Elternchance, KinderchanceElternbegleiter sollen – nach dem Willen der Bundesregierung – die Eltern für ihre Aufgabe in der flexiblen Leistungsgesellschaft fit machen.

6000 Elternbegleiter/-innen sind derzeit in Deutschland ausgebildet, um Eltern die Kenntnisse zum Stellenwert von Bildung in der frühen Erziehung ihrer Kinder näher zu bringen. Sie sollen in Zusammenarbeit mit Krippen, Kindertagesstätten, Familienbildungsstätten, u.a. Eltern ansprechen oder sogar Zuhause aufsuchen (Aufsuchende Familienhilfe).

Wer gehofft hatte, dass hier ein Programm ins Leben gerufen wurde, das Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder zur Seite zu stehen und ihnen wieder den Platz im Leben ihrer Kinder geben sollte, der ihnen eigentlich zusteht, wird vermutlich enttäuscht sein.

Elternkompetenz soll gestärkt werden –
Wie steht es mit der Ausbildung der Ausbilder?

Zwar lesen sich die Programminhalte der Ausbildungsmodule recht geschmeidig und wirken ausgefeilt und kompetent, lösen jedoch angesichts der großen Überschrift „Frühe Bildung“ und der Zielgruppe “Kinder unter 6“ (Krippen und Kita) Gefühle von Unbehagen aus. „Elternchance ist Kinderchance“ heißt es hier, und so sollen aktuelle pädagogische und psychologische Kenntnisse in die Familien, und besonders in die sozial benachteiligten und in die Migrationsfamilien getragen werden.

Dazu soll Elternkompetenz gestärkt werden, indem Kenntnisse zum Stellenwert von Bildung, zur individuellen Förderung und zu Bildungsverläufen vermittelt werden. Und so geht es auch weiter: Bildungsoptionen eröffnen, Schulwahl begleiten, Diagnosen stellen. Bei letzterem geht es darum die Fähigkeiten von Kindern einzuschätzen und nach Bedarf an andere Dienste zu vermitteln. Netzwerke und Kooperationen zwischen Familien und Fachkräften, Schulen und Kinderbetreuung sollen gefördert werden.

Die Lehrpläne beinhalten unter anderem:

  • Wissen und praktische Handlungskompetenz zu Bildungsverläufen und -chancen von Kindern, Lernmöglichkeiten im Familienalltag, Bildungsübergängen und Bildungsbiografien insbesondere in Bezug auf Lernen und soziale Lage.
  • Die Konzeptionierung und Umsetzungsmöglichkeiten aufsuchender Eltern- und Familienbildung in der familiären Bildungsbegleitung.
  • Den Erwerb von interkultureller Kompetenz mit Blick auf den Abbau von Barrieren für Familien mit Migrationshintergrund, von Medienkompetenz, zum Beispiel zum Zusammenhang von Medien und Lernen, von Beratungskompetenz und Netzwerkarbeit.
  • Den Erwerb weiterer Querschnittskompetenzen: Zeitmanagement, diagnostische Kompetenz, partnerschaftliche Kompetenzen wie Stressbewältigung und Problemlösekompetenz sowie Gruppenleiterkompetenzen.
  • Zielgruppenorientierte Ansätze: www.elternchance.de.

Fachkräfte, die im Bereich der Familienbildung arbeiten, können eine dreiwöchige Weiterbildung machen. So kann sich sowohl ein Sozialarbeiter, als auch ein Mitarbeiter der Gesundheits-, oder Kinderpflege für diese Weiterbildung bewerben.

Die Fachkräfte sollen in dieser kurzen Zeit Kenntnisse aus dem Bereich Psychologie, Pädagogik und Gesprächsführung aneignen, die so umfassend erscheinen, dass man mindestens ein Grundstudium damit füllen könnte.

Hier fragt man sich insbesondere, warum zwischen Eltern und Elternbegleiter ein derart großes Gefälle bezüglich der Kommunikationsfertigkeiten angestrebt wird. So lernen die Elternbegleiter beispielsweise, mit welcher Art Fragen ein „Optimales Ergebnis des Elterngespräches“ zu erzielen ist. Eine Familienbegleiterin wird wissen, wann sie besser eine geschlossen, offene, oder Alternativfrage zu stellen hat.

Das sind durchaus wichtige und richtige Grundlagen, jedoch bezweifle ich, dass diese Fachkräfte innerhalb von so kurzer Zeit ausreichend gut geschult sein werden, diese wirklich im Sinne der Elternchance bzw. Kinderchance einzusetzen. Um eine solch bedeutsame Arbeit machen zu können, müsste eine beratende Fachkraft selbst ausreichend Erfahrung und meines Erachtens auch Eigentherapieerfahrungen haben.

Bildung? Bindung? oder was? und wofür?

Auch das Wort Bindung kommt, wenn auch nur im Hintergrund vor, denn kindliche Entwicklung ist ebenfalls ein Thema in dieser Weiterbildung. Doch obwohl hier verstanden wurde, das eine sichere Bindung das Wichtigste für die Entwicklung eine Kindes ist, wird schon zwei Sätze später, alles ad absurdum geführt und mit der Behauptung gestraft, dass es für das Kind nicht wirklich wichtig sei, ob diese Bezugsperson Mutter, Vater oder eine andere Betreuungsperson sei.

So krankt dieses Programm Inhaltlich zwar nicht an fehlender fachlicher Kompetenz, sondern daran unter welcher „Flagge“ es eingesetzt werden soll. Da wurde meines Erachtens noch immer nicht verstanden, was für die gesunde Entwicklung von Kindern notwendig ist. Denn Bildung bedeutet, sich ein Bild machen zu können und dafür ist es erforderlich, dass man ein klares Bild von sich und den anderen in sich trägt. Dafür aber ist sichere Bindung unabdingbare Voraussetzung.

Die frühe, empathische, passgenaue Spiegelung in Kontinuität durch die engste Bezugsperson, vorranging durch die Mutter, führt zur Etablierung gesunder  Objekt-und Selbstrepräsentanzen. Das ist der Grundstein für die Entwicklung einer harmonischen, balancierten Persönlichkeit.

Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken, hieße für mich, sie wieder zu befähigen ihren Kindern Eltern zu sein, wie diese sie brauchen: Eltern die ihren Kindern zunächst die Grundvoraussetzung für eine gesunde Entwicklung bieten, die sichere Bindung, die unbedingt der frühen Bildung vorausgehen muss. Bildung ist wichtig, ohne Zweifel, aber welchen Sinn macht diese Überbetonung von Bildung angesichts der steigenden Zahlen von Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern bereits im Grundschulalter und besonders in Familien sozial benachteiligter Familien und Familien mit Migrationshintergrund?

„Elternchance ist Kinderchance“ –
Was „Elternkompetenz“ tatsächlich bedeuten sollte

Werden die Elternbegleiter Eltern dabei begleiten ihrem Kind diese Grundbedürfnisse so gut wie möglich zu erfüllen? Oder werden sie ihren Blick nur dafür geschult haben, Eltern einen ausgereiften Förderplan vorzulegen, der die „optimale Vernetzung des frühkindlichen Gehirns“ zum Ziel hat und somit das Kind zur „Ressource einer an  Überalterung krankenden Gesellschaft“ ausgerufen hat?

Auf jeden Fall lautet die Botschaft: „Gebt Eure Kinder so früh wie möglich ab, wir machen sie dafür kompetent.“

In meinen Augen wäre eine echte Elternchance = Kinderchance, wenn

  • Eltern die Möglichkeit bekommen, Ursachen für eigenen Blockaden oder Defizite im Umgang mit ihren Kindern zu erkennen. Nachhaltige Stärkung der Elternkompetenz auf dem Hintergrund korrigierter elterlicher Kindheitserfahrungen führt dazu, dass Eltern ihren Kindern Eltern sein können, wie diese sie brauchen.
  • Eltern, ihren Kindern einen sicheren Platz und ausreichend Zeit für die Entwicklung von Urvertrauen und Bindung geben
  • Eltern, ihre Kinder schützen, auch vor einer krankmachenden, dem  Fortschrittswahn verfallenen Gesellschaft
  • Eltern, ihre Kinder unterstützen, indem sie die Einzigartigkeit ihres Kindes erkennen und es so fördern, dass es sich zu dem entfalten kann, was es wirklich ist. Die ihrem Kind gesunde Grenzen geben, freie Spielzeit und Zeit der Förderung und Leistung  ausgewogen dosieren.
  • Eltern, ein glückliches Kinderlachen wichtiger ist als die Pisa Studie

Die beste Chance für ein Kind ist das wirkliche „gesehen werden“ mit seinen Bedürfnissen und Wünschen. Das tiefe verstanden werden in seinem „So Sein“. Dafür sollten Eltern Chancen erhalten, statt dafür fit gemacht zu werden, ihre Kinder früh an fremde Institutionen abzugeben. Eltern sollten nicht vergessen, wie unersetzbar sie für die Begleitung ihres Kindes sind. Wir brauchen Eltern als Kinderbegleiter und nicht Elternbegleiter, die Eltern ermutigen, Kinder von anderen begleiten zu lassen.

Denn der Staat liebt deine Kinder nicht, er braucht sie für seine Zwecke und Kinder sind für ihn kostbare Mangelware in einer Zeit wie dieser.

von Sabine Lück

Links zum Thema

„Nationales Zentrum Frühe Hilfen“, Träger Familienminsterium, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Deutsches Jugendinstitut