Nabelschnur. Vor allem: dass geradezu treffsicher unsere Schwächen berührt werden!

Muttersein mit allen Nebenwirkungen - Foto © Silke BrennerIch verstand: Kinder sind wie ein Spiegel – sie zeigen uns unsere Stärken und Schwächen. So lernte auch ich mich immer besser kennen, indem ich mir über meine eigene jeweilige innere Verfassung samt deren unbewussten Reaktionen bewusster wurde.

Und so stellte sich mir die anspruchsvolle Aufgabe, in erster Linie an mir selbst zu arbeiten: meine Gefühle wahrzunehmen, anzunehmen und sie – ohne sie auszuagieren – zu regulieren, um so aus einem Re-Agieren auf das kindliche „Fehlverhalten" in ein Pro-Agieren zu kommen, um so die Konflikte konstruktiver und im Interesse aller positiver zu lösen.

Rudolf Steiner hatte recht: „Erziehung ist Selbsterziehung". Erst jetzt konnte ich das Zitat richtig verstehen. Es erfordert viel Achtsamkeit und die Bereitschaft, sich selbst kritisch zu hinterfragen und an sich zu arbeiten. Und es eröffnet eine einmalige Chance für die eigene Persönlichkeitsentwicklung!

Elternschaft – lohnend, aber steinig

Nebenbei lernte ich meine Konfliktfähigkeit, Führungsqualität und Organisationstalent zu vertiefen sowie Prioritäten zu setzen und Dringendes von Wesentlichem zu unterscheiden.

Und immer wieder war ich aufgefordert, positive Impulse zu setzen, anstatt zu reglementieren oder zu verbieten. Denn dies erregte umso mehr Widerstand.

Dennoch konnte ich meinen Erwartungen nicht immer gerecht werden und so hieß es: weiter üben und dranbleiben.

Es sind langwierige Prozesse, die Geduld fordern: auch mit uns selbst.

Balsam für die Seele

Neben all der emotionalen und körperlichen Arbeit wurde ich auch reich beschenkt:

  • Zusammen mit meinen Kindern lernte ich (wieder) zu staunen und die Fülle des Augenblicks zu erfahren.
  • Ich war Teil ihrer unbändigen Lebensfreude.
  • Wie viel Liebe und Vertrauen wurden mir entgegengebracht!
  • Und welch ungeahnte Liebesfähigkeit konnte sich in mir entwickeln.
  • Mein Leben gewann an Tiefe.
  • Und wo sonst kann man so viel Sinn erfahren?
  • Hier war ich wirklich unersetzlich.

Wie der Freiraum wuchs und das Familienleben leichter wurde

Meine Töchter wurden selbstständiger und gaben mir auf ganz natürliche Weise immer mehr Freiraum, auch für meine Weiterbildung, die ich damals – schweren Herzens – hatte ruhen lassen.

Ideal war, dass die Ausbildung zur Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin berufsbegleitend möglich war. So konnte ich – mit Unterstützung von Papa und Oma – damit beginnen, als unsere Jüngste etwa 1½ Jahre alt war. Da sich die Ausbildung wegen der Familienarbeit länger als üblich hinzog, begann ich erst nach vielen Jahren als Psychotherapeutin zu arbeiten. Dank der sehr flexiblen und damit familientauglichen Arbeitszeiten hatte ich genügend Spielraum für die Betreuung unserer Kinder. Auch wenn sie inzwischen selbstständiger und älter geworden waren, brauchten sie noch viele Jahre einen sicheren familiären Rückhalt und die Möglichkeit zum Rückzug zu Hause.

Diese Erfahrungen und Prozesse waren nicht nur für mich, meine Kinder und die ganze Familie von unschätzbarem Wert, sondern auch für meine berufliche Arbeit mit den Patienten, vor allem bei der Elternarbeit. Denn all diese Fähigkeiten und das vertiefte Wissen um die Bedürfnisse von Kindern und die Herausforderungen im Alltag mit ihnen kamen mir bei der therapeutischen Arbeit immer wieder zugute.

Mein Fazit

Muttersein mit allen Nebenwirkungen - Foto iStock © YazolinoGirlEuch Eltern möchte ich ans Herz legen: Lasst euch nicht von Arbeitgebern oder dem Umfeld unter Druck setzen, dass eine längere Auszeit die weiteren Berufsaussichten erheblich einschränkt, Das ist sehr oft keineswegs der Fall. Wenn es finanziell irgendwie machbar ist, nehmt euch Zeit für die erste intensive Phase mit euren Kindern. Später können eine berufsbegleitende Fortbildung oder ein Quereinstieg sogar neue Perspektiven eröffnen.

Wenn wir uns auf unsere Kinder mit allen Höhen und Tiefen einlassen, fördert das nicht nur sie, sondern auch uns selbst. So können allein die Erfahrungen, Herausforderungen und (inneren) Prozesse für viele Berufe eine bedeutende Verbesserung bedeuten. Denn:

durch die Mutterschaft hatten wir die Chance, eine bessere Beziehung zu uns selbst und zu anderen Menschen zu gewinnen und uns in Gelassenheit, Präsenz, Großmut, Klarheit, Einfühlung, Geduld, Humor, Kreativität, Disziplin, Konflikt- und Entscheidungsfähigkeit, Entschlossenheit und vielem mehr zu üben.

Mutterschaft ist harte Arbeit – körperlich, psychisch, geistig.

Und doch wird Muttersein und vor allem Mütterlichkeit gesellschaftlich oft abgewertet. Es klingt wie Hohn, wenn Mütter, die ihre Kinder über das erste Lebensjahr hinaus selbst betreuen, gefragt werden: Tust du denn NICHTS? Dabei ist es eine der sinnvollsten Aufgaben überhaupt: Sie schenkt unseren Kindern ein positives Selbstbild, Liebesfähigkeit, Vertrauen und die Basis, ihre sozialen und kognitiven Potentiale bestmöglich zu entfalten.

Unsere Kinder brauchen uns" – Gordon Neufeld fasst mit diesem Titel prägnant zusammen, worum es im Kern geht: Ja, wir Eltern sind verantwortlich für unsere Kinder und wir sind unersetzlich: Keine außerfamiliäre Betreuung kann elterliche Nähe ersetzen, vor allem nicht in den ersten Lebensjahren – mindestens drei bis vier Jahre und auch noch später.

Die öffentliche Meinung wird dahingehend beeinflusst, dass Kinder vor allem Förderung in außerfamiliärer Betreuung fänden und Selbstverwirklichung der Eltern einzig und allein im Beruf zu finden sei. Die eigenen Kinder zu betreuen und zu begleiten kann jedoch eine vertiefte Weise der Selbstverwirklichung und eine Vertiefung des Seins überhaupt bedeuten, womit man zuerst gar nicht gerechnet hatte, da Elternschaft zunächst vor allem Hingabe und Verzicht bedeutet.

Wir werden hart gefordert und reich beschenkt, wenn wir uns die Zeit nehmen, mit unseren Kindern zusammen zu wachsen.

Welche Chance, welche Fülle an Leben!

Für unsere Kinder. Für uns selbst. Für die Gesellschaft. Für die Zukunft. Und schließlich für unsere berufliche Tätigkeit, die wir noch lange ausüben können.

Gerne könnt ihr euch in meine Arbeit weiter vertiefen: Gute erste Kinderjahre und auf Instagram @bindung_statt_kita.

von Gisela Geist