Im Oktober letzten Jahres holten wir zwei 8 Wochen alte Katzenbabys zu uns nach Hause. Wir hatten uns lange darauf gefreut und dachten, wir seien gut vorbereitet. Alle nötigen Utensilien waren vorhanden, unser Sohn mit kindgerechten Büchern auf die neuen Mitbewohner vorbereitet und Vor- und Nachteile der Katzenhaltung ausführlich diskutiert worden.
FREUDIGES EREIGNIS WIRD ZUR KATASTROPHE
Was als freudiges Ereignis sehnsüchtig erwartet wurde, entpuppte sich als Katastrophe. Unser Zweieinhalbjähriger konnte nur schwer verstehen, warum er diese niedlichen Wesen nicht ständig hin und her tragen sollte. Er ging aus unserer Sicht zu euphorisch und grob mit den Beiden um und so war unser familiäres Miteinander plötzlich ein einziges Mahnen, Schimpfen und Verbieten.
Zwei Wollknäulchen saßen da in unserem Wohnzimmer und zeigten keinerlei Fluchtreaktionen, wenn sich ein Bobbycar näherte oder wildes Hüpfen auf dem Sofa angesagt war. Der Haussegen hing schief, denn diese Aktion lief überhaupt nicht nach Plan.
EXPERTENRAT: NICHT ZU FRÜH VON DER MUTTER TRENNEN
Am zweiten Tag waren meine Nerven am Ende und mein Mann und ich verbrachten den Abend im Internet, auf der Suche nach Lösungen. In einem Elternforum, indem ich seit der Geburt unseres Sohnes gelegentlich aktiv bin, erklärte ich unsere Situation und erhoffte mir Zuspruch. Ich war mir sicher, Eltern und Tierhalter würden mir versichern, dass dies Anfangsschwierigkeiten seien, die sich mit der Zeit legen würden. Doch Fehlanzeige! Das Elternforum erwies sich als äußerst katzenfreundlich. Wir erfuhren, dass unsere Stubentiger viel zu früh von der Mutter getrennt worden waren. Alle Katzenhalter im Forum waren sich einig, die Kleinen hätten mindestens noch 4 Wochen in ihrem Nest bleiben sollen.
Begründungen wurden geliefert: Katzen lernen in den ersten 12 Wochen alles, was sie für ein gesundes Leben brauchen. Oft werden sie, auch wenn sie schon feste Nahrung essen, noch gesäugt und im Spiel mit den Geschwistern lernen sie Sozialverhalten. Auch die Mutter trägt zur Erziehung ihrer Sprösslinge bei. Die Kleinen lernen an ihrem Vorbild, zum Beispiel, dass es Ärger gibt, wenn man die Gardinen hochklettert oder, dass man die Krallen beim Spielen besser einfährt.
Die Antworten im Elternforum waren respektvoll, unsere Unwissenheit wurde zwar bemängelt, wir erhielten jedoch zahlreiche Lösungsvorschläge und alle setzen sich hilfsbereit und kreativ für eine gesunde Entwicklung unserer Katzenbabys ein. Die Aufklärungsarbeit konnte besser nicht sein, in sämtlichen Katzenforen fanden wir ähnliche Informationen.
Am nächsten Morgen brachten wir die Katzen, nach telefonischer Absprache mit den Vorbesitzern, wieder zu ihrer Mutter zurück und vereinbarten, sie im Alter von 12 Wochen wieder abzuholen. Wer will schon eine Katze, die „einen Knacks“ hat?
NICHT NUR KATZEN-BABYS LEIDEN UNTER ZU FRÜHER FREMDBETREUUNG
Etwa zur selben Zeit postete in eben diesem Elternforum eine junge Mutter einen Beitrag über die Eingewöhnung ihrer Tochter in der Krippe. Die Situation stellte sich für alle Beteiligten schwierig dar. Die Mutter stand unter Druck baldmöglichst ihr Studium wieder aufzunehmen, um in absehbarer Zeit etwas zum Familieneinkommen beizusteuern. Ihre Tochter weinte allmorgendlich bitter und aß in der Krippe kaum etwas, offensichtlich verkraftete sie die Trennung nur schwer.
Das „Mama- Bauchgefühl“ war eindeutig: „Es ist zum Heulen! Die Fremdbetreuung fühlt sich gar nicht gut an, viel lieber würde ich bei meinem Kind bleiben.“ Doch die Lebenssituation schien ausweglos. Von allen Seiten erhielt die junge Mutter Zuspruch und Trost. Andere Eltern berichteten Ähnliches aus der Erfahrung mit ihren Kindern und versicherten, dass sie sich trotz dieser Anfangsschwierigkeiten wunderbar entwickelt hätten. Mit der Zeit würde das Weinen sich auch legen und wenn es eben derzeit nicht anders zu organisieren sei, dann helfe ein schlechtes Gewissen ja schließlich Keinem.
Der aufmerksame Leser hat längst verstanden worauf ich hinaus will. Und er wird sagen: Ja, aber! Schließlich können wir Katzen nicht mit Menschen vergleichen und die Lösung war bei der Katzengeschichte ja viel einfacher. In einem Menschenleben gibt es viele Aspekte zu berücksichtigen und wer kann schon alles umkrempeln, nur weil es mal nicht nach Plan läuft.
ÄUSSERE ZWÄNGE UND BAUCHGEFÜHL IM KONFLIKT
Und ja, ich stimme dem zu! Die Lebenswirklichkeit junger Familien sieht heute kompliziert aus. Oft reicht ein Einkommen nicht mehr, um davon gut zu leben. Kinder werden geboren, obwohl die Ausbildung oder das Studium noch nicht abgeschlossen ist. Frauen wollen ihre berufliche Laufbahn nicht zu lange unterbrechen und wegen einem Kind den Anschluss verlieren. Wer länger als ein Jahr beim Nachwuchs bleibt, gilt als Glucke oder faul oder beides.
Das Selbstbewusstsein junger Eltern leidet unter falschen Darstellungen in Hochglanzmagazinen, in denen Babys schon kurz nach der Geburt durchschlafen, stillen und arbeiten ganz einfach zu meistern ist und Frauen nur dann modern sind, wenn sie Familie und Beruf spielend vereinbaren. Der letzte Rest Intuition wird von der Berichterstattung in den Medien, wonach die frühe kindliche Bildung das A und O ist, zunichte gemacht.
Das alles sind Fakten, die sich nicht wegreden lassen und sicher ist es nicht leicht, auf sein Bauchgefühl zu hören, wenn sich im eigenen Leben scheinbar unlösbare Konflikte auftun. Doch eine Tatsache, die können wir nicht wegreden: Wir können Katzenbabys nicht mit Menschenkindern vergleichen! Wie viel wichtiger ist die seelische Gesundheit eines Menschen. Wie viel deutlicher sollten wir auf das Leiden eines Kindes hinweisen und die Mutter in ihrer Intuition stärken? Wie viel entschlossener sollten wir Entscheidungen, die sich nicht gut anfühlen, überdenken und wie viel kreativer sein, bei der Suche nach Alternativen?
Nur weil eine Situation zunächst aussichtslos erscheint, heißt das nicht, dass es keine anderen Wege geben kann. Wie viel ehrlicher sollten wir gesellschaftliche und politische Fehlentwicklungen beim Namen nennen, auch wenn es weh tut? Wir machen es uns zu einfach, wenn wir die Probleme weg reden, ohne uns die Mühe zu machen, alle Seiten genau zu betrachten.
Dazu gehört anzuerkennen, dass es viele Kinder gibt, die noch mehr Zeit im eigenen Nest gebrauchen könnten. Zeit, in der sie von ihren Eltern alles lernen, was man für ein Menschenleben braucht. Manchmal, da gibt es Situationen im Leben, in denen es an der Zeit ist, etwas um zu krempeln, damit alle wieder glücklich sind und keiner ein schlechtes Gewissen oder gar „einen Knacks“ kriegen muss.
ES GEHT HIER NICHT UM KATZEN, ES GEHT UM MENSCHEN!
von Simone Vogel