Im Rahmen meiner Beratungstätigkeit mit Eltern erlebe ich häufig, dass aus Kindern Projektkinder gemacht werden. Dies äußert sich darin, die Kindheit nicht als etwas Eigenständiges und ganz in sich selbst Ruhendes zu sehen, sondern als ein Übergangsstadium hin zum nützlichen und erfolgreichen Erwachsenen. Eine Haltung, die der Philosoph, Pädagoge und Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau schon vor mehr als 250 Jahren in seinem Erziehungsroman „Emile“ treffend auf den Punkt gebracht hat: „Immer suchen sie im Kind den Erwachsenen, ohne zu bedenken, was ein Kind vorher ist.“
Mit anderen Worten: Nicht das Kind als Kind steht im Zentrum der Erziehung, seine Spontaneität, Entdeckerfreude und Begeisterung für die kleinsten und unbedeutendsten Dinge des Lebens, sondern die Vorstellung, was in seinem Leben später einmal aus ihm werden soll. Ängste, die jedes Kind kennt, auch manchmal traurig und unglücklich zu sein, werden dann schnell zum „Störfaktor“, ein Hindernis für reibungsloses Fortkommen. „Spezialisten“ werden bemüht, von denen man schnelle Hilfe erwartet. Doch ein Kind, das die Gelegenheit bekommt, seine Gefühle und seinen Kummer zum Ausdruck zu bringen, bleibt sich selbst und dem, was gerade in ihm vorgeht, treu. Es bleibt unverstellt, lernt mit Krisen umzugehen, und wir sollten es darin unterstützen, statt es uns Erwachsenen angleichen zu wollen.
von Claus Koch
Erstveröffentlichung: Semnos I Pädagogisches Institut Berlin (PIB)
Sind Eltern zufrieden und glücklich entwickeln sich ihre Kinder zu kleinen Persönlichkeiten mit einer großen Portion gesundem Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Doch was brauchen Familien, damit Spannungen und Konflikte gar nicht erst aufkommen und wie gestalten sie ihre Beziehung und erhalten sie aufrecht? Was wäre nötig, damit Väter selbstbewusst die Vaterrolle annehmen, die Verteilung der Familienarbeit gerecht aufgeteilt ist und die Unstimmigkeiten im Hinblick auf die Kindererziehung nicht ständig Thema sind. Kann Familie gelingen, wenn das geschlechtsspezifische Denken, Wahrnehmen und Verhalten im täglichen Umgang miteinander berücksichtigt wird?