Ein übergeordneter Bereich, der sowohl die Unzufriedenheit der meisten Frauen mit der ungleichen Verteilung der Familienarbeit als auch die Unstimmigkeiten im Hinblick auf die Erziehung der Kinder betrifft, ist das bereits in vielen Studien festgestellte geringere Selbstwertgefühl der meisten Frauen.[1,2,3] Anita Sandmeier von der Pädagogischen Hochschule Schwyz zieht aus ihrer Studie zur geschlechtsspezifischen Selbstwertentwicklung bei 15- bis 35-Jährigen den Schluss, dass das Selbstwertgefühl bei Männern eher auf hohem Niveau stabil ist, während es bei Frauen vermehrt auf tieferem Niveau stabil ist.[2] Das hat nicht nur mit der weiblichen Sozialisation zu tun, sondern ebenso mit der geschlechtsspezifische Denkstruktur. Diese beschert den Frauen einen Nachteil gegenüber den Männern: Durch die bessere Vernetzung beider Gehirnhälften, also die zeitgleiche Verarbeitung der Funktionen in beiden Bereichen, ist ihre Wahrnehmung intensiver. Das bedeutet, neben den positiven sind auch die negativen Aspekte gleich im Blick, auch die der eigenen Person.
Das Selbstwertgefühl ist dann einfach weniger stabil als das der meisten Männer, die diese Innensicht weniger betreiben.[4] Frauen sind deshalb auch kritischer im Hinblick auf ihre äußere Erscheinung.
Da das Selbstwertgefühl grundsätzlich durch das gewünschte Ergebnis des eigenen Tuns gestärkt wird, trägt die Familienarbeit nicht zu dessen Stärkung bei. Denn alles, was Mütter machen, zeigt erst einmal kein sichtbares Ergebnis:
Das gekochte Essen ist schnell weg, das Saubermachen der Wohnung hält nicht an, die gewaschene Wäsche ist bald wieder schmutzig und die Erziehung der Kinder zeigt lange keinen Erfolg.
So ist es kein Wunder, dass sie diese wenig selbstwertstützenden Arbeiten an die Väter abgeben wollen. Sie fordern die Anerkennung ihrer Leistungen innerhalb der Familie von den Vätern vehement ein, da das eigene Tun ihr Selbstwertgefühl eher niedrig hält. Doch da die engagierten Väter ebenfalls unter Druck stehen durch die Erwartungen von allen Seiten und selbst die Anerkennung für ihre Familienarbeit vermissen, kommt ihnen die Anerkennung für die Partnerin nicht in den Sinn. Die Berufstätigkeit ist dann für viele Mütter ein Ausweg, denn hier tanken sie Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl.[2,5]
Von unterschiedlich stabilen Selbstwertgefühlen
Die immer wieder festgestellten Unterschiede zwischen Vätern und Müttern im Hinblick auf die Erziehung der Kinder sind ebenfalls auf das unterschiedlich stabile Selbstwertgefühl zurückzuführen.[5] Eine nicht dokumentierte Befragung von Eltern im Laufe meiner 30-jährigen Familienbildungsarbeit zeigte,
dass das Selbstwertgefühl der Mütter in direktem Zusammenhang mit dem angemessenen Verhalten der Kinder steht.
Für die meisten Väter war das kein Thema. Auch Sandmeier führt aus, dass die Kompetenz der Mütter im Umgang mit den Kindern relevant für deren Selbstwertempfinden ist.[2] Mütter achten mehr als Väter darauf, dass sich die Kinder angemessen verhalten, ganz besonders im öffentlichen Raum. Sie sind eher darauf fixiert, dass sich die Kinder ihren Vorstellungen entsprechend entwickeln. Hier spielen auch wieder die umfassendere Wahrnehmungsfähigkeit und die größere Interpretationsfähigkeit der meisten Frauen eine Rolle, denn sie sehen mehr an vermeintlichen Fehlern bei den Kindern als die meisten Männer.
Der Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl und dem Funktionieren der Kinder dürfte mit ein Grund dafür sein, warum sich hauptsächlich Mütter mit Ratgeberliteratur befassen. Auch der Vergleich in den Entwicklungsschritten der Kinder findet fast ausschließlich unter Müttern statt.
Gerade in der frühen Familienphase, wo die Kinder sich noch im vorsozialen Alter befinden [6], zeigen sich kaum Erziehungserfolge, so dass das Selbstwertgefühl der Mütter nicht gestärkt werden kann.
So erklärt sich die geforderte selbstwertrelevante Anerkennung ihrer Erziehungsleistung durch die Väter. Diese können das jedoch nicht einfach leisten, wenn sie anderer Ansicht über die Erziehung der Kinder sind. Sie beschwichtigen dann eher die Mütter, die sich dann unverstanden fühlen.
Die Unterschiede im Selbstwertgefühl müssten vorwiegend die Väter im Blick haben; denn es passiert schneller, dass Mütter von Aussagen verletzt sind als umgekehrt. Solche Verletzungen belasten die Stimmung, was oft von Vätern nicht eingeordnet werden kann. Dies ist insbesondere beim Streitverhalten der Fall.[3]
Für die Mütter mit den wenig selbstwertstützenden Familienarbeiten könnte es hilfreich sein, wenn sie sich dessen bewusst werden, sich auf die kurzfristig sichtbaren Ergebnisse konzentrieren und sich daran freuen.
Dieses Bewusstmachen hilft, weil die geschilderten Prozesse unbewusst ablaufen und sich nur durch ein schlechtes Gefühl zeigen. Im Hinblick auf den Zusammenhang von Selbstwertgefühl und Funktionieren der Kinder reicht es prinzipiell aus, wenn sich die Mütter dies bewusst machen und diesen Zusammenhang immer wieder gedanklich auflösen. Dann können auch sie gelassener mit den Kindern umgehen.
Gegenseitige Anerkennung der Familienarbeit
Dabei sollte nicht vergessen werden, dass gerade dieser Zusammenhang neben der stärkeren Empathiefähigkeit die meisten Mütter immer dazu veranlasst, in der Erziehung und Versorgung der Kinder nie nachzulassen. Das ist wiederum das Kompensatorische bei Männern und Frauen, nämlich die eher gefühlsmäßige Ebene bei den Müttern und die eher kognitive Ebene bei den Vätern, die ebenso die Erziehung und Versorgung der Kinder im Blick haben.
Wenn die Berücksichtigung der unterschiedlichen Fähigkeiten weniger Frust im Familienalltag verursachen, würde der emotionale Raum geschaffen für die fehlende gegenseitige Anerkennung der Familienarbeit. Ein differenzierter Blick auf die Gegebenheiten könnte eine ehrliche Anerkennungsbezeugung hervorbringen, so dass keine Beschwichtigungsaussagen gemacht werden müssen.
von Erika Butzmann
Literaturverzeichnis
Sind Eltern zufrieden und glücklich entwickeln sich ihre Kinder zu kleinen Persönlichkeiten mit einer großen Portion gesundem Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Doch was brauchen Familien, damit Spannungen und Konflikte gar nicht erst aufkommen und wie gestalten sie ihre Beziehung und erhalten sie aufrecht? Was wäre nötig, damit Väter selbstbewusst die Vaterrolle annehmen, die Verteilung der Familienarbeit gerecht aufgeteilt ist und die Unstimmigkeiten im Hinblick auf die Kindererziehung nicht ständig Thema sind. Kann Familie gelingen, wenn das geschlechtsspezifische Denken, Wahrnehmen und Verhalten im täglichen Umgang miteinander berücksichtigt wird?