Interview mit Prof. Dr. Ludwig Janus, psychoanalytischer Psychotherapeut
fürKinder: Dass das Kind im Mutterleib bereits auf Einflüsse aus der Umwelt und vor allem auf Handlungen, Erlebnisse, Gedanken der werdenden Mutter reagiert und mit dieser eine Art Zwiegespräch führt, ist eine relativ neue Erkenntnis.
Warum kommt diese Einsicht so spät und was hat sich seither in der medizinischen und psychologischen Begleitung vor, während und nach der Geburt verändert?
Prof. Janus: Wir haben im letzten Jahrhundert in den westlichen Gesellschaften eine erstaunliche Zunahme der Fähigkeit, sich in das Erleben von Kindern einzufühlen. Das kann mit der Demokratisierung, der größeren sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit zusammenhängen, die pro soziale Fähigkeiten der Menschen wirksam werden lassen. Das findet auch seinen Ausdruck darin, dass das früher selbstverständliche Prügeln der Kinder seit einigen Jahren sogar verboten ist, dass man seit den achtziger Jahren die Babys nach der Geburt nicht mehr von den Müttern trennt und schreien lässt und dass man überhaupt die Bedürfnisse von Kindern mehr wahrnimmt und respektiert.
Wie wichtig ist die Mutter-Kind-Beziehung schon vor der Geburt?
fürKinder: Die Verbindung und die wechselseitige Bindung von Mutter und Fötus prägt das Leben des Kindes vor der Geburt und beeinflusst entscheidend auch den Geburtsvorgang und die Entwicklung des Säuglings – zum Teil bis ins Erwachsenenalter. Dieser Mutter-Fötus-„Dialog“ ist aber anfällig für Störungen durch äußere Einflüsse, wie anhaltenden Stress oder andere psychische Belastungen der Mutter. Diese können aus der eigenen Kindheit, ja sogar aus eigenen Geburtstraumata stammen. Welche Folgen kann das Fehlen oder der Abbruch der inneren Beziehung zum Fötus für das Kind vor, während und nach der Geburt haben?
Prof. Janus: Ein Kind ist nicht nur nach der Geburt auf das Wahrgenommen-werden angewiesen, sondern auch schon vor der Geburt auf ein inneres Wahrgenommen-werden. Wie nach der Geburt, wird dies auch vor der Geburt unmittelbar gefühlt. Bei einem Fehlen oder Abbruch der inneren Beziehung kann das Kind seine innere Kohärenz und sein Gefühl für sich selbst verlieren. Wichtig ist dabei aber, dass das nicht heißt, die Mutter muss ununterbrochen auf das Kind bewusst bezogen sein. Diese innere Verbundenheit kann sich auch auf einer unbewussten Ebene abspielen. Problematisch und belastend ist eben das Ungewollt-sein oder ein tiefes sich Abwenden, aus welchen Gründen auch immer. Eine solche Erfahrung des Fehlens oder des Abbruchs der inneren Beziehung wird in der Regel durch andere Aspekte kompensiert und kann deshalb im Unbewussten gewissermaßen abgelagert werden. In der späteren engeren Beziehung kann aber diese Ursprungserfahrung wieder lebendig werden und dann zu schwierigen Reaktionen führen.
fürKinder: Wie kann in solchen Situationen Schwangeren geholfen werden, den „Gesprächsfaden“ wieder neu und enger zu knüpfen und die Bindung an das werdende Kind zu stärken?
Prof. Janus: Alles was die Mutter unterstützt, kann hier hilfreich sein. Das kann eine äußere, möglicherweise finanzielle Unterstützung sein, oder eben auch eine Zuwendung und Unterstützung in einer Beziehung. Wenn die Mutter sich in Sicherheit fühlt, dann kann sie wieder zu sich und den Kontakt zu ihrem Kind finden.
fürKinder: Tief sitzende, „abgekapselte“ Traumata sind nicht in kurzer Zeit an die Oberfläche zu heben und schon allemal nicht erfolgreich zu bearbeiten und zu bewältigen. Kind und Mutter haben aber „keine Zeit“, es geht da ja in der Regel um Krisenbewältigung. Welche Möglichkeiten, welche Angebote gibt es, dieses Dilemma aufzulösen, zu umgehen oder zu überspringen?
Prof. Janus: Wenn es in einer Schwangerschaft zu einer Wiederbelebung von traumatischen Erfahrungen aus der eigenen Vorgeschichte kommt, was sich in Form von irrationalen Ängsten, Unruhezuständen, Albträumen und ähnlichem äußern kann, ist alles hilfreich, was die werdende Mutter in ihrem Sicherheitsgefühl stützt und unterstützt. Dann gibt es heute durchaus auch in diesem Bereich kompetente psychotherapeutische Hilfe, siehe Angebote auf der Webseite der ISPPM, aber zunehmend auch in der üblichen Psychotherapie. Wenn eine Frau aus ihrer eigenen Lebenserfahrung die Ahnung hat, dass Schwangerschaft und Geburt für sie seelisch schwierig sein könnte, gibt es heute auch das Angebot einer Förderung der vorgeburtlichen Mutter-Kind-Beziehung.
von Redaktion fürKinder
Unser Interviewpartner: Prof. Dr. Ludwig Janus
geboren 1939, ist seit 1975 psychoanalytischer Psychotherapeut in eigener Praxis in Heidelberg. Er ist Dozent und Lehranalytiker in der psychoanalytischen Weiterbildung in Heidelberg. Past-Präsident der Internationalen Studiengemeinschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin – ISPPM und der Deutschen Gesellschaft für Psychohistorische Forschung.
Seine Interessenschwerpunkte sind Kulturpsychologie und Pränatale Psychologie. Prof. Janus ist Mitglied psychoanalytischer und anderer Fachgesellschaften und Mitherausgeber des „International Journal of Prenatal and Perinatal Psychology and Medicine“ und der Buchreihe „Ergebnisse der Pränatalen Psychologie“.