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Gabriele Pohl
Familie: Basislager für Gipfelstürmer
Was Familien zukunftsfähig macht
Verlag: Oberstebrink, München
ISBN: 978-3-934333-75-8
224 Seiten
19,95 Euro

„Der Ausstieg aus dem Hamsterrad“ – so überschreibt Gabriele Pohl ihr erstes Kapitel. Ein perfekter Einstieg um die  Lebenssituation der meisten Familien zu beschreiben. Die Eltern zwischen Müssen und Wollen, die Kinder mit Druck in der Schule, Terminen und dem ausufernden Förderwahn.

In ihrem Buch „Familie: Basislager für Gipfelstürmer. Was Familien zukunftsfähig macht“ beschäftigt sich die Autorin mit der heutigen Lebenswelt von Familien und beschreibt sehr klar die typischen familiären Probleme. Dazu gehört eben auch der derzeitige gesellschaftliche Trend zu mehr Individualisierung: flexibel auf Anforderungen reagieren, auf Abruf im Beruf zu stehen und sich dabei auch noch selbst zu verwirklichen. Es ist schwieriger geworden Familie zu leben und dabei allem und allen gerecht zu werden.

Leben wir Familie oder verwalten wir nur?

Gabriele Pohl ist Diplompädagogin sowie Familien- Kinder und Jugendlichentherapeutin. Als fünffache Mutter kennt sie selbst die Anforderungen an Eltern und gleichzeitig die Bedürfnisse der Kinder – und die Schwierigkeiten, beide in Einklang zu bringen. Im Buch gut beschrieben, zeigt sie Möglichkeiten auf, den Druck rauszunehmen und gemeinsam neue Wege zu finden.

Die Kapitel sind untermalt von passenden Zitaten. Am Anfang oder Ende einiger Kapitel finden sich Fragen an den Leser/die Leserin. Sie haben auch mich zum Nachdenken angeregt und eröffnen neue Perspektiven. Die Fragen sind im Prinzip einfach und naheliegend und dennoch macht man sich darüber oft genug keine Gedanken. Zum Beispiel was mir Familie eigentlich bedeutet? Oder in welchen Situationen die Familie am glücklichsten ist?

Familien sind immer noch „in“

Sehr schön beschreibt die Autorin die übliche Elternroutine mit einem einzigen Satz: „Wer macht heute die Kinder?“ Was übersetzt soviel heißt wie: Wer ist heute dran die Kinder nacht-fertig zu machen und ins Bett zu bringen? Klingt nach mühsamer Arbeit, die zu bewältigen ist. Viel schöner ist da doch der Blickwinkel, den die Autorin vorschlägt: Die Kinder auch mal als Privileg zu sehen. Zeit zu genießen und sich mal wieder ins Gedächtnis zu rufen dass es auch Spaß machen kann, seine Kleinen zu versorgen.

Familie ist immer noch „in“. Auch wenn sich die Lebensentwürfe verändern, Familie ist ein Schutzraum, eine Möglichkeit des Zurückziehens, des Kraft Tankens.

Gabriele Pohl geht auch auf die heutige gesellschaftliche Situation ein und auf das Dilemma, in dem sich viele Eltern wiederfinden, zwischen Familienzeit und Existenzsorgen. Dennoch erinnert sie auch daran dass nicht alle Konsumwünsche erfüllt werden müssen und Zeit mit Kindern selbst ein hohes Gut ist. In diesem Zusammenhang greift sie auch das Thema „Neue Medien“ auf.

Im Buch finden sich wunderbare Anregungen zum Thema Familienkultur. Wann halten wir mal inne im Alltag um den Moment zu genießen? Welche Feste feiern wir noch traditionell? Und welche Werte geben wir unseren Kindern mit? Die Lebenswirklichkeit, im Buch sehr treffend beschrieben, sieht mittlerweile anders aus.

Wie geht es den Eltern heute?

Wer kennt das nicht? Gehetzt zwischen Job und Haushalt, die To-Do-Liste scheint immer länger zu werden, endlich wenigstens Feierabend und dann? Kommen die Kinder und haben schließlich auch noch Bedürfnisse die (zu Recht) gestillt werden wollen. Viele Eltern empfinden Familie zunehmend als Hamsterrad, das sich unablässig dreht. Mit ihrem Buch möchte die Autorin genau dort ansetzen und den Eltern helfen, wieder Lust am Familienleben zu entwickeln. Passend dazu gibt es im Buch den „Hamsterradstop“. Was das ist? 30 kleine Tipps und Tricks um sich im Alltag zu entlasten, stressige Situationen zu entschärfen und den Blick auf Kind(er) und Familie zu verändern.

Das beginnt, laut Frau Pohl, schon in der Paarbeziehung. Auch dort lohnt sich ein Perspektivenwechsel. Einige Kapitel des Buches behandeln die Thematik der Paarbeziehung und ihre Funktion als Basis einer zufriedenen Elternschaft. Hier finden sich wahrscheinlich die meisten LeserInnen wieder. Wie schwierig ist es, neben dem Elternalltag noch ein nettes Wort für den Partner zu finden, sich gegenseitig auszutauschen und nicht in Arbeit zu ersticken. Die Autorin hat an dieser Stelle interessante Ideen um den eigenen Umgang mit dem Partner verändern.

Selbstoptimierung, Perfektionsdruck in allen Bereichen, da kann man schon mal schlaflos im Bett enden. Gabriele Pohl kennt die Stressfaktoren des heutigen Lebens und warnt vor Selbst-Überforderung, dem Anspruch, „die besten Eltern“ sein zu wollen. Als Ziel seien vielmehr „genügend gute Eltern“ völlig ausreichend. Niemand müsse perfekt sein und seine Kräfte an eine Illusion verschwenden, sondern einfach da sein, den Moment zu genießen versuchen und Ansprechpartner bleiben, auch wenn es schwierig wird.

Und was brauchen die Kinder?

Genau, was brauchen eigentlich unsere Kleinsten? Sind sie wirklich die kleinen, nervigen Tyrannen, wie es heutzutage so gerne beschrieben wird? Frau Pohl bestreitet dies. Ja, Kinder brauchen Grenzen. Als Schutz, als Sicherheit, aber nicht zur Machtdemonstration. Kinder können Partner sein, die keiner „Dressur“ à la stiller Stuhl oder Smileys für gutes Benehmen bedürfen. Dennoch kann man sie fordern, zur Mithilfe etwa im Haushalt oder bei anderen täglichen Gelegenheiten.

Dabei legt die Autorin auch den Finger in die Wunde und beschreibt klar die heute typischen Erziehungsfallen. Was früher vielleicht zu wenig an Aufmerksamkeit da war, ist heute eben manchmal zu viel. Kinder brauchen einen Platz, wo sie sie selbst sein können, toben, Konflikte selbstständig regeln und nicht alle Steine aus dem Weg geräumt bekommen.

Sehr klar auch ihr Kapitel über „Zu viel von allem“: Kinder haben unter anderem zu viel Zeug, zu viel Programm, zu viel Gerede, kurzum: zu viel von dem, was man auch und besser weglassen könnte.

Ausführlich beschreibt sie die Wichtigkeit einer Essenskultur, die Bedeutung wiederkehrender Rituale und traditioneller Feste. Besonders gefallen, haben mir persönlich die Tipps zur Alltagsgestaltung. Weg von der Anspruchskultur hin zum gemeinsamen Erleben. Pilze sammeln, Blumen pflanzen, Feste gestalten oder einfach mal länger gemeinsam essen, weil es grad so schön ist.

Wie kann es in Zukunft weiter gehen?

Präsente Eltern sind das größte Geschenk, das wir unseren Kindern machen können. In Zeiten der Kleinfamilie mit wirtschaftlichem Druck ist das nicht mehr so einfach. Und alleine ist das kaum zu schaffen. Ganz klar sagt die Autorin aber auch, dass Kinder nun mal am Anfang ein Stück Selbstaufgabe von uns Eltern verlangen. Auch wenn uns oft und gerne etwas anderes erzählt wird.

Hier sind eben auch die Gesellschaft und die Politik gefragt. Diskussionen sind nötig, etwa über eine neue Arbeitskultur und Zeitpolitik. Ebenso muss unsere Gesellschaft wieder bereit sein die Bedeutung der Kindererziehung für die Zukunft wertzuschätzen und zu honorieren und Eltern zu unterstützen, damit sie ihre Aufgaben wahrnehmen können. Tatsächlich aber sehen sich Eltern, die diese Aufgabe mit Hingabe ausfüllen, oft genug an die Ränder des gesellschaftlichen Mainstreams gedrängt.

Zusammenfassend gesagt: In diesem Buch kann sich wohl jeder wiederfinden. Und reichlich Gelegenheit zum Nachdenken gibt es auch. Wir können uns dem Stress der heutigen Zeit nicht immer entziehen, manchmal wollen wir das auch nicht, aber wir können unsere Sichtweise ändern, um Familie wieder zu einem „Basislager“ zu machen. Um es mit den Worten von Gabriele Pohl zu sagen: „Kinder sind in den ersten Jahren anstrengend, das Leben mit ihnen ist auch entbehrungsreich und herausfordernd. Aber was wäre es ohne sie?“

von Vanessa Welker

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Unsere Buchautorin: Gabriele Pohl

*1952, Diplompädagogin und Psychotherapeutin (HPG), tiefenpsychologische und systemische Ausbildung, verheiratet, Mutter von fünf erwachsenen Kindern, Großmutter von 13 Enkelkindern, Mitbegründerin und pädagogische Leiterin von ZWISCHENRAUM für lebensnahes Lernen, für Individualentwicklung und seelische Gesundung , ein intensiv-pädagogisches timeout-Projekt für Kinder und Jugendliche

Seit 30 Jahren unterhält sie ein Figurentheater und ihr therapeutischer Ansatz fußt auf dem Spiel mit der Puppe.

Webseiten: www.zwischenraum-mannheim.de, www.mondschaf.net

weitere Bücher von Gabriele Pohl:
Angsthasen, Albträumer und Alltagshelden
Kindheit – aufs Spiel gesetzt: Vom Wert des Spielens für die Entwicklung des Kindes, Springer Spektrum Verlag