Im „Krippen-Sprint“ haben emprische Studien – im Auftrag der Bundesregierung – eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Familienministerium und Medien haben sich Seit`an Seit` die Wunschergebnisse aus der Daten- und Methodenfülle herausgepickt und wurden dabei von den beauftragten Instituten durch vereinfachende Zusammenfasungen nach Kräften unterstützt.
Abgesehen davon, dass die Ergebnisse solcher Studien natürlich immer davon abhängen, wer, was, mit welchem Interesse, wie fragt und daher welche Daten auswählt und mit welchen Methoden analysiert werden, können auch die Ergebnisse selbst sehr unterschiedlich „gelesen“ werden.
Wie wirkt sich der neue Kita-Rechtsanspruch für Ein- und Zweijährige auf die Entwicklung der Kinder, auf die Erwerbstätigkeit von Müttern und die Geburtenrate aus?
Die Journalistin Birgitta vom Lehn demonstriert diesen Effekt an zwei aktuellen Auftragsforschungen (eines noch unveröffenlticht):
Dem Schicksal ausgeliefert
Kaum ein Thema wurde in den letzten Jahren intensiver diskutiert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat dazu kürzlich eine Studie veröffentlicht Kindertagesbetreuung: Rechtsanspruch.
Ergebnis der vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung: Kurzfristig werde der Kita-Rechtsanspruch zu einem Anstieg der Müttererwerbstätigkeit von bis zu zwei Prozentpunkten führen. Der Anteil der fremdbetreuten Ein- und Zweijährigen werde sich ebenfalls um zwei Prozentpunkte erhöhen.
Hinsichtlich der kindlichen Entwicklung sei mit einer „positiven Beeinflussung“ zu rechnen, schreiben die Autoren. Dies betreffe zum einen die „Alltagsfertigkeiten“ der Kleinkinder, zum anderen „das sozio-emotionale Verhalten“ von Grundschulkindern aus Familien mit niedrigem Einkommen oder sogenannten Mehrkindfamilien. Grundlage der Analyse waren Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) und die damit verbundene Spezialstudie Familien in Deutschland, beides erhoben durch repräsentative, wiederholte Haushaltsbefragungen.
Beim genauen Hinsehen schrumpfen die Ergebnisse fast zur Bedeutungslosigkeit
Schaut man sich die Studie allerdings im Detail an, dann verhält es sich so: Kinder, die ein Jahr länger in der Kita waren, sind in ihrem Verhalten durchschnittlich weiter als Kinder, die einen Monat älter sind. Dieser Entwicklungsvorsprung, abhängig von den Kita-Jahren, schmilzt allerdings dahin, wenn man die Qualität der Kita berücksichtigt: Bei Kindern, die eine sehr gute Kita mit adäquatem Betreuungsschlüssel besucht hatten, spielte es keine Rolle, ob sie ein, zwei oder drei Jahre dorthin gegangen waren – der positive Effekt war der gleiche.
Bezüglich sprachlicher, motorischer und sozialer Fertigkeiten lasse sich insgesamt sogar überhaupt kein kausaler Zusammenhang zum Kita-Besuch und dessen Dauer feststellen, schreiben die Autoren, auch unabhängig von der Qualität der Einrichtung. Das überrascht umso mehr, als gerade dieses Argument – Stichwort „frühkindliche Bildung“ – in der Debatte eine große Rolle spielt. Und:
„Abgesehen davon sagen die Ergebnisse nichts darüber aus, ob die Effekte über die Jahre erhalten bleiben beziehungsweise ob Kinder, die später in die Kita kommen, in ihrer Entwicklung aufholen.“
Langfristige Wirkungen
Bei 17-jährigen Jugendlichen haben die Forscher schließlich darauf geschaut, inwiefern diese überzeugt waren, selbst für ihr Leben verantwortlich zu zeichnen oder sich fremdbestimmt fühlten. Das jugendliche Gefühl der Selbständigkeit wird von den Forschern deshalb positiver bewertet, weil Studien gezeigt haben, dass damit ein größerer Erfolg im späteren Arbeitsleben verbunden ist.
Ergebnis: Jugendliche, die zwei Jahre statt nur ein Jahr in der Kita verbracht hatten, waren stärker überzeugt, für ihr Schicksal selbst verantwortlich zu sein. Allerdings traf dies nur dann zu, wenn sie halbtags in der Kita waren. Bei ehemals ganztags betreuten Kindern überwog im Alter von 17 Jahren das Gefühl, dem Schicksal ausgeliefert zu sein, statt es selbst in der Hand zu haben.
Mehr erwerbstätige Mütter bei immer weniger Kindern?
Derweil sorgt ein Bericht in der „Rheinischen Post“ (RP) für Aufsehen, der über eine noch unveröffentlichte Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim berichtete:
Demnach führe die staatliche Subventionierung der Kinderbetreuung zu einem Rückgang der Geburtenzahl in Deutschland.
In einer Modellrechnung hätten die Forscher simuliert, schreibt das Blatt, wie sich der Ausbau der Kinderbetreuung in einem Geburtsjahrgang auf die Geburtenrate im Folgejahr auswirke. Danach würden zwar 75 000 Frauen mehr erwerbstätig sein, aber zugleich 38 000 Kinder weniger geboren. Insbesondere Mütter mit nur einem Kind würden durch die subventionierte Betreuung zugunsten der Erwerbstätigkeit auf ein weiteres Kind verzichten.
Ohne staatliche Kinderbetreuung würden hingegen mehr Mütter zugunsten der Betreuung ihres ersten Kindes zuhause bleiben, so dass weitere Geburten wahrscheinlicher wären. Ergo: Je mehr Eltern für die Betreuung ihrer Kleinkinder bezahlen müssen, umso eher ziehen sich Mütter vom Arbeitsmarkt zurück, aber umso stärker steigt auch die Geburtenzahl an.
ZEW-Autor Holger Bonin zeigt sich auf Anfrage wenig erfreut über die Vorab-Veröffentlichung der Studie, die ebenfalls im Auftrag der Bundesregierung entstand. Der Volkswirt will den RP-Bericht zwar nicht als Falschmeldung kritisieren, wirft dem Berichterstatter aber „selektives Zitieren“ und „keine gute Recherche“ vor.
Der SPIEGEL hatte ebenfalls über die ZEW-Studie berichtet, dabei aber im Gegensatz zur RP ein positives Ergebnis verkündet: Demnach steige die Geburtenrate dank subventionierter Kinderbetreuung um fünf Prozent.
Warten auf die Veröffentlichung
Bonin erklärt die Diskrepanz in der Berichterstattung damit, dass der Spiegel sich nur auf die Präsentation eines vorläufigen Ergebnisses gestützt hätte, die Zahlen sich seitdem aber verändert hätten und die positiven Effekte „nach unten“ korrigiert werden müssten. Mehr will der Forscher zurzeit nicht sagen. Die Studie sei abgeschlossen und liege seit Anfang Juli bei Familien- und Finanzministerium. „Das ist nun Sache der Ministerien, wann die Studie veröffentlicht wird“, sagt Bonin.
Fragt man beim Familienministerium nach, so erhält man dort allerdings die Auskunft, man solle sich bitte ans ZEW wenden. „Zu Teilergebnissen nehmen wir keine Stellung. Solange die Studie nicht abgeschlossen ist, liegt es in der Verantwortung des ZEW, sich dazu zu äußern“, sagt Sprecher Christoph Steegmanns.
Beim ZEW gibt man sich aber weiter verschlossen. Bonin versucht nur schon mal, das Ergebnis zu relativieren und damit heiße Luft aus dem Ballon zu lassen: „Die Geburtenrate lässt sich mit politischen Mitteln kaum verändern. Die Zahlen variieren nur marginal.“ Aber auch das kann schließlich interessant sein.