Johann ist außer sich - Foto Adobe Stock © WimbledonJohann kam mit 10 Monaten in die Krippe und wird heute mit 2 Jahren und 6 Monaten dort bis nachmittags um 16 Uhr betreut. Seit Beginn der Krippenzeit hat er extreme Wutanfälle, schreit sich in Rage, ist nicht zu beruhigen und klammert sehr stark an den Eltern. Sein Essverhalten ist unzuträglich, die Pflegearbeiten gehen nur über Belohnungen und das Schlafverhalten ist kritisch. Der jüngere Bruder wird ständig von ihm drangsaliert. Die Eltern haben immer versucht, ihm das negative Verhalten abzugewöhnen, was keinen Erfolg brachte. Sie sind inzwischen vollkommen hilflos.

Das Verhalten von Johann spricht für ein vollkommenes Außer-sich-sein ohne tragfähige Bindungsbeziehung zu seinen Eltern. Er wurde zu Beginn seiner Bindungsentwicklung von seiner Mutter getrennt und hatte hinterher auch wenig Möglichkeiten dazu, da die Trennungszeiten für Kinder dieses Alters viel zu lang sind. Er konnte also kein Sicherheitsgefühl und kein Urvertrauen entwickeln. So war auch keine innere Stabilität vorhanden und er konnte nur zeigen, wie sehr er außer sich ist. Das „Erziehungsverhalten“ der Eltern hat Johann nur zur Verzweiflung gebracht, da er in seinem Alter noch nicht verstehen konnte, was die Eltern von ihm wollten.

Hier könnte nur eine langzeitige Auszeit aus der Gruppenbetreuung helfen, was durch die Berufstätigkeiten beider Eltern und fehlender Großeltern nicht möglich ist. Der angemessenere Umgang der Eltern mit dem negativen Verhalten von Johann wird nur punktuell zu Verbesserungen führen. Es besteht die Gefahr, dass sich die negativen Verhaltensweisen verfestigen. Die Mutter müsste Johann über einige Wochen aus der Krippe herausnehmen. Da Kinder in der frühen Zeit mehr an der Mutter klammern, wäre der Vater in diesem Fall weniger geeignet, um dem Kind die notwendige Entspannungszeit zu geben. Dann könnte sich das Kind von selbst beruhigen und wäre nicht mehr so auffällig. Mit dem reduzierten negativen Verhalten sollten die Eltern moderat umgehen, nicht schimpfen, nicht betrafen, also nicht erziehen, sondern vorübergehend nur die Bindung und Beziehung zum Kind im Blick haben. Ein Anfang dazu ist das unmittelbare Eingehen der Mutter auf das Klammerverhalten von Johann, damit das Kind langsam seine Trennungs- und Verlassenheitsängste verliert und ein Sicherheitsgefühl entwickeln kann.

Dazu müssten die Eltern die ganzen gesellschaftlichen Anforderungen ­­­– mit dem Mythos der Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Hintergrund – ausblenden und nur das Kind in seiner Verzweiflung sehen.

Je problematischer das Verhalten eines Kindes ist, umso mehr Aufmerksamkeit der Eltern für seine aktuellen Bedürfnisse benötigt das Kind. Erst wenn es sich in seiner Verzweiflung verstanden fühlt, kann es sich nach und nach angemessener verhalten. Dabei hilft ein ruhiger Alltag mit spielerischen Aktivitäten ohne den Konkurrenzdruck aus der Gruppenbetreuung. Ein unbefangenes Erkunden seiner Umwelt, die Teilhabe an mütterlichen und väterlichen Aktivitäten in einer Atmosphäre der Leichtigkeit sowie viel gemeinsame Zeit bei alltäglichen Dingen helfen dem Kind, seinem bisher ungestillten Verlangen nach familiärer Sicherheit und Verbundenheit nachzukommen.

Ein Beitrag aus unserer Praxis-Rubrik:

KinderLeben – besser verstehen


Wenn die frühe Krippenbetreuung für Kinder eine zu hohe Belastung ist, zeigt sich dies in unterschiedlicher Weise an Verhaltensänderungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Mit diesen Beispielen aus der Praxis von Kindertherapeuten, Erzieherinnen, Müttern, Tagesmüttern und ErziehungsberaterInnen wird dargestellt, wie überforderte Krippenkinder reagieren. Damit soll Eltern deutlich gemacht werden, in welcher Form und warum sich die Kinder im Verhalten verändern.

Dr. Erika Butzmann, Entwicklungspsychologin, erklärt nach jedem geschilderten Fall, welches Vorgehen der Eltern notwendig ist, um die Belastungen des Kindes aufzulösen oder zu reduzieren.