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Jan-Uwe Rogge, Angelika Bartram
Lasst die Kinder träumen.
Warum Phantasie wichtiger ist als Wissen.
rororo-Taschenbuch
ISBN 978-3-499-62725-5
304 Seiten

Die Autoren Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram besitzen eine Fähigkeit, die vielen Menschen auf ihrem Weg vom Kind zum Erwachsenen verloren gegangen ist. Es ist die Fähigkeit, in eine magisch-phantastische Welt einzutauchen, in der die Sprache des (inneren) Kindes gesprochen wird. Die schlechte Nachricht lautet: Es ist nicht so leicht, diese Sprache zu erlernen.

Die gute Nachricht ist: Das Buch von Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram hilft Ihnen dabei. Es kann als Phantasie-Lexikon bezeichnet werden, das anhand zahlreicher Beispiele zeigt, wie viel wichtiger Phantasie im Leben ist, als rein kognitives Wissen. Darüber hinaus enthält es praktisch umsetzbare Tipps, die ohne Phantasie-Vorkenntnisse sofort in den Alltag integriert werden können, sodass die Magie der Kindheit auch in uns Erwachsenen wieder spürbar werden darf.

Fehler im System – Wider den elterlichen Förderwahn

Im System ist ein Fehler und der lautet: Bildung nach Plan. Da geht es nämlich nicht mehr um die Persönlichkeit im Ganzen, sondern nur noch um rein kognitive Aspekte und da würde laut Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram die Hälfte des Kindes schlichtweg fehlen. Sie fordern deshalb ein Umdenken in der Gesellschaft und damit in jedem einzelnen von uns.

In diesen Jahren, in denen das Kind an Märchen und phantastische Ereignisse glaubt, […] empfindet es sich als eine Mischung aus Wissenschaftler und Magier, aus Forscher und Künstler. (S. 76)

Blicke man hinter die Kulissen der Kindergärten von heute, würde man dort nur noch selten tobende Kinder vorfinden, stattdessen stünden kognitive Fähigkeiten und Frühförderung auf dem Programm. So lautet die traurige Erkenntnis vieler aktueller Erziehungsratgeber und leider stellen auch Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram gleich am Anfang ihres Buches klar: Spielen ist ‚out‘, Bildung nach Maß ist ‚in‘.

Dabei bemängeln die Autoren gar nicht die Idee der Frühförderung an sich, vielmehr, was dadurch auf der Strecke bleibt, nämlich die magisch-phantastische Phase, und die liegt den Autoren besonders am Herzen.

Sie beschreiben die ersten Lebensjahre, in denen das Kind auf wilde Abenteuerreisen geht, mit der Phantasie im Gepäck und einem ungebrochenen Entdeckergeist als Motor. Es handelt sich um die Phase, in der alles möglich scheint. Jetzt dürfen sich wehende Gardinen in Gespenster verwandeln und die Schubkarre wird zum rettenden Feuerwehrauto. Jetzt darf das Kind über Baumstümpfe hüpfen und sich vorstellen, es würde sonst in einen reißenden Fluss zu stürzen, in dem das Krokodil bereits mit weit aufgerissenem Maul wartet.

Was viele Eltern nicht wissen: Das Kind lernt in dieser Phase ungemein viel, dazu braucht es weder eine Tafel noch sonstige Hilfsmittel. Und genau diese lehrreiche Zeit wird dem Kind geraubt und eigentlich auch den Eltern, so die Kritik beider Autoren.

„Wer den Körper stilllegt, legt die Entwicklung still“, lautet ein Satz im Buch.

Bewegung macht den Meister

Zum Glück gibt es aber Bücher wie das von Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram, die versuchen den Zauber der Kindheit zurückzuholen. Beide sind sich sicher, dass dieser Zauber das beste Werkzeug ist, um in ein kraftvolles und selbstbestimmtes Leben zu starten.

Wer in Bewegung ist, lernt die Dinge zu bewegen – im Äußeren und im Inneren (S. 205)

Kinder brauchen laut Rogge und Bartram wieder Räume, um nach Herzenslust toben und sich mit anderen Kindern messen zu können. Und vor allem brauchen sie Eltern, die sie dabei unterstützen, die sie ermutigen eigene Erfahrungen zu machen, die ihnen zutrauen, Widerständen zu trotzen und die es ohne Seufzer ertragen, dass sich Nils und Marie auch manchmal ein schmutziges Hosenbein oder ein paar Schrammen holen.  Aber was, wenn dazu nicht nur Räume fehlen, sondern auch Zeit?

Hinzu käme laut Rogge und Bartram die Tatsache, dass Eltern immer ängstlicher werden. Wenn der kleine Nils von seiner Mama stets gesagt bekommt, er solle doch nicht auf den Baum klettern, wird er es mit Sicherheit in einem kurzen rebellischen Moment versuchen und mit der gleichen Wahrscheinlichkeit abstürzen, weil er es nicht mit Selbstvertrauen versucht hat.

Die Autoren fordern mutige und aktive Eltern, die mit ihren Kindern auf Wanderschaft gehen und sich anstecken lassen von der wunderbaren kindlichen Phantasie. Gerade das Spielen und Toben im Freien wird im Buch immer wieder erwähnt, weil hier nicht viel vonnöten ist. Die Natur selbst ist der größte Abenteuerspielplatz und wenn es dem ein oder anderen Leser mit Hilfe dieses Buches gelingt, den Blick wieder für alles Faszinierende da draußen zu sensibilisieren, wird auch er viel Freude dabei haben.

Die Phantasie als wichtigster Begleiter auf dem Weg zum Erwachsenwerden

In einem Punkt sind Kinder ihren Eltern meilenweit voraus, und das ist die Fähigkeit zum magisch-phantastischen Denken. Zum Glück muss das nicht so bleiben, denn das Buch zeigt Mittel und Wege, wie auch Eltern wieder Zugang zu ihrer eigenen Phantasie erlangen können. Wichtig ist, dass sich der Leser darauf einlässt und bereit ist, sich selbst zu verändern.

Phantasie ist eine Kraft, die Kindern Stärke verleiht, […] (S. 36)

Kinder haben eine ganz eigene Form sich auszudrücken und die Dinge wahrzunehmen – nicht selten haben wir Erwachsenen das Gefühl unser Kind befinde sich gerade in einer fernen Galaxie und ein wenig ist es auch so. Sie verstehen nicht, warum Nils schon seit einer Stunde an die Decke starrt und aufgeregt von vorbeiziehenden Flugdinosauriern erzählt und warum die kleine Marie den ganzen Nachmittag damit verbringt, ihre Mundmuskulatur durch ständiges Blubbern überzustrapazieren.

Die Antwort ist jeweils ganz einfach: Ja, es fliegen gerade riesige Flugdinosaurier durch Ihr Wohnzimmer und ja, Marie hat sich offensichtlich in einen schimmernden Fisch verwandelt. Das Buch von Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram kann als Art Phantasie-Lexikon bezeichnet werden, was dem Leser die Sprache der Kinder erklären und lehren möchte, um ihn dann selbst auf Abenteuerreise mit dem Kind zu schicken. Denn für beide Autoren ist klar, die Phantasie gehört in eine Kindheit genauso wie eine Gutenachtgeschichte.

Die Phantasie gibt dem Kind Sicherheit, weil sie auf jede Frage eine Antwort weiß. Man stelle sich einmal vor, noch einmal Kind zu sein. Wie viel Neues da auf einmal auf den Menschen einprasselt, ist kaum auszuhalten. Das Kind dagegen hält es aus – und das sogar recht geschickt. Mit Hilfe seiner Phantasie. Die ist in dieser Phase des Lebens das wichtigste Rüstzeug im Rucksack eines Kindes, mit ihr kann dem Schützling nichts passieren. Wenn man das als Erwachsener erst einmal verstanden hat, wird man die nächste Phantasie-Session seines Kindes wesentlich gelassener und offener betrachten.

Hinzu kommt, dass Phantasie unglaublich stark macht. Man nehme das Monster unterm Bett, ein Horror-Szenario für jedes Kind und auch jeden Erwachsenen, denn die Folge lautet: Kind im Elternbett, Erwachsene am nächsten Morgen urlaubsreif. Wenn man dem Kind allerdings zeigt, dass sich das Monster mit Hilfe der Phantasie in eine kleine Maus verwandeln lässt – hierzu gibt das Buch immer wieder zahlreiche Anregungen für weitere Alltagssituationen – dann können alle Familienmitglieder zufrieden und mit genügend Platz einschlafen.

Und was lernt das Kind aus dieser Situation? Dass es stark genug ist, sich solchen bedrohungen in den Weg zu stellen, vielleicht klappt es beim nächsten Mal sogar ganz ohne Mama. Und was zeigt uns Leser diese Situation? Dass auch uns Erwachsenen eine Nachhilfestunde in Sachen Phantasie nicht schaden könnte.

Wenn wir es schaffen, uns auf die Sprache unserer Kinder einzulassen, werden wir laut Rogge und Bartram merken, wie anders wir uns durch das Leben bewegen. Oder wann haben Sie das letzte Mal einen Baum aus nächster Nähe betrachtet und festgestellt, wie wunderbar beruhigend die Natur doch ist?

Dieses Buch soll uns die Chancen zeigen, die das Leben mit Kind für uns bereithält. Es ist die Chance, unsere Umwelt durch andere Augen zu sehen, durch Kinderaugen. Dass das natürlich nicht immer leicht ist, machen Rogge und Bartram durchaus sehr deutlich. Zum einen sitzt der zeitliche Druck im Nacken, zum anderen ist Phantasie wahrlich eine Gabe der Kindheit, die neu erlernt werden muss. Hier gibt das Buch eine gute Hilfestellung, wie sich ein magisch-phantastischer Alltag verwirklichen lässt. Als ersten Schritt gilt es ohnehin zu akzeptieren, dass ein Kind in einem anderen Land lebt, einem Land in dem die Logik der Erwachsenen keinen Zutritt hat und in dem alles möglich ist.

Der Zauber des Märchens

Wenn ein Kind der Geschichte eines Märchens folgt ist es, als würde es selbst darin eintauchen und eine Rolle daraus übernehmen. Durch dieses Verschmelzen mit der magisch-phantastischen Welt, werden Erfahrungsräume geschaffen, die einer realen Erfahrung gleichkommen. So werden die Abenteuer des Helden zu den Abenteuern des Kindes und wenn das Monster am Ende der Reise besiegt wurde ist es, als hätte der kleine Nils oder die kleine Marie den fies dreinguckenden Säbelzahntiger mit eigener Kraft überwältigt.

Märchen sind wie Tore ins Reich der Phantasie (S. 125)

Nun sind Märchen ja für viele Leser – auch für mich war das so, bevor ich das Buch gelesen hatte – einfach nur Geschichten, die Kinder scheinbar gerne hören, sehen und später lesen. Die Autoren Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram haben mich allerdings davon überzeugt, dass Märchen weit mehr sind, als schöne Kindergeschichten. In ihnen steckt das Leben, mit all seinen Facetten. Und weil Kinder in der Lage sind, ihren ganzen Körper mitfiebern zu lassen, sich hineinzuversetzen und Freude und Angst tatsächlich zu empfinden, lernen sie durch Märchen stets etwas für ihr eigenes Leben. Meist ist es die Erkenntnis: Egal wie schwach und klein du bist, du kannst es schaffen. Und was gibt es schöneres für Eltern, als ein Kind, was das verinnerlicht hat?

Kinder und Medien

Obwohl Medien für zahlreiche Erwachsene eine große Rolle spielen, sei es im Beruf oder in der Freizeit, gelten sie im Bezug auf Kinder immer noch als großes Streitthema. Zum Glück werden sich Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram einig: Mauern bauen gegen alles Neue hilft nichts, besser ist es, einen guten Mittelweg mit den Medien zu finden. Der Leser bekommt brauchbare Tipps, wie dieser Mittelweg aussehen kann.

Die Basis sollte das eigene kindliche Spiel sein. (S. 195)

Dafür ist in den Augen der Autoren zunächst einmal wichtig, ob ein Kind die nötigen Grundlagen bekommen hat, um mit den Medien richtig umgehen zu können. Damit ist nicht gemeint, dass man den Laptop fehlerfrei bedienen kann, vielmehr ist von der Seelenebene die Rede. Wenn Eltern ihre Kinder mit Liebe, Geborgenheit, Wertschätzung und Vertrauen durch ihre ersten Lebensjahre begleiten, sei das die beste Voraussetzung um der technischen Welt eine starke Persönlichkeit entgegenzusetzen.

Auch ist es laut Rogge und Bartram wichtig, dass ein Kind seine Phantasie in der Realität ausreichend ausleben darf, also genug Raum bekommt, für die eigene Entwicklung. Bekommt es den nicht, wird der Schützling dieses Defizit stets in der virtuellen Welt ausgleichen wollen.

Deshalb stellen die Autoren auch weiter fest: Wenn ein Kind auffällig viel Zeit mit dem Fernseher oder Computer verbringt, liegt der Fehler nie beim Kind, sondern stets beim Erwachsenen.

Hier kommt dann auch die Vorbildfunktion ins Spiel: Wie viel Zeit verbringen wir Eltern vor dem Bildschirm? Wie viel Zeit bin ich bereit mit meinem Kind zu verbringen und vor allem, wie verbringe ich sie? Welcher Raum wird dem Kind zum Spielen gegeben? All das sind Fragen, die den Leser wachrütteln und wieder auf den richtigen Mittelweg führen sollen, zwischen ausgedehnten Abenteuern in der Natur und kleinen Ruhepausen bei einer altersgerechten Sendung.

Eines ist klar und wird auch von den Autoren mehrmals betont: Die Basis sollte stets das kindliche Spiel bleiben. Das heißt, nichts wird jemals das Abenteuer in der Natur oder den Ausflug zum Tierpark ersetzen können, denn nur hier werden alle Sinne und vor allem die Seele eines Kindes berührt.

Bunte Mischung aus wertvollen Informationen und praktischen Tipps

Fazit: Mit diesem Buch schaffen es die Autoren den Leser herauszufordern:
Sind Sie bereit, mit Ihrem Kind auf Gespensterjagd zu gehen? Schaffen Sie es, nicht gleich beim ersten gescheiterten Phantasie-Testlauf die Flinte ins Korn zu werfen?

Immer wieder bauen Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram kleine Übungen, Phantasiegeschichten und Anleitungen mit ein, die nicht nur das Buch, sondern auch den Alltag mit Kind auflockern und leichter machen sollen. Unterstützt werden sie dabei von JauJau, einer Fantasiefigur aus der „Kleine Helden-Reihe“ der Autoren, die immer dann auftaucht, wenn phantastisches Wissen gefragt ist, schließlich ist JauJau Experte für Phantasie und Träume.

Auf Seite 66 lädt JauJau den Leser zu einer Phantasiereise ein, sie beginnt sanft schaukelnd im ewigen Meer, vorbei an leuchtenden Blumenwiesen, hinauf in die Lüfte, höher und immer höher, hinein ins unendliche Blau des Universums, hinabgetragen von einem weichen Wolkenkissen und schlussendlich im warmen Sand endend.

Manchmal dient JauJau auch dazu, Informationen kreativ zu verpacken. Auf Seite 56 führen die Autoren ein Interview mit ihm, zu der Frage, was Phantasie eigentlich genau ist. Hier ein kleiner Auszug:
„Was ist für dich das Besondere an der Phantasie?“
„Für mich ist sie die Kraft, die alles schafft. Mein guter Freund Einstein hat mal gesagt: „Phantasie ist wichtiger als Wissen. Denn Wissen ist begrenzt. Phantasie aber umfasst die ganze Welt.“ (S. 59)

Eine weitere Besonderheit ist mir positiv aufgefallen: Die Rubrik „Tun und Lassen – Fördern oder Bremsen“. Sie folgt an jedem Kapitelende und stellt eine Art Zusammenfassung dar, kategorisiert durch die Fragen „Wodurch wird Phantasie gefördert?“ und „Wodurch wird Phantasie gebremst?“. Durch diesen Zusatz wird alles Wichtige des jeweiligen Kapitels kurz und knapp dargestellt. So genügt es vollkommen, wenn sich Mama oder Papa nach den 300 Seiten Lesespaß nur noch an dieser Rubrik und den Übungen im Buch entlanghangeln, um gewappnet zu sein für ihren neuen phantasiereichen Alltag mit Kind.

von Lorene Friedrich

Buchautor Dr. Jan Uwe Rogge

Über die Buchautoren:

Dr. Jan Uwe Rogge, Autor zahlreicher Bücher für Erziehung, Kinder, Eltern, Familien – vom Säugling über Schulkinder bis zur Pubertät. Sein Motto: Erziehung kann Spaß machen!

Angelika Bartram hat sich mit witzig-phantastischer Unterhaltung in Theater, Hörfunk und Fernsehen einen Namen gemacht. Sie ist Begründerin des phantastischen Erlebnistheaters, arbeitete für die Sesamstraße und schrieb zusammen mit Jan-Uwe Rogge diverse Titel, die alle bei rotfuchs erschienen sind. Außerdem entwickelte die Kölner Autorin das phantastische Erzähltheater.

Eine Sendung auf 3sat nano zu „Helikopter-Eltern“ und „Förderwahn“ und im ZDF-Auslandsjournal über die US-Version dieses Phänomens

40 Videos mit (kommentierten) Szenen zum spielerischen Erkunden und Lernen von Kleinkindern in alltäglichen Situationen: „Ich sehe was, was siehst Du?“. Lerngelegenheiten für Kinder bis 4, eiin Projekt der Bildungsdirektion des Kantons Zürich.