Steve Biddulph, Familientherapeut, weltweiter Bestsellerautor für Elternratgeber, setzt sich für die Förderung der Beziehung zwischen Kleinkindern und Eltern ein, die er durch zu frühe und zu lange Gruppenfremdbetreuung und den damit verbundenen messbaren Stress für Kleinkinder gefährdet sieht. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. 2007 fasste er seine Erkenntnisse in einem Vortrag zusammen, die an ihrer Gültigkeit nichts verloren haben.

„Viele von uns, die sich seit den Sechziger- und Siebzigerjahren mit Kindern beschäftigen, waren anfangs sehr daran interessiert, dass Kinder frühe Lernerfahrungen machen konnten. Wir förderten die Ausbreitung von Kindergärten und Vorschulen. Wir erkannten, dass Drei- und Vierjährige Zeit mit anderen Kindern verbringen sollten, gerade auch, wenn sie zu Hause nur mit Mutter und Vater lebten. Sie brauchten die Gesellschaft anderer Kinder, sie sollten Lernerfahrungen und verbesserte Spielerfahrungen sammeln können. Aus diesem Grund förderten und unterstützten wir Kindergärten und Vorschulen.

Allerdings hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren einiges geändert. Immer mehr Tagesbetreuungsstätten entstanden und die dort betreuten Kinder wurden immer jünger. Heutzutage ist es nicht ungewöhnlich, selbst drei oder sechs Monate alte Kinder zu sehen, die fünf Tage in der Woche ganztags in einer Gruppe fremdbetreut werden.

Vor einiger Zeit hielt ich einen Vortrag in Sydney. Dort erzählte man mir von einem drei Tage alten Baby, welches in einer Tagesstätte aufgenommen worden war. Seine Mutter wollte ihr Jurastudium fortsetzen, also kam dieses winzige Baby für etwa 50 Stunden in der Woche in Gruppenfremdbetreuung. Dies wäre illegal in Deutschland, aber in den meisten Ländern der Welt kann man wiederum nicht verstehen, warum man so etwas nicht tun sollte. Wer sich beruflich mit Tagesstätten beschäftigt, macht sich erhebliche Sorgen um die verschiedenen »Kindheitsqualitäten«, die ein Kind erleben kann, wenn es in einer Gruppe untergebracht ist mit Dutzenden anderer Kinder unter der Obhut fremder Menschen, also Menschen, die nicht Angehörige der eigenen Familie sind. Gruppenfremdbetreuung hat sich in den letzten 20 Jahren vervierfacht.

Welche Auswirkungen eine Gruppenfremdbetreuung im Einzelnen haben wird, wussten wir lange nicht. Wir kannten zwar die absolute Zahl der Kinder, wussten aber nicht, wie es mit der Fremdbetreuung im Alltag wirklich aussah. Lassen Sie mich daher aufzeigen, was wir herausgefunden haben bezüglich der Kinder in früher Gruppenfremdbetreuung: Betrachtet man die Kinder zwischen null und vier Jahren, so stellt man fest, dass die ersten Kinder bereits im Alter von etwa drei Monaten fremdbetreut werden. Im Alter von zwei Jahren geht der Prozentsatz deutlich nach oben.

Als wir diese Zahlen aufschlüsselten, fanden wir heraus, dass es zwei gänzlich unterschiedliche Muster gab: Es gab eine Gruppe von Kindern, die bereits sehr früh in einer Gruppe fremdbetreut wurden und bis zur Schule mehr oder weniger durchgehend in Gruppenfremdbetreuung blieben. Eine zweite Gruppe von Kindern kam mit etwas über zwei in die Gruppenfremdbetreuung, anfangs nur für wenige Stunden und dann langsam mehr. Und dann gab es noch eine dritte Gruppe, die niemals Gruppenfremdbetreuung vor der Schule antrat, sie blieben zu Hause oder bei ihren Großeltern oder in irgendeiner anderen »1:1 Betreuungssituation«. Die Unterschiede von Land zu Land sind dabei sehr interessant.

In Großbritannien zum Beispiel werden 60 Prozent aller Kinder vor Eintritt in den Kindergarten niemals fremdbetreut, in Schweden sind dies 50 Prozent. In den USA, wo ein großer Anteil von Müttern (und Vätern) berufstätig ist oder dies sein muss, sind dies nur 35 Prozent. In Italien dagegen sind es 90 Prozent der Kinder, die nie fremdbetreut werden. Und Sie kennen sicher die Situation in Deutschland, von der ich zu wissen glaube, dass sie zurzeit einem deutlichen Wandel unterliegt.

Wir differenzieren zwischen zwei sehr unterschiedlichen Modellen von Elternschaft: In Englisch nennen wir die eine Gruppe »Slammers«. Die Slammers geben ihre Kinder so früh wie möglich in eine Krippe, ganztags, und die Kinder verbringen ca. 12 000 Stunden in Gruppenfremdbetreuung bis zu ihrem Eintritt in die Schule. Als »Sliders« bezeichnen wir Eltern, die ihre Kinder erst später und allmählich zunehmend fremdbetreuen lassen.

Zum Glück ist die erste Gruppe, die Slammers, recht klein, sie machen in Australien etwa 5 Prozent der Eltern aus und ich vermute, dies gilt auch für die meisten europäischen Länder. Interessanterweise sind es nicht Menschen, die sich aus ökonomischen Zwängen so entscheiden müssten. Gerade die ärmeren Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel Immigranten, sind sehr, sehr zurückhaltend mit dem Einsatz von Gruppenfremdbetreuung und machen dies nur, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Die meisten Slammers dagegen sind eher wohlhabend, ihr Hauptaugenmerk liegt auf Beruf und Einkommen. Kinder sind wichtig, aber nicht so wichtig wie die Karriere, obwohl die Eltern selbst es vermutlich so nicht ausdrücken würden.

Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Muss uns das Sorge bereiten? Warum sollten wir uns darüber sorgen? Seit dreißig Jahren gibt es darüber Diskussionen, eine Kontroverse, vielleicht die wichtigste Kontroverse in unserem derzeitigen Sozialleben. Mit teils erbitterten Worten von beiden Seiten wird darüber gestritten.

Frühere Forschungsergebnisse waren widersprüchlich, die Studien waren mangelhaft konzipiert, und es ergab sich einfach kein klares Bild. Während der Neunzigerjahre wurden in den USA, in Großbritannien, aber auch in Deutschland, Norwegen und Schweden einige sehr große Studien begonnen. Die größte und bekannteste ist die NICHD-Studie (Early Child Care Research Network), eine amerikanische Arbeit des Nationalen Instituts für Kindergesundheit und -entwicklung. Sie läuft jetzt seit vierzehn Jahren und wird noch fortgeführt, Tausende von Kindern wurden untersucht, an vielen verschiedenen Orten. Als Studienleiter kamen alle führenden Entwicklungsexperten der USA zu einem Team zusammen. Darunter waren sowohl starke Krippenbefürworter als auch Krippenskeptiker. Die britische Studie hieß EPE (early preschool and primary education study), zu Deutsch: Kleinkinder-Früherziehungsstudie, und auch sie umfasste Tausende Kinder. Sie lief über einen Zeitraum von fünf Jahren. Beide Institute haben während der letzten 4 und 5 Jahre Daten, Auswertungen und Analysen veröffentlicht. Dabei fand man heraus: Für Kinder, die bereits sehr früh und intensiv über einen langen Zeitraum hinweg in einer Gruppe fremdbetreut werden, bestehen ernsthafte Risiken.

Dies waren die drei Risikofaktoren: zu viel, zu früh, zu lang. Diese Kinder hatten einige Persönlichkeitsveränderungen erfahren. Als sie in die Grundschule kamen, zeigten sie vermehrt unangemessenes Verhalten, insbesondere Aggressionen und Ungehorsam gegenüber Erwachsenen und Lehrern. Die NICHD-Studie fand heraus, dass unter den Kindern mit nur wenig Gruppenfremdbetreuung etwa sechs Prozent Verhaltensprobleme zeigten, während unter den Kindern, die dreißig Stunden pro Woche oder mehr Zeit in einer Tagesstätte verbrachten, diese Zahl auf siebzehn Prozent anwuchs. – Wenn Sie als Grundschullehrer arbeiten und siebzehn Prozent Ihrer Schüler haben Verhaltensprobleme, dann ist dies eine sehr ernste Angelegenheit.

Einer der Gesichtspunkte, der diskutiert wurde, vielleicht sogar der Hauptaspekt, war die Qualität der Betreuung. Man glaubte, wenn die Betreuung gut genug ist – wie angemessen ausgebildetes Personal, eine solide Einrichtung, ein guter Betreuungsschlüssel –, könnte dies die Entwicklung der Probleme verhindern. Das Erstaunliche war, dass selbst unter günstigsten Gruppenfremdbetreuungsbedingungen die Risiken kaum gemindert wurden. Selbst bei bester Qualität der Fremdbetreuung konnte man nachteilige Charakterveränderungen bei den Kindern nachweisen.

Ein weiterer Grund zur Besorgnis war das Ergebnis, dass Kinder, die zu lange und ab einem zu jungen Alter in Gruppenfremdbetreuung gewesen waren, geschwächte Bindungen zu ihren Bezugspersonen hatten, zu Mutter oder Vater daheim, die Bindung zwischen Eltern und Baby hatte Schaden genommen.

Starke Aggressivität und geschwächte Bindungen kann man in den Studien verschiedener Länder immer wieder beobachten. Es handelt sich nicht unbedingt um riesige und absolute Veränderungen bei den Kindern, doch sie sind maßgebliche und ernst zu nehmende Risikofaktoren. Wahrscheinlich werden alle Tagesstätten-Kinder zu einem gewissen, manchmal vielleicht auch nur geringen Grad, beeinträchtigt. Aber auf jeden Fall ist es besorgniserregend, weil es Millionen Kinder betrifft.

Es ist stets wichtig, mit gesundem Menschenverstand an Forschung heranzugehen und immer zu hinterfragen: Warum verhalten sich gewisse Dinge in einer bestimmten Weise? Stimmen diese Ergebnisse mit dem überein, wie sich Kinder naturgemäß entwickeln und aufwachsen? Grundsätzlich bleibt festzuhalten: Wenn sich ein Kind in Gruppenfremdbetreuung befindet – so ist es einem auffälligen und unvermeidbaren Umstand ausgesetzt: Dort ist es laut, und es herrscht andauernde Bewegung. Hinzu kommt, dass die Betreuerinnen ihre Aufmerksamkeit auf viele Kinder aufteilen müssen.

Studien über die Interaktionen zwischen Müttern und ihrem Kind zeigen, dass ein Kind einige Hunderte Male am Tag visuell zur Mama Kontakt aufnimmt, es schaut, ob sie es bemerkt und reagiert, und die Mutter schaut zurück, lächelt und reagiert mit einem Antwortlaut – es ist ein kontinuierlicher Tanz, ein wundervoller Tanz, zwischen einem liebevollen Elternteil und dem eigenen Kind. Wenn man dieses Verhalten in einer Kindertagesstätte studiert, dann stellt man fest, dass selbst das allerbeste Betreuungspersonal mindestens zwei Drittel aller Kinderkontaktsignale verpasst. Die Kinder geben ein »Suchsignal«, sie versuchen Kontakt herzustellen – doch es bleibt unbemerkt und unbeantwortet. Das ist überhaupt kein Vergleich zu der Intensität und Subtilität der familiären Interaktion.

Ein anderes Problem der Gruppenfremdbetreuung ist der Umstand, dass für Kleinkinder der Aufenthalt in einer Gruppe sehr stress behaftet ist, weil sie viel zu jung für jene Gruppenspiel-Situationen sind.

Mitte der Neunzigerjahre gab es einen Durchbruch in der kindlichen beziehungsweise allgemein in der menschlichen Stressforschung: die Entdeckung des Cortisols. Dieses im (Kinder-)Gehirn wirkende Hormon ist ein Nebenprodukt des Adrenalins und kann, was ein sehr glücklicher Umstand ist, mithilfe eines Wattetupfers mit etwas Speichel entnommen und gemessen werden. Daraus lässt sich der Stresshormonlevel im Blut ermitteln.

Diese Entdeckung bedeutet, dass man nun den Stresslevel in einer für die Kinder sehr unbedenklichen und kontinuierlichen Weise bestimmen, beziehungsweise ablesen kann. Diese Methode habe ich sofort in meinen Studien angewendet; sie wurde in der Forschung über die Stressbelastung der Kriegsveteranen, Soldaten und des Notfallpersonals eingesetzt. Auch für Kinder in Krippen und Tagesstätten gab es einige große Studien, eine hier in Australien, wo man herausfand, dass Krippenkinder in den ersten Wochen zum Teil doppelt so hohe Cortisol-Spiegel aufweisen wie Vergleichskinder in ihren Familien. Diese Spiegel sinken zwar mit der Zeit, jedoch sind sie auch nach fünf bis sechs Monaten noch erhöht.

Ein weiteres besorgniserregendes Ergebnis: Im Gegensatz zu familiär betreuten Kindern, deren Cortisol-Level morgens am höchsten ist – sozusagen mit Sonnenaufgang – und der während des Tages allmählich abflaut, stieg der Cortisol-Level der Kinder in Gruppenfremdbetreuung im Laufe des Tages an. Also geraten diese Kinder ganz offenbar immer mehr unter Stress. Muss uns das Sorgen machen? Nun, erhöhter Stress führt zu sehr bedeutsamen Veränderungen im Körper. Es ist, als ob der Körper sagt: »Ich bin in einer Notsituation und muss meine Reserven anders verteilen!« Was also passiert: Die Ressourcen des Körpers werden vom Wachstum abgezogen. Mit steigendem Cortisol sinkt der Wachstumshormonspiegel. Und das Organ, welches in dieser Lebensphase am stärksten wächst, ist natürlich das Gehirn. Wir stellen also fest, dass Kinder unter erhöhtem Stress nicht die Zahl der neurologischen Verbindungen im Hirn entwickeln, die in dieser Phase wachsen sollten. Sie lernen also weniger. Der erhöhte Stresslevel beeinträchtigt auch die Immunabwehr, sodass die Kinder viel häufiger Infektionen und Krankheiten erleiden. Der Cortisol-Level von Kindern, die beschmust werden, mit denen viel gesprochen und gelacht wird, die den Körpergeruch ihrer Bezugspersonen wahrnehmen, dieser Cortisol-Level, der sogar (wir können das tatsächlich messen) auf die Pupillenerweiterungen ihrer Mütter oder Väter oder Großeltern (oder wer immer sich liebevoll um sie kümmert) reagiert, er sinkt, die Kinder werden fröhlich und entspannt, und ihr Wachstumshormon steigt an.

Der Anteil des Gehirns, der am allerstärksten wächst, ist der präfrontale Cortex. Es ist der Teil des Gehirns, der für soziale Interaktionen zuständig ist. Er ist der Teil, der die Fähigkeit, empathisch zu reagieren und die Gefühle anderer ernst zu nehmen, gewährleistet.

Was Kinder in den ersten zwölf Monaten des Lebens vorrangig lernen und erfahren sollen, sind Liebe und Einfühlsamkeit: Das Kind liest die Emotionen seiner Mutter, die Mutter reagiert auf ihr Kind in einer hochsensiblen Weise. Sofern eine Mutter nicht stark depressiv oder drogenabhängig ist, kann sie dies viel viel besser als jede fremde Betreuerin, besonders, wenn diese ihre Fürsorge auf eine große Gruppe von Kindern aufteilen muss.

Manchmal ist es hilfreich, einige persönliche Erfahrungen zu schildern. Ich habe in 2001 während einer Vortragstour in Deutschland eine große Kindertagesstätte besucht. Dort war man besorgt darüber, was ich in meinen Büchern schreibe, und lud mich ein: kommen Sie und besuchen Sie uns, wir sind die beste Kindertagesstätte in dieser Region, Sie müssen sich ansehen, was wir hier tun. Also ging ich hin und hatte einen ausgiebigen Blick auf schöne Spielzeuge, moderne Fenster, einen herrlichen Garten, saubere Einrichtung, alles war sehr schön, aber es waren keine Kinder da, und nach einer Weile sagte ich: „Ich würde gerne ein paar Kinder sehen“, und man antwortete mir: „Oh die sind – es ist 16:00 – da spielen sie alle draußen“, und also fragte ich, ob wir sie nicht dort besuchen und einige Zeit mit ihnen verbringen könnten. So haben wir das gemacht, die Kinder waren wunderbar, sie waren sehr an unserer Aufmerksamkeit interessiert, sie rannten zu uns, und wir sprachen mit ihnen.

Für meine Tour in Deutschland hatte ich eine junge deutsche Kinderärztin als Übersetzerin dabei, und während ich mit ein paar Kindern sprach, bemerkte ich, das ein Kind, ein kleines Kind, ein kleines Mädchen, welches ein wenig traurig aussah, zu meiner Kollegin kam. Diese sah auf die Kleine herunter, bemerkte ihre Traurigkeit, und ließ sich auf ihre Knie herunter. Das Kind umfasste sie mit seinen Ärmchen und hielt sie ganz fest, und meine Kollegin umarmte das Kind ihrerseits. Ich denke, sie blieben umarmt für eine ganze Weile, 30 Sekunden – eine Minute lang für eine solche Umarmung – und dann wurde ich abgelenkt, weil eines der Kinder, mit denen ich sprach, Sand in die Augen geworfen bekam, und es entstand ein kleiner Tumult.

Als wir später von der Kindertagesstätte zurückfuhren, bemerkte ich, dass meine Übersetzerin wütend aussah, und ich fragte sie: „Was ist los?“ Und sie antwortete: „Ich war wütend wegen vorhin!“ Sie erzählte, dass, als sie die Umarmung mit dem kleinen Mädchen löste, es zu ihr gesagt hatte: „Ich habe hier so ein Namensarmband, es schneidet in meine Hand ein“. Und die junge Frau hatte geantwortet: „Lass mich Deine Hand ein wenig reiben, damit es besser wird“. Eine der Betreuerinnen sei herangekommen und hatte gefragt: „Was tun Sie?“ und sie fuhr fort: „das Mädchen muss jetzt gehen, und sie muss das Armband umhaben“, und meine Übersetzerin sagte: „Oh, ich habe ihr nur die Hand etwas gerubbelt“, und die Betreuerin sagte ein paar Worte, die ich nie vergessen habe, sie sagte: „Für so etwas haben wir hier keine Zeit!“

Ich denke, genau das ist so bezeichnend für die Gruppenbetreuungssituation: Für so etwas haben wir hier keine Zeit – wir haben keine Zeit für Sonderbehandlung, wir haben keine Zeit dafür, einem Kind besondere Liebe und Aufmerksamkeit zu schenken.


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Künstlerische Fotografie


Und das Traurige daran ist, diese Dinge sind genau das, was ein Kleinkind braucht: Ein- und zweijährige Kinder müssen sich als Zentrum der Welt ihrer Eltern empfinden dürfen, müssen spüren, die Welt liebt sie, weil ihre Eltern sie lieben. Und dieses Gefühl ist in einer Krippe einfach nicht verfügbar.

Es hat eine umfangreiche Diskussion gegeben über die »Qualität« der Gruppenbetreuung, wie man sie verbessern kann. Ich will das auf jeden Fall unterstützen, ich denke, wir brauchen immer auch Kinderbetreuungseinrichtungen, und wir müssen versuchen, sie so gut wie möglich zu machen. Realisieren Sie jetzt, dass dies wahnsinnig teuer ist?

In Großbritannien zum Beispiel, welches sagen wir wechselnde Standards von Kinderbetreuung anbietet, werden 0,2-0,3% des Staatshaushalts für Kleinkindertagesstätten ausgegeben. Schweden dagegen investieren 2%, einen enormen Anteil. Interessant daran ist: Erstens muss man 7 mal mehr Geld ausgeben, als es Großbritannien tut, und Schweden ist bekannt dafür, dass es ein Pionier der Kleinkindgruppenbetreuung ist, es hat bis heute die best ausgestatteten Tagesstätten der ganzen Welt mit allen nur möglichen Einrichtungsdetails. Und dennoch – in den Neunziger Jahren musste die Schwedische Regierung auf die Besorgnis und den Druck von Eltern reagieren.

Eine wachsende Zahl von Eltern, inklusive Eltern, die selbst in einer Kindertagesstätte groß geworden waren, erhoben Anspruch auf Wahlfreiheit, sie wollten eine angemessene berufliche Auszeiten einlegen können mit der Garantie, wieder in den Beruf zurückkehren zu können, und sie forderten finanzielle Unterstützung für Elternschaft. Schweden hat unterdessen für die ersten zwei Kinderjahre die bezahlte Elternschaft eingeführt. Als Ergebnis dieser Maßnahme hörten auf einen Schlag fast alle Schweden auf, ihre Kleinkinder in Tagesstätten zu schicken. Derzeit sind in ganz Schweden weniger als 300 Babys in Krippen! Zum Vergleich: In Großbritannien sind es 30.000, und in den USA sind sogar 60% aller Babys ab dem Alter von sechs Monate in Tagesstättenbetreuung. Also gibt es Riesenunterschiede zwischen dem Ausmaß in verschiedenen Ländern, und ich sehe Deutschland ein wenig am Scheideweg: Einerseits gibt es eine starke Tradition für bewusste Elternschaft, und auch für gute Unterstützung der Eltern, so dass es bisher für viele möglich war, ihr Familienleben auch mit nur einem Einkommen zu bestreiten. Andererseits gibt es derzeit die politische Initiative, in eine amerikanische Richtung zu gehen, von der ich denke, dass dies ein ganz armseliges Ergebnis für Kinder ist.

Das Dilemma für Eltern, denke ich, ist eine Kombination aus mehreren Elementen: Als Individuen haben wir Verantwortung für uns selbst. Wir sind konfrontiert mit einer Botschaft der Welt, die ständig zunimmt, sie lautet: Verdienen und Konsumieren. Das ist das Wichtigste in einer Weltwirtschaftswelt, und die Medien machen dafür Werbung, und Leute verbringen viel Zeit damit. Verdienen und Konsumieren können fast als eine Art Gott angesehen werden, der von unseren Gesellschaften angebetet wird. Und hier existiert ein Zwiespalt:

Eltern werden hin und her gerissen zwischen dem Auftrag zu verdienen und zu konsumieren und dem, was sie für ihre Kinder tun wollen, nämlich Liebe schenken und mit ihnen kommunizieren, und wie sie genug Liebe in ihren Familien erreichen können. Ich denke, dass sich alle Eltern zerrissen fühlen, während sie versuchen zu entscheiden, welchen Weg sie persönlich beschreiten wollen, und ob sich ihr Leben eher um Geld oder eher um elterliche Liebe drehen sollte.

Als Gesellschaft sollten wir die Dinge fördern, von denen wir denken, dass sie für eine glücklichere Zukunft sorgen werden. Hier gibt es drei Felder, die Einfluss nehmen: Eines ist »individuelle Wahl«, ein Feld ist »gesellschaftspolitische Vorgaben« und ein weiteres ist »Arbeitswelt«. Wenn die Arbeitswelt familienfreundliche Strukturen fördert, dann gibt es ausreichend lange Mutterschaftszeiten, viele Angebote für berufliche Qualifizierung und Wiedereingliederung, die es Eltern mit entsprechenden Seminaren erleichtern, in ihren Beruf zurück zu kehren. Firmen, die dies heute tun, machen die Erfahrung, dass sie davon profitieren, z.B. in Form von Loyalität ihrer Angestellten, besonders der jungen Leute, die sich wieder mehr auf diese Werte besinnen. Regierungen müssen dafür sorgen, dass Eltern genügend Einkommen haben.

Prof. Mellish, der britische Experte in diesem Feld, hat unterstrichen: „Ja, man kann sehr gute Kinderfremdbetreuung etablieren, man kann den Betreuungsschlüssel klein halten, man kann das Betreuungspersonal in Entwicklungspsychologie universitär ausbilden lassen, usw. Wenn man das alles tut, ist Kinderbetreuung so kostspielig, dass es billiger ist, Eltern ein Einkommen zu zahlen. Es ist daher die viel bessere Investition und eine höhere Garantie für gute Qualität, wenn man jungen Müttern und jungen Vätern Geld dafür gibt, dass sie sich dafür entscheiden, ihre Kleinkinder mit elterlicher Liebe und Fürsorge im Schlüssel 1:1 selbst zu erziehen“.“

von Steve Biddulph

Quelle:

Was brauchen Kleinstkinder? Steve Biddulph, DVD-aufgenommener Vortrag, Tagung des Familiennetzwerks, Frankfurt, 5.5.2007