Unsere Kinder brauchen uns - Gordon Neufeld, Gabor Maté

Gordon Neufeld, Gabor Maté
Unsere Kinder brauchen uns:
Wie Eltern sich ihre Rolle zurückerobern
Unimedica, Narayana Verlag
ISBN: 978-3962572631
416 Seiten
26,80 Euro

Ich kann mich gut erinnern, wie ich vor etwa 9 Jahren das Buch von Gordon Neufeld und Gabor Maté „Unsere Kinder brauchen uns!“ zum ersten Mal in den Händen hielt. Als Mutter von drei Schulkindern verschlang ich dieses Buch regelrecht und fühlte mich in so vielem einfach bestätigt.

Heute halte ich bereits die übernächste Neuauflage in den Händen und als inzwischen Eltern-Beraterin freue ich mich von Herzen, dass dieses wunderbare Werk nun wieder erhältlich ist.

Die beiden Autoren widmen sich in diesem Buch einer Entwicklung, die hier in Westeuropa wohl stattfindet, aber kaum bekannt und schon gar nicht benannt ist: der Gleichaltrigen-Orientierung (im Original „Peer-Orientation“).

Das Phänomen der Orientierung an Gleichaltrigen

Diesem Phänomen der Gleichaltrigenorientierung wird im ersten Teil des Buches auf den Grund gegangen. Die Autoren beschreiben, wie es soweit kommen konnte, dass unsere Kinder sich zunehmend an ihren Gleichaltrigen, statt an erwachsenen Bezugspersonen, im besten Falle den Eltern orientieren. Mit „orientieren“ ist in diesem Kontext die Hauptbindung oder primäre Bindung gemeint. Es geht darum, dass sie nicht nur einfach eine Beziehung zu Gleichaltrigen haben (was ja völlig normal wäre), sondern dass sie sich zunehmend auf sie ausrichten und um sie kreisen wie die Planeten um die Sonne.

Dieser Vergleich zeigt uns auch gleich, dass es in diesem Buch nicht darum geht, dass unsere Kinder keine Freunde haben sollten! Es geht nur um das zunehmende Phänomen, dass diese Freunde „die Sonne im System unserer Kinder“ werden. Und dieser Platz sollte nun einmal uns Eltern oder anderen fürsorglichen Erwachsenen vorbehalten sein.

Warum das so ist, beziehungsweise was die Gefahr der Gleichaltrigenorientierung ist, darauf gehen die Autoren ein, nachdem sie eindrücklich beschrieben haben, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Dieser Teil entpuppt sich als unglaublich spannend, hier werden die Zusammenhänge der Geschichte, unserer Kultur und dem technischen Wandel aufgezeigt.

„Wenn Gleichaltrige die Eltern als dominante Bezugsperson (also als Sonne im System) ablösen, werden sie zu den Vorbildern unserer Kinder, wobei sie natürlich keinerlei Verantwortung für das Ergebnis übernehmen. Unsere Kinder kopieren die Sprache, Gesten, Handlungen, Meinungen und Vorlieben der anderen.“

Spätestens nach dieser Passage in Kapitel 5 wird einem klar: das Problem ist groß und allgegenwärtig! Plötzlich sieht man Gleichaltrigenorientierung überall!

Die nächsten Kapitel behandeln all die Themen, die für Eltern und andere Personen, die mit Kindern arbeiten relevant sind. Ganz abgesehen vom Thema der Gleichaltrigenorientierung beinhalten diese Kapitel alles, was ein gutes Erziehungsbuch beinhalten sollte, und noch viel mehr. Hier wird der bindungsbasierte Entwicklungsansatz vermittelt und aus allen Richtungen beleuchtet. Es geht um Bindung, Reife, Emotionen, Aggression, Mobbing, Unterricht, Disziplin, usw. Immer in Bezug auf Gleichaltrigenorientierung aber auch grundsätzlich für jeden nutzbar und hilfreich.

Die Inhalte aus diesen Kapiteln sind ab dem Moment, wo ich sie zum ersten Mal gelesen habe, in meine Erziehung geflossen und inzwischen in Fleisch und Blut übergangen.

Im zweitletzten Teil geht es dann ganz konkret darum, was wir tun können. Vorbeugend und auch dann, wenn wir das Phänomen der Gleichaltrigenorientierung sehen und entdecken.

Persönlich bin ich diesen Weg, den die Autoren hier beschreiben schon mehrmals gegangen. In abgeschwächter Form, bzw. vor allem vorbeugend bei meinen eigenen Kindern und anschließend immer und immer wieder mit Familien in der Beratung. Ich bin wahnsinnig dankbar für dieses Wissen, diesen Blick und für die aufgezeigten Lösungswege, die nicht immer die schnelle Lösung sind, aber dafür wirklich auch Bestand haben und nachhaltig sind.

Von der Wirkung digitaler Medien

Am Ende des Buches, als Postskriptum kommt noch einmal ein wahrer Schatz: Hier geht es um das digitale Zeitalter. Es wird beschrieben, was die digitalen Medien für einen gigantischen Einfluss auf das Phänomen der Gleichaltrigenorientierung haben, warum das so ist und natürlich geht es auch hier darum, was wir tun können.

Als dieses Postskriptum herauskam befanden sich meine Kinder gerade an dem Punkt, wo digitale Medien immer mehr aktuell wurden. Dankbar orientierte ich mich an diesen Zeilen und kann nun aus eigener Erfahrung sagen, was hier beschrieben und empfohlen wird, macht Sinn und ist wirklich ein Schatz für Eltern unserer Zeit.

Ich kann das Buch „Unsere Kinder brauchen uns!“ wärmstens allen Eltern empfehlen!

von Angela Indermaur

Über den Buchautor: Prof. Dr. Gordon Neufeld

ist Psychologe, international bekannt als Experte auf dem Gebiet der kindlichen Entwicklung und Gründer des Neufeld Institute International. Er arbeitet seit über 40 Jahren mit Kindern und den für sie verantwortlichen Erwachsenen. Gordon Neufelds bindungsbasierter Entwicklungsansatz vernetzt den aktuellen Erkenntnisstand der Entwicklungspsychologie mit den relevanten neurologischen Forschungsergebnissen zu einem ganzheitlichen Erklärungsmodell für die gesunde Entwicklung von Kindern (bzw. Säugetieren überhaupt) zu ihrem vollen Potenzial. In den von ihm entwickelten Kursen steht dieses Wissen allgemeinverständlich erstmals auch für Nichtwissenschaftler und damit der Mehrheit der mit Kindern lebenden und arbeitenden Erwachsenen zur Verfügung.

Prof. Dr. Gordon Neufeld ist Kurator der Stiftung Zu-Wendung für Kinder. Erfahren Sie mehr zu seiner Person, Arbeit und Engagement.

 

Gabor Maté © Michael Moster

Über den Buchautor: Dr.Gabor Maté

ist kanadischer Arzt, Forscher, Autor und ein Experte zu den Themen Sucht, Stress, kindliche Entwicklung, ADHS und Elternschaft. Er arbeitete mit drogenabhängigen, psychisch erkrankten und HIV betroffenen Patienten. Seine Vorträge hält er vor Mitgliedern des Gesundheitssystems, Pädagogen und Laien. Bei facebook hat er über 300.000 Follower.