Babys wollen Muttermilch - Foto Mercè Bellera © iStockViele Mythen und Ammenmärchen kursieren über die Muttermilch in den ersten Tagen nach der Geburt. Eins ist klar: Dieser Milch wird zu wenig Bedeutung beigemessen. Was kann den Stillbeginn erleichtern?

Über Kolostrum informiert zu sein, lohnt sich

Seit vielen Jahren bin ich als Hebamme auf einer Wochenbettstation tätig. Vielfach nahm ich wahr, dass das Wissen von Müttern und Vätern zur Beschaffenheit der ersten Muttermilch und zum Stillbeginn teilweise gering und manchmal nicht richtig ist. Im Zuge meiner Ausbildung zur IBCLC Still- und Laktationsberaterin war es mein Ziel, das zu ändern. So hatte ich die Idee, die Kolostrumkarte mit Hörinformation zu entwickeln. Genauso wie mit Umsonstpostkarten geworben und informiert wird, gibt es hier alle Informationen zu Kolostrum – nett verpackt und leicht verdaulich für einen guten Stillstart.

Was ist Kolostrum?

Das ist die erste Milch, die Neugeborene trinken. Kolostrum ist das Startpaket für das kindliche Immunsystem, das ein Baby nach der Geburt erwartet. Kolostrum sieht anders aus als Milch, ist oft weißlich-transparent bis gelblich und wird in kleineren Mengen produziert. Es enthält dreimal so viel Eiweiß wie reife Muttermilch. Dieses Eiweiß besteht überwiegend aus Immunstoffen und ist nicht als Nahrung gedacht. Mit diesen Immunstoffen seiner Mutter wird das Neugeborene besser vor krankmachenden Keimen geschützt. Die weiteren Bestandteile des Kolostrums sind besonders leicht verdaulich.

Ein Baby ist eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch die Nabelschnur gewöhnt. Der Babykörper braucht nach der Geburt viele, viele kleine Mengen Kolostrum. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel stabil gehalten. Der Stoffwechsel kann langsam beginnen und die Darmtätigkeit wird angeregt. Einer Neugeborenengelbsucht wird dadurch vorgebeugt. Eventuelle Übelkeit durch Fruchtwasser wird gelindert. Gene werden angeschaltet, damit das Baby seine vererbten Anlagen möglichst gut nutzen kann. Innerhalb von zehn bis vierzehn Tagen wird das Kolostrum allmählich zur reifen Muttermilch.

Für Frühgeborene gibt es das Kolostrum in größeren Mengen und doppelt so lang. Die Immunstoffe in der Muttermilch können bis zu 12 Wochen lang erhöht bleiben. Frühgeborene brauchen länger mehr Schutz. Der mütterliche Körper gibt diesen Schutz mit der entsprechend angepassten Muttermilch.

Der Stillbeginn

Stillen lernen geht am besten durch Stillen und beginnt mit der Geburt. Stillen nach einer möglichst interventionsarmen Geburt, Haut-zu-Haut-Kontakt von Mutter und Kind (= Bonding) ist der Idealfall. Heute greifen wir in rund 95 % der Geburten mehr oder weniger ein, was auch das Stillen beeinflusst. Bleibt die Phase nach der Geburt ungestört und ist Zeit für einen ausgedehnten Haut-zu-Haut-Kontakt bis nach dem ersten erfolgreichen Stillen, ist sehr viel gewonnen.

Die Umstellung und die neue Verantwortung zu tragen, ist besonders beim ersten Kind für frische Mütter und Väter eine große Herausforderung. Jetzt heißt es, die Theorie in die Praxis umzusetzen, sich auf das Baby und die neue Situation einzulassen, Antworten auf Fragen zu finden, wie etwa: Lege ich das Baby richtig an? Hat das Baby wirklich wieder Hunger? Wie kann ich das Baby zum Stillen wecken? Und warum weint das Baby beim Wickeln oder nach dem Stillen? Diese Zeit in Ruhe gemeinsam zu verbringen, hilft sich aufeinander einzulassen. Mit fachlich guter Information und Unterstützung beim Stillbeginn wird vieles leichter.

Aus dem Alltag auf einer Wochenbettstation

Babys senden feine Stillsignale. Diese sind vielfältig und manchmal unaufdringlich. Das Baby bewegt sich, dreht den Kopf hin und her, macht Saug- und Schmatzgeräusche, öffnet den Mund, streckt die Zunge heraus, mit offenen und auch mit geschlossenen Augen, schnelle Augenbewegungen hinter den Lidern sind erkennbar.

Eltern erwarten eher, dass ihr Kind schreit. Das ist ein sehr spätes Stillsignal. Manche Babys schreien erst sehr spät oder praktisch nie. Andere schreien schnell. Auf jeden Fall ist es schwerer ein schreiendes Baby an die Brust zu legen. Dieses schläft dann – endlich an die Brust gelegt – oft erschöpft durchs Schreien ein und stillt nicht. Das Baby, das eher nicht schreit, hat manchmal mehrfach vergeblich mit geschlossenen Augen seine Arme bewegt, sehr intensiv geschmatzt und hat dann weiter geschlafen als keiner reagiert hat.

Eltern wissen dies oftmals nicht oder übersehen feine Stillsignale teilweise auch, obwohl sie darüber informiert wurden, da es so anders ist, als alles, was sie kennen oder erwarten würden. Manche Eltern sind während der Kennenlernphase mit ihrem Baby auch sehr eingespannt oder abgelenkt durch Besuch, die ganze neue Situation an sich, zu wenig Schlaf, Mediennutzung, soziales Netzwerken, den Termin zum Foto Shooting oder anderes.

Natürlich ist das Baby den Eltern am wichtigsten. Deswegen ist auch der Besuch da. Außerdem schläft es doch so schön. Nach all dem Trubel wird versucht das Baby zu stillen, denn die Zeit ist wie im Flug vergangen. „Es hat keinen Hunger“, sagen mir Eltern, wenn das Baby einfach nicht wach werden will oder nach dem Schreien erschöpft an der Brust einschläft. Sonst hätte es doch geschrien oder würde jetzt stillen. Das Babys Hunger auch mehrfach verschlafen können, ist für Eltern schwer zu verstehen.

Wenn das Baby dann beim Wickeln nichts in der Windel hat, sind die Eltern irritiert. Erst wenn mehrere Male effektiv gestillt wurde, wird Wickeln sinnvoll. Der Stoffwechsel wird durch reichliche Aufnahme von vielen kleinen Kolostrumportionen ja erst richtig in Gang gebracht. Genauso verwirrend ist es für Mütter und Väter, wenn das Baby nach einer Viertelstunde Schlaf bereits wieder gestillt werden will. Was in der ersten Zeit völlig normal ist, um den mütterlichen Körper auf das Stillen und eine reichliche Milchbildung einzustellen.

Was erwartet ein Neugeborenes?

Die wichtigsten Menschen für ein Neugeborenes sind Mutter und Vater. Ein Neugeborenes wünscht sich die Offenheit seiner Eltern, die sich erstmal nur um seine Bedürfnisse kümmern und es mit allen Sinnen kennenlernen wollen. So genießt es häufigen Körperkontakt – Haut auf Haut lernt es seine Eltern fühlend, riechend, hörend, schmeckend und über ihre Bewegungen mit ihm kennen. Liegt es viel auf dem Körper seiner Mutter, wird das intuitive Stillen gefördert, das dem Baby die Möglichkeit gibt, die Brust seiner Mutter selbst zu finden und an der Brust anzudocken. Eine leichte Unterstützung durch seine Mutter hilft ihm dabei.

Neugeborene können nicht warten, denn sie wurden bis vor kurzem über die mütterliche Nabelschnur dauerhaft versorgt. In einen Neugeborenenmagen passen am ersten Tag, nicht aufgedehnt, etwa 7 ml Kolostrum. Der Magen passt sich langsam der zunehmenden Milchmenge an. Das ist der Grund warum ein Neugeborenes 10-12 mal Stillen in 24 Stunden in den ersten Tagen erwartet und weiter in den nächsten vier bis sechs Wochen. Auf diese Weise wird sich ausreichend Milch bilden können. Die Nachfrage regelt hier das Angebot und das Stillen klappt immer besser.

Hat ein Neugeborenes freien Zugang zur mütterlichen Brust, darf es immer stillen, wenn ihm danach ist oder versorgt seine Mutter es regelmäßig mit Kolostrum, wenn Stillen nicht gleich möglich ist, wird damit eine gute Grundlage für ein erfolgreiches ausschließliches Stillen in den ersten sechs Monaten und für eine gute Bindung gelegt.

Bindung und Stillen gehören zusammen

Wenn Mutter und Kind direkt nach der Geburt ungestört frühen andauernder Hautkontakt geniessen können und wissen, warum das wichtig ist, dann wurde ein guter Grundstein gelegt. Entsprechend geschultes Fachpersonal weiß, dass Wiegen und andere Untersuchungen später stattfinden können und bemühen sich Mutter und Baby so wenig wie möglich zu stören.

Diesen Müttern mit ihren Kindern gelingt erfolgreiches Stillen und eine gute Bindung leichter. Gemütlich zurückgezogen, ohne viel Besuch. Das kann für eine Mutter wichtig sein, um die Entspannung zu finden, die die erste Milch leichter fließen lässt.

Fundiertes Stillwissen erleichtert den Stillstart

Den anfänglichen Wunsch aus der Schwangerschaft: „Ich möchte stillen, wenn es klappt.“ unterstützt und begleitet gut geschultes Fachpersonal. Rechtzeitig gut informierte Eltern können einen leichteren Stillstart haben.

Hilfreich ist hier, die von mir entwickelte Kolostrumkarte. Das ist eine Informationsflyer im DIN A6-Postkartenformat mit QR-Code – gerade so groß wie der Mutterpass. Auf ihr gibt es kurze, leicht lesbare Informationen über die Rolle des Kolostrums. Per QR-Code über ein Smartphone können die wichtigsten Informationen zu Kolostrum, dem Stillbeginn, der Stillhäufigkeit und der Entwicklung der Milchmenge hörbar abgerufen und vertieft werden. In welcher Situation Eltern und Kind sich auch befinden und unabhängig von der Unterstützung einer Hebamme oder Stillberaterin kann dieses Wissen immer wieder in ca. fünf Minuten und überall über die QR-Codelesefunktion angehört werden.

So sieht die Kolostrumkarte aus:

Die Hörinformation ist in drei Teile gegliedert:

  • Kolostrum, die Erste. Für Alle.
  • Kolostrum, wenn Mutter und Kind voneinander getrennt sind
  • Kolostrum, wenn eine Mutter ihre Gründe hat nicht zu stillen, kann sie ihrem Baby einige Portionen Kolostrum geben, ohne zu stillen, wenn sie möchte.

Einsatzmöglichkeiten der Kolostrumkarte

Die Kolostrumkarte ist vielseitig einsetzbar und kann auf folgende Weise Mutter und Kind erreichen:

  • bei der Feststellung einer Schwangerschaft durch die Hebamme oder Gynäkologen
  • bei der Geburtsvorbereitung zum Thema Stillen und Wochenbett
  • beim Klinikinformationsabend
  • im Gespräch mit der Hebamme bei der Anmeldung in der Geburtsklinik
  • nach der Geburt entweder im Kreißsaal oder auf der Wochenstation
  • auf der Neonatologie
  • beim primärem Wunsch der Mutter abzustillen gleich nach der Geburt
  • über Ausbildungen und Weiterbildungen des Fachpersonals

Geburts- und Kinderkliniken, die von dem Verein zur Unterstützung der WHO/UNICEF-Initiative „Babyfreundliches Krankenhaus“ (BFHI) e.V. als „Babyfreundlich“ zertifiziert wurden, wissen um die Vorteile des Kolostrums und haben sich zum Ziel gesetzt: Kolostrum standardmäßig für alle Neugeborenen zugänglich zu machen. Denn Kolostrum gehört in den Mund und Bauch eines jeden Neugeborenen.

von Katja Biernath-Kruse

Links zum Thema

weitere Informationen über die Kolostrumkarte

Die zugrundeliegenden Quellen zur Bedeutung des Kolostrums und des Stillens können hier nachgelesen werden: Biancuzzo , M. (2005): Stillberatung – Mutter und Kind professionell unterstützen. München, Urban & Fischer Verlag; Deutscher Hebammenverband (2012): Praxisbuch: Besondere Stillsituationen. Stuttgart, Hippokrates Verlag; Kozyrskyj, A. et al (02/2013): Gut microbiota of healthy Canadian infants: profiles by mode of delivery and infant diet at 4 month. Canadian Medical Association Pdf-Datei; Lang, Ch. (2009): Bonding – Bindung fördern in der Geburtshilfe. München, Urban & Fischer Verlag; Lawrence (2011): Breastfeeding – A Guide For The Medical Profession. Missouri, Mosby, Elsevier; Riordan, J., Wambach, K. (2015): Breastfeeding and Lactation. Fifth Edition, Sudbury,Jones & Bartlett; Schwarz, C.M., Schücking, B. A. (März / April 2004): Adieu, normale Geburt? Dr. med. Mabuse Nr. 148 S. 22–25