Jonas hat sehr liebevolle Eltern, an die er im ersten Lebensjahr eine sehr gute Bindung entwickelte. Als er mit einem Jahr in die Krippe kam, klammerte er sich total an die Mutter und wollte in der Folge nie dort hin. Seine zunehmenden Bitten, bei Mama zu bleiben, wurden überhört, weil es ja normal ist, die Kinder in die Krippe zu geben. Er entwickelte im Laufe der nächsten drei Jahre extreme Ängste in allen Situationen, ob bei Arztbesuchen, Impfen oder Zahnarzt, nichts war möglich. Aktuell mit knapp fünf Jahren beschimpft er seine Eltern rüde, greift die Mutter an, verweigert sich bei allem, so dass die Mutter hilflos ist und flüchten will. Ihre strenge Reaktion darauf verschlimmert das Verhalten von Jonas. Gleichzeitig klammert er sich weiterhin an die Mutter, wenn er in die Kita soll.
Hier hat sich die sichere Bindung aus dem ersten Lebensjahr in eine unsicher-ambivalente Bindung entwickelt, bei der die Kinder wechseln zwischen aggressiver Ablehnung der Mutter und heftigstem Nähe suchen. Da Jonas ein eher ängstliches Kind ist, konnte er die zu frühe Trennung von der Mutter gar nicht vertragen. Die Missachtung seiner klar formulierten Bedürfnisse nach der Mutter hat die Ängste des Kindes auf die Spitze getrieben. Die Verzweiflung von Jonas kam zunehmend in aggressivem Verhalten gegenüber der Mutter zum Vorschein. Wie Neurobiologen beschreiben, führt der von Jonas erlebte Dauerstress zur Vergrößerung der Amygdala, dem Zentrum im Gehirn für negative Emotionen und Angst, so dass er noch sensibler für Ängste wurde. Die Kritik der Eltern für sein Verhalten war dann Auslöser für heftige Ausraster, denn zu viel Angst führt besonders bei Jungen zu Aggressionen.
Nachdem die Mutter und der Vater verstanden hatten, warum Jonas sich so verhält, waren sie sofort bereit, den Jungen aus der Kita zu nehmen, bis er seine Ängste und sein aggressives Verhalten nicht mehr zeigt. Alle Arztbesuche und Impftermine wurden für zwei bis drei Monate hinausgeschoben, damit es keine Rückfälle gibt. Da die finanzielle Situation der Familien gut war, konnte die Mutter zu Hause bleiben, um die Beziehung zu Jonas wieder in eine sichere Bindung umzuwandeln. Sie konnte sich jetzt anders verhalten, weil sie die Not des Kindes verstand. Sie war froh, den angerichteten Schaden durch die zu frühe Krippenbetreuung wieder gut machen zu können.
Wenn die frühe Krippenbetreuung für Kinder eine zu hohe Belastung ist, zeigt sich dies in unterschiedlicher Weise an Verhaltensänderungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Mit diesen Beispielen aus der Praxis von Kindertherapeuten, Erzieherinnen, Müttern, Tagesmüttern und ErziehungsberaterInnen wird dargestellt, wie überforderte Krippenkinder reagieren. Damit soll Eltern deutlich gemacht werden, in welcher Form und warum sich die Kinder im Verhalten verändern.
Dr. Erika Butzmann, Entwicklungspsychologin, erklärt, welches Vorgehen der Eltern notwendig ist, um die Belastungen des Kindes aufzulösen oder zu reduzieren.