Kinderlosigkeit in Deutschland - Foto iStock©LaoshiEine Flut neuer Studien zur sozialen Lage in Deutschland und ihre Folgen für die Bereitschaft, Kinder in diese Welt zu setzen: Die niedrige und noch immer sinkende Geburtenrate in Deutschland hat schon in der Vergangenheit Anlass zu etlichen Erklärungsversuchen gegeben. In diesen Tagen wird eine neue Variante von sämtlichen Medien dankbar – weil medienwirksam – kolportiert.

Erklärt der überzogene Anspruch der Eltern an sich selbst die Kinderlosigkeit in Deutschland?

Angeblich, so die BiB-Studie (Keine) Lust auf Kinder, trauten sich die deutschen Frauen nicht mehr, Kinder zu bekommen, weil sie – besonders in Westdeutschland – überholten Rollenbildern anhingen und dadurch total verunsichert würden. Sie sähen sich angeblich als „Rabenmütter“ (oder glauben, von anderen so bewertet zu werden), wenn sie ihr Kind in fremde Hände gäben. Da ließen sie es lieber ganz bleiben. Vor allem die Kinderlosigkeit von hochqualifizierten Frauen sei so zu erklären.

Danach sind also gerade die Wertvorstellungen einer geglückten Elternschaft – Voraussetzung für eine glückliche Kindheit – die Haupt-Hindernisse für`s Kinderkriegen!?

Werte gegen Umstände – wer muss nachgeben?

Die Lösung des Problems wird offensichtlich in der Entwertung dieser Werte in den Köpfen vor allem der Frauen gesucht. Die sozialpolitische Aufgabe ist demnach nicht die Anpassung der sozialen Lebenslagen an die Wertvorstellungen der Eltern, sondern umgekehrt die Anpassungen der Werte an die sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten. Der „Krippen-Sprint“ liefert dafür denn auch ein passendes Beispiel: Nicht die Verhältnisse sind falsch, sondern die Köpfe!?

Kurios ist die Erklärung auch deshalb, weil genau diese Vorstellungen über die verlässliche Betreuung der Kleinkinder durch die Eltern in den vergangenen Jahren unter dem medialen Trommeln ständig abgenommen hat (Fremdbetreuung U3 wurde vom erzwungenen „Notnagel“ zum sozialen „Bildungsziel“ umgedeutet) und die Nachfrage nach Betreuungsplätzen in der Folge sprunghaft angestiegen ist.

Die etwas verdruckst beifälligen Hinweise auf die höhere Beschäftigtenquote der ostdeutschen Frauen ebenso wie auf die höhere Betreuungsquote für die U3-Kinder und die deutlich höhere Zahl der nicht-ehelichen Kinder lässt vermuten, dass auch in dieser Studie ausgerechnet das Erbe der untergegangenen DDR klammheimlich zum Vorbild für die bundesrepublikanische Zukunft hochstilisiert wird.

Auch erwähnt: Die realen Gründe für den Verzicht auf Kinder

Allerdings führt die BiB-Studie auch zusätzlich alle die Gründe auf, die schon in der Vergangenheit in den Umfragen und Analysen genannt wurden und die jetzt in aktuellen Studien (Beispiel: Zukunft mit Kindern) bestätigt werden: Kinder erhöhen drastisch das Armutsrisiko und verbauen den Frauen den Zugang zu gesellschaftlichem Ansehen und beruflicher Karriere. Dass diese Armuts- und Abstiegsangst nicht hysterisch sondern realistisch zeigen die gliehzeitig erschienen Studien zu Armut, prekärer Beschäftigung und Ausdünnung des Mittelstands (s.unten).

Wo die Zahl der Kinder nicht mehr, wie in vergangenen Jahrhunderten, relevant ist für die individuelle Zukunftssicherung und auch zum Sozialprestige kaum beiträgt, müssten nun eigentlich andere Werte die Lasten der Kinder-Aufzucht rechtfertigen und überkompensieren. Dass aber ausgerechnet diese Werte – das Gefühl der Bereicherung durch Kinder und die Liebe zu den Kindern um ihrer selbst willen –  gleichzeitig als Stolperstein für die „Verfügbarkeit“ der Mütter am Arbeitsmarkt von Politik und Medien „abgewertet“ werden, erklärt ein Stück weit die Konzeptionslosigkeit der aktuellen Familienpolitik.

Politische Schwerpunkte ohne Nachdenken über die langfristigen Folgen

Die versucht, an allen tatsächlichen und vermeintlichen Defiziten gleichzeitig zu reparieren, ohne klare Vorstellung von den eigentlichen Problemen und ohne Vision einer künftigen Gesellschaft. Bei begrenzten Mitteln bleibt es dann notwendigerweise in den meisten Fällen bei guten Absichten und vollmundigen Deklarationen. Milliarden werden eingesetzt für kurzfristige Effekte ohne Rücksicht auf die durchaus bekannten langfristigen Risiken. Auch hier ist der „Krippen-Sprint“ ein schlagendes Beispiel mit seiner Bevorzugung der Quantität über die Qualität und seiner propagandistischen Wirkung auf Eltern-Entscheidungen.

Gleichzeitig nimmt die Desorientierung der Betroffenen, eingeklemmt zwischen den eigenen Wünschen und dem wachsenden Druck der Leistungsanforderungen, ständig zu.

Konflikt zwischen Gefühl und gesellschaftlichem Mainstream führt zu Verwirrungen

Das führt zu so widersprüchlichen Befunden in den Umfragen und Studien wie die Sehnsucht der Frauen und Männer (!) nach viel mehr Zeit und Kraft für Familie und Kinder einerseits und der Forderungen nach Entlastung von der Familienarbeit durch immer mehr Fremdbetreuungsangebote andererseits.

Ein krasseres Beispiel noch der Widerspruch zwischen dem Selbstverständnis der „neuen Väter“ und ihrer Rolle bei der Kindererziehung einerseits und der Tatsache andererseits, dass die Väter mit Kindern in Wirklichkeit mehr Stunden pro Tag bei der Berufsarbeit verbringen, als die kinderlosen Männer, wie eine Untersuchung des BiB in der jüngsten Ausgabe der Bevölkerungsfoschung aktuell zeigt.

Fazit: Nicht die Köpfe, sondern die Umstände müssten zurecht gerückt werden!

von Redaktion fürKinder

Links zum Thema

„Positive Trends gestoppt, negative Trends beschleunigt“, Armutsbericht der Pairtätischen Gesamtverbands – Die Armutsquote nimmt zu trotz Wachstums des Bruttosozialprodukts

IAB Kurzbericht Minijobs

„Deutschland im Baby-Blues“, Spiegel

„Kinderkriegen bei Deutschen so unbeliebt wie nie zuvor“, Focus

„Sinkende Geburtenrate Immer weniger Deutsche wollen Kinder“, FAZ

„Was Frauen in Deutschland abhält, Mutter zu werden“, DIE WELT – Mit interaktiver Karte der Betreuungsquoten in den Ländern

Erläuterungen im Interview der „Berliner Morgenpost“ mit dem Präsidenten der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Günter Stock

ZUKUNFT MIT KINDERN, Mythen, Kernaussagen und Empfehlungen zu Fertilität und gesellschaftlicher Entwicklung, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Nationale Akademie der Wissenschaft