Bostelmann_Antje_Fink_Michael_glueckliche_krippenkinder

Antje Bostelmann, Michael Fink
Glückliche Krippenkinder
Wie Eltern ihre Kinder unterstützen können

Beltz-Verlag
ISBN: 978-3407859648
168 Seiten
7,94 Euro

Das Gegenteil von gut ist gut-gemeint … Es ist gut gemeint von den beiden Autoren, den Eltern von Krippenkindern (Was für eine Bezeichnung!) entlastende Impulse zu geben und Verkrampfungen zu lösen.

Es ist gut gemeint, Eltern zu unterstützen und Verunsicherungen anzusprechen. Es ist gut gemeint, Eltern vor Augen zu führen, was einem Kind in einer Krippe erwarten kann.

Doch ist es gut, dabei wesentliche Fragen, Fakten und Formulierungen unter den Tisch fallen zu lassen? Kann man wirklich die grundsätzliche Frage, ob eine Krippe für ein Kind gut ist, ausblenden? Wieso wehren sich Eltern von Krippen-Kindern, ihre Entscheidung für die Krippe rechtfertigen zu müssen? Immerhin gibt der Staat (und damit die Mitbürger) für jedes Krippenkind weit mehr als 1500 € pro Monat aus, die eben leider nicht von den Eltern selbst übernommen werden.

Das Buch suggeriert den Normalfall „Kinderkrippe“ unter Ausblendung wesentlicher Herausforderungen:

  • Auch wenn Eltern in der Regel gute Krippen aussuchen möchten: In den meisten Fällen bleibt ihnen gar keine andere Wahl, als sich mit dem zufrieden zu geben, was sie vorfinden. Und wenn sich eine Krippe als problematisch erweist, sind die wenigsten Eltern bereit, ihre Entscheidung rückgängig zu machen zum Wohl des Kindes.
  • Völlig übersehen wird, dass Kleinst- und Kleinkinder sich nur eingeschränkt klar über problematische Verhältnisse oder Verhaltensweisen verständigen können. Und wenn man etwas merkt, dann ist das Kind schon zumeist in den Brunnen gefallen.
  • Gerade mit Erziehern/-innen in Kinderkrippen ist die Kommunikation wichtig. Aber es lässt sich nicht über jede Sache reden. Wo man in Grundlagen nicht einig ist, ziehen die Eltern (und das Kind) normalerweise den Kürzeren. Krippenerziehung ist und bleibt nun mal Fremderziehung.
  • Die Wechsel der Erzieher/-innen im Tageslauf und im Falle von Krankheit oder Urlaub werden in dem Buch viel zu wenig zur Sprache gebracht: Natürlich ist es für ein Kind „hinnehmbar“, wenn es von einer anderen Erzieherin nach dem Mittagsschlaf geweckt als zu Bett gebracht wird. Aber ein Hinnehmen ist zumindest hinterfragbar.
  • Ein krankes Kind braucht Ruhe, Zeit, Gelassenheit und Entspannung zur Erholung und Genesung. Wo bleibt dafür Raum, wenn das Kind die Krippe als Normalfall erlebt und die Eltern „nur wegen des Kindes, das krank ist“ Zuhause bleiben müssen …?
  • – die Essenskultur ist in den wenigstens Krippen von den Kindern her bestimmt. Wo bleibt die Frage nach dem Individuellen? Wo kann man unbefangen das Tischgebet anregen?
  • Kleinkinder neigen zum Nachahmen und Kopieren. Sie passen sich schnell an oder werden entsprechend dazu gebracht. Werden hier nicht (wieder) „Herdentiere“ erzogen, bei denen das wichtigste ist, sich einzufügen und nicht aufzufallen?

Die beiden Autoren des Buches suggerieren, es gäbe positiven Stress für Kinder – ohne dass sie dafür Belege bringen. Kinder, die sich ruhig verhalten und verstanden haben, dass Auflehnung nichs ausrichtet, haben durchaus genauso viel Stress, wie man am Speichel ablesen konnte. Hier werden die Eltern ebenso wie zuvor die Kinder ruhiggestellt mit falschen Vorstellungen.

Wozu will man den Eltern die achtstündige Abstinenz vom Kind schön reden? Wird hier die DDRlisierung der Gesellschaft nicht doch übersehen? Die Sicht auf das Kind zeichnet sich auch dadurch aus, ob und wie man Kinder ansieht. Oder wie Rolf Zuckowski gesungen hat in „Deutschland, deine Kinder“: „oder sind sie nur eine Last?“.

Ich hätte mir auf den gut 150 Seiten mehr differenzierte Darstellungen gewünscht, die den Eltern nicht die Auseinandersetzung nimmt, sondern diese ihnen geradezu zutraut. Doch dies wurde versäumt – ob das zufällig war?
Jedenfalls ist das Buch voll von Suggestion und Propagierung von Krippenerziehung, ohne problematische Punkte wenigstens ansatzweise ansprechend zur Sprache zu bringen. In diesem Sinne ein geradezu gefährliches Buch, das Eltern in falscher Sicherheit wiegt.

Hilfreich ist jedoch, dass die Autoren ihre Herkunft vom Klax-Verband und damit etlicher Krippeneinrichtungen nicht verbergen, sondern wenigstens in diesem Punkt mit offenen Karten spielen.

Natürlich ließen sich manche Mißstände durch hohe finanzielle Investitionen reduzieren (Gruppengröße, Ausstattung, Erzieherinnenausbildung usw.). Doch diese Investition ist letztlich eine Utopie und kann das eigentliche Problem der Bindung im Kleinkindalter an wenige feste Bezugspersonen nicht lösen.

Schade, dass dieses Buch mehr zur Unterschlagung als zur Unterstützung beiträgt …

Doch das Gegenteil von gut ist eben gut-gemeint …!

von Dr. Reiner Andreas Neuschäfer

Kompetente Autoren verklären die Wirklichkeit

Der Titel suggeriert etwas, was dem Inhalt des Buches nicht entspricht. Aber das ist ja Methode des Mainstreams. Den Autoren ist es nicht anzulasten, denn sie beschreiben sehr detailliert und hilfreich, wie Eltern ihr Krippenkind unterstützen können. Beide sind auch Kunstpädagogen, Antje Bostelmann hat das Bildungskonzept KLAX entwickelt. Sie ist mit diesem Konzept Bildungsträgerin von Krippen und Kindergärten in Deutschland und Schweden. Das Konzept ist fachlich fundiert und wird sicher bei erfolgreichem Einsatz in den Krippen den Kindern helfen. Im Buch werden alle wichtigen Bereiche der Krippenbetreuung ausführlich behandelt, so dass es eine gute Unterstützung für Krippeneltern darstellt.

Wie kommt es also, dass bei so viel Kompetenz wichtige Aspekte völlig ausgeblendet sind? Die Sozialpsychologie erklärt dies mit der Dissonanz-Theorie: Wenn ein Mensch eine Entscheidung getroffen hat, versucht er alle dagegen sprechenden Fakten schön zu reden oder zu ignorieren. Und wenn der Mensch es nicht schafft, sich immer wieder einmal selbst zu hinterfragen, kann es zu schmerzhaften Fehlentscheidungen kommen.

Wo sind nun die Dissonanzen in dem Buch „Glückliche Krippenkinder“?

Zuerst fällt auf, für das Wohlbefinden der Kinder in der Krippe ist ein enormer Aufwand nötig, auf den bei einer Betreuung zu Hause verzichtet werden kann. Das Argument, das diese Dissonanz aufheben soll, ist das allseits bekannte: Die Kinder werden in der Krippe gebildet, dafür ist jeder Aufwand gerechtfertigt. Auch langweilen Kleinstkinder sich zu Hause, da sie dort keine Spielkameraden haben und dort nur den „grauen Alltag“ erleben. Es ist auch unnatürlich, mit nur einer Bezugsperson aufzuwachsen (S. 45f.)!!!

Wie dramatisch all diese Fehleinschätzungen sind, zeigt sich bei der Beschreibung des Stressempfindens bei der Eingewöhnung: Die Erfahrungen zeige zwar, dass die Eingewöhnung die Kinder unter Stress setze, aber „..es ist in den meisten Fällen positiver Stress“. Das Krippenkind „wirkt“ stolz, wenn es den Übergang in die Krippe geschafft hat. „Wer Stress bewältigen kann, verspürt Glück…“ (S.40)!

Es werden nicht nur die Untersuchungen zur Stressbelastung von Krippenkindern bedacht bei einer solchen Aussage, sondern auch die entwicklungsbedingten Fähigkeiten von U3-Kinder maßlos überschätzt. Dass Kinder vor dem Ich-Erkennen weder selbstbewusst noch mutig sind, da sie ihr eigenes Empfinden und Handeln noch nicht reflektieren können, ist den Krippenfachleuten offensichtlich nicht klar! So empfinden Krippenkinder überwundenen Stress nicht als Glück, sondern sie passen sich unbewusst an, um emotional zu überleben. Erst ab 4 Jahren aufwärts sind sie in der Lage, eigene Leistungen wirklich zu reflektieren und Stolz zu empfinden.

Ist die Krippe ein „afrikanisches Dorf“?

Als Beweis für die Notwendigkeit der Krippe hilft auch der Verweis auf das afrikanische Dorf, das gebraucht wird, um Kinder aufzuziehen, nicht (S. 46). Dies ist ein unzulässiger Vergleich mit der Krippensituation, die absolut nichts mit einem afrikanischen Dorf gemein hat. Dieses in der Krippendebatte ständige missbrauchte Bild zeigt das, was Kinder wirklich brauchen: ganz nach den Bedürfnisse des kleinen Kindes in seiner direkten Umgebung zu dem einen oder anderen laufen zu können, zu schauen, was er oder sie macht und hören, was gesagt wird,… und jederzeit wieder zurück zu den Eltern gehen zu können. Das schafft Sicherheit, Urvertrauen, und Bindungen, die die ganze Kindheit und ein ganzes Leben tragen! Eine noch so gut geführte Krippe kann das nicht leisten, besonders dann, wenn die Betreuungszeit über den ganzen Tag geht.

Die vielen Elternfragen in dem Buch, die Sorgen und Ängste formulieren, werden von den Autoren so behandelt, dass die Eltern sich immer in Sicherheit wiegen können. Die sich in den Elternfragen häufig zeigenden Fehleinschätzungen der kindlichen Bedürfnisse werden nie als solche thematisiert, obwohl die Experten Kenntnisse darüber haben müssten.

Die schönen einzelnen Bilder in dem Buch, die zufriedene Kinder zeigen, stehen im krassen Gegensatz zu den immer wieder in der regionalen Tagespresse auftauchenden Gruppenbildern aus Krippen, auf denen alle unter Zweijährigen ausgesprochen traurig schauen. Wenn ein Kind lacht, ist es deutlich älter als zwei Jahre. Die Erzieherinnen lachen immer für den Pressefotografen; kleine Kinder können sich jedoch noch nicht verstellen.

Das Buch wird nicht trotz, sondern wegen seiner Schwächen ein Renner

Das Buch wird nichtsdestotrotz ein Renner werden. Das ebenso schön wie der Krippenfilm „wach, neugierig und klug – Kinder unter 3“ (Bertelsmann-Stiftung) gestaltete Werk wird alle Krippen-Akteure beruhigen. Die kleinen vorsprachlichen Kinder haben dagegen keine Chance, in ihren Grundbedürfnissen verstanden zu werden.

Die schönen Bilder täuschen auch über die gesellschaftlichen Entwicklungen in den anderen, schon lange krippen- und ganztagsbetreuenden Ländern hinweg. Am aktuellen Beispiel aus Schweden lässt sich z.B. die Bildungsthese widerlegen: Der Weser-Kurier vom 4.5.13 meldet: Schwedische Professoren beklagen die Dummheit ihrer Studenten. Die Auflistung der Unfähigkeiten ist erschreckend. Wie kann das passieren in einem Land mit Bildung von Anfang an? Die wissenschaftliche Psychologie hat dafür eine Erklärung: In den ersten zwei Lebensjahres entwickelt sich die Leistungsbereitschaft des Kindes, indem es feststellt, was es bewirken kann und wie die Eltern darauf reagieren. Freuen sich die Eltern über die Freude des Kindes, ist es hoch motiviert, weiter zu machen. Dafür muss die primäre Bindungsperson immer in der Nähe sein, denn kleine Kinder sind ständig aktiv. Gibt es diese Gefühlsspiegelung durch Ignoranz oder Abwesenheit nicht, erlahmt die Leistungsbereitschaft schon sehr früh.

Weitere Beispiele aus diesen Ländern lassen sich für das Sozialverhalten Jugendlicher nennen. Denn die Folgen frühkindlicher Entbehrungen zeigen sich erst, wenn die Kinder sich von ihre Eltern ablösen. Wahrscheinlich müssen wir auch 20 Jahre warten, bis unsere bundesdeutsche Gesellschaft begreift, was sie über viele Jahre erfolgreich ausgeblendet hat.

von Dr. Erika Butzmann

Buchautor Antje Bostelmann
Buchautor Michael Fink

Über die Buchautoren: Antje Bostelmann, Michael Fink

Antje Bostelmann, Mutter von drei Kindern, ist ausgebildete Erzieherin, bildende Künstlerin. Gründeerin von Klax – ein überregionaler Bildungsträger mit Krippen, Kindergärten und Schulen. Sie entwickelte die Klax Pädagogik, ein modernes pädagogisches Konzept, welches das Kind in den Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit stellt und das allen Klax Einrichtungen zu Grunde liegt.

Michael Fink studierte von Ästhetische Erziehung, Kunst- und Kulturwissenschaften an der Universität der Künste Berlin. Er ist als Autor von pädagogischen Sachbüchern sowie humoristischen Texten und Büchern über pädagogische Fragen, weiterhin als pädagogischer Fachberater und Illustrator tätig und gibt Fortbildungen zu künstlerischen oder naturwissenschaftlichen Themen.