Jesper Juul und Mathias Voelchert
Geborgen und stark
Wie Eltern in Trennung Orientierung und Halt geben
Kösel-Verlag, München
ISBN: 978-3-466-31175-0
144 Seiten
16,00 Euro
Auf drei Eheschließungen kommt in Deutschland mittlerweile eine Scheidung. Ein Thema, das nicht jede, aber doch viele Familien betrifft oder betreffen wird. Denn wenn Familien auseinander gehen, dann ist dies ein langer und oft schwieriger Prozess. Manche sind erleichtert, andere fallen in ein tiefes Loch, es gibt Überraschungen, Kränkungen oder Resignation bei den Erwachsenen. Aber eine Gruppe ist davon immer schwer getroffen: unsere Kinder. Und davon handelt dieses Buch.
Es erreichte mich zu einer Zeit, in der ich selbst mit dem Thema der Trennung beschäftigt war. Und neben dem eigenen Schmerz bewegten mich meist ähnliche Fragen wie wohl viele Mütter und Väter sie kennen: Wie kann ich in dieser Situation meine Kinder bestmöglich unterstützen? Und kann ich überhaupt für sie da sein, wenn es mir selber schlecht geht? Wie spreche ich mit ihnen über dieses sensible Thema?
Für Kinder ist eine Trennung ein Trauma
Jesper Juul beantwortet aufkommende Fragen, die während einer Trennung entstehen, mit seiner bekannten charmanten und pragmatischen Art. Und nicht immer sind seine Antworten vielleicht das, was wir gerne hören. Denn tatsächlich ist eine Trennung für Kinder ein Trauma. Und diese wünschen sich nichts sehnlicher, als Mama und Papa wieder gemeinsam als Eltern zu haben. Das ist für uns Eltern nicht immer leicht auszuhalten. Gerade wenn neue Partner ins Spiel kommen, schwingt manchmal die Hoffnung mit, wir könnten schnell eine glückliche und harmonische Patchworkfamilie bilden. Dies entspricht meist den Wünschen von uns Erwachsenen, weniger denen der Kinder.
In den letzten Jahren hat die Aktualität des Themas „Trennungsverarbeitung“ tendenziell zugenommen. Eltern kämpfen mit den sich widersprechenden Gefühlen der Verantwortung gegenüber sich selbst und gegenüber ihren Kindern. Denn diese stehen im Widerspruch. Während die Eltern bzw. ein Elternteil eine Trennung möchte, wünscht sich eigentlich jeder Beteiligte für die Kinder eine harmonische Familie. Mit diesen Ambivalenzen umzugehen ist nicht einfach. Denn wie können Erwachsenen für sich sorgen, wenn ihre ganze Lebensplanung zerbricht?
Die einzelnen Kapitel behandeln nach thematischen Gesichtspunkten geordnet beispielsweise Folgendes:
Mit welchen Gefühlen haben Kinder nach einer Trennung zu kämpfen?
Wie können Paare auch nach einer Trennung als Eltern verbunden bleiben?
Dabei geht es sowohl um ganz praktische Themen wie die Wohnsituation oder Aufteilung der gemeinsamen Zeit mit den Kindern. Aber auch um die Berücksichtigung der Wünsche von Kindern. Wer fragt eigentlich die Kinder nach ihren Wünschen?
Jesper Juul schlägt uns Erwachsenen vor, mehr in der Gegenwart zu leben. Und sich nicht immer um die Zukunft zu sorgen. „Kann ich den Tag gerade mit meinem Kind genießen?“, ist eine wichtige Fragestellung, weil es uns Eltern meistens sehr schwerfällt, entspannt im Hier und Jetzt mit den Kindern zu bleiben. Und Jesper Juul betont: „Dies gilt nicht nur in der Trennungsphase.“
Elterliche Konflikte können das Kindeswohl gefährden
Das Kindeswohl nimmt ein ganzes Kapitel ein. Dabei geht es den Autoren nicht direkt um die juristische Definition, sondern um die bestmöglichen Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen können. Nicht immer sorgt eine Trennung für einen größtmöglichen Schaden. Der emotionale Schmerz, den Kinder empfinden, ist richtig und notwendig in diesem Prozess.
Erst ein existenzieller Schmerz kann Kinder nachhaltig schädigen. Durch diesen Schmerz können Lebensfreude und Lebenskraft beeinträchtigt werden.
Scheidungen, die durch hochstrittige Eltern geprägt sind, können existenziellen Schaden verursachen. Wenn Eltern sich um Geld, alte Kränkungen, aber vor allem um die elterliche Sorge streiten, dann leiden vor allem ihre Kinder.
„Es ist ganz simpel: Wenn Eltern sich verletzen – ganz gleich, ob die Verletzung von einer oder von beiden Personen ausgeht, fügen sie ihren Kindern […] existenziellen Schmerz zu“, vgl. S. 99.
Kinder lieben beide Elternteile und sie möchten sich nicht entscheiden müssen. Loyalität empfinden sie meist für den Elternteil, der im Zentrum der Kritik steht. Dies ist die wahrscheinlich größte Aufgabe für uns: Den ehemaligen Partner mit Zuwendung und Respekt zu begegnen und ihn als das wahrzunehmen, was er immer sein wird: ein Elternteil. Auch wenn es keine Paarbeziehung mehr gibt, begleitet der ehemalige Partner uns ein Stück unseres Lebens weiter, da die Verbindung durch die gemeinsamen Kinder bestehen bleibt.
Wie spreche ich mit meinen Kindern?
Zwei große Stichworte finden sich dabei im Laufe des Buches, denen Eltern nachkommen sollten:
Verantwortung und Ehrlichkeit.
Verantwortung für mich und meine Bedürfnisse in der Trennung übernehmen, aber auch für die Gefühle meiner Kinder. Und Ehrlichkeit darüber, wie es mir gerade geht. Kinder spüren genau, wenn Eltern nicht ehrlich sind. Sie haben feine Antennen.
Die Autoren betonen, dass es in der Verantwortung der Eltern liegt, für das Wohl ihrer Kinder Sorge zu tragen. Kinder sind dazu nicht in der Lage. Wenn Mutter und Vater dies nicht tun, werden Fachleute diese Verantwortung übernehmen. Und das kann nicht im Sinne der Kinder sein. Eltern tragen gemeinsam die Verantwortung, auch wenn ihre Ehe zerrüttet ist.
Die Autoren raten, Gefühle bei Kindern zuzulassen, zu leben und zu akzeptieren und absolute Ehrlichkeit. Wenn Eltern traurig sind, dann werden ihre Kinder das spüren. Also können sie ihnen auch sagen, dass sie gerade traurig sind.
Trennung: Individuell mit Blick auf die Kinder
Dieses Buch ist für alle Eltern empfehlenswert, die sich gerade Gedanken darüber machen, wie sie diese Trennungsphase überstehen und dabei gleichzeitig für ihre Kinder gut sorgen können. Das Buch beschreibt eine Vielzahl von mehr oder weniger typischen Problemen in Trennungssituationen und bietet viele, zum Teil auch alternative Lösungsvorschläge. Dennoch erheben die Autoren keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder auf den Besitz letzter und allumfassender Wahrheiten. „Es ist eine der möglichen Antworten eines erfahrenen Fachmanns, an denen man sich orientieren kann, oder es ganz anders macht“, vgl. S. 135. Und darauf kommt es ja schließlich an: Dass jede Familie ihren eigenen Weg findet und geht – im Sinne der Kinder und mit Sorge für sich selbst.
von Vanessa Welker
Über den Buchautor: Mathias Voelchert
ist Gründer und Leiter des familylab.de – die familienwerkstatt in Deutschland. Er berät Familien in Trennungssituationen, wobei er anstrebt, dass die Mütter und Väter die Trennungen in Liebe und Gleichwürdigkeit erleben und sie sich als gelingende Beziehung gestalten. Er hat dieses Buch auf der Basis von Vorträgen geschrieben, bei denen sich Jesper Juul dankenswerter Weise filmen ließ. So konnte dieses Buch auch nach seinem Tod im Jahre 2019 entstehen. Webseite: BeziehungimWandel.de
Über den Buchautor: Jesper Juul
(1948 – 2019) war Familientherapeut, Konfliktberater und Gründer von familylab – international, einem Projekt zur Beratung von Eltern. Internationale Bekanntheit erlangte er durch einen respektvollen Umgang mit ratsuchenden Eltern und eine gleichwürdige Art mit Menschen umzugehen, die sich in all seinen Vorträgen und Medienauftritten widerspiegelte, sowie in seinen Büchern immer noch spürbar ist. Webseite: familienwerkstatt – familylab.de