Frühkindliches Trauma - Foto ©Kerstin PukallMit viel Spannung und Vorfreude erwartete ich als Trauma-Fachberaterin den Internationalen Kongress frühkindliches Trauma mit dem Titel Sehen – verstehen – behandeln, den die Akademie Ottenstein ausgerichtet hat. Gleich vorneweg möchte ich sagen, dass ich über die Tiefe der Vorträge, die Kompetenz der Referenten sowie über die Aktualität und Relevanz der präsentierten Inhalte hellauf begeistert bin.

Der ganze Kongress ging um frühkindliche Traumata, also um prä- und perinatale Traumatisierungen sowie um Traumata in der frühen Kindheit und alles, was damit zusammenhängt.


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Mögliche Risikofaktoren, sowie auch transgenerationale Prozesse waren genauso Thema, wie die verschiedenen stressbedingten Abläufe in der traumatischen Situation. Schlussendlich wurden verschiedene Ansätze zur Bewältigung von Frühtraumatisierung vorgestellt. In jedem dieser Themenbereiche war eine große Vielfalt von Ansätzen und Fachrichtungen zu finden.

Die erste Stresserfahrung programmiert, wie wir auf späteren Stress reagieren. Dies läuft auf der epigenetischen Ebene ab.

Jörg Bock, Neurobiologe, legte in seinem Vortrag eindrücklich dar, dass früher Stress eine Auswirkung auf die Resilienz-Entwicklung unserer Kinder hat. Anhand von Mäusen konnte man sogar eindeutig feststellen, dass früher Stress nicht nur einen Einfluss auf das Leben derer hat, die den Stress erlebt hatten, sondern auch auf die darauffolgenden Generationen. Dies bei Menschen zu beweisen, braucht etwas mehr Zeit, die Vermutung liegt aber natürlich nahe, dass der Sachverhalt ganz ähnlich ist.

Spannenderweise wurde aber auch herausgefunden, dass wenig und nicht chronischer Stress in der frühen Kindheit positive Auswirkungen auf den späteren Umgang mit Stress hat. Ganz im Gegensatz zu toxischem und chronischem Stress.

Die erste Trennungserfahrung fürs Baby

In diversen Vorträgen ging es um die Geburt und um Geburtstrauma. Eine Geburt ist per se eine Trennungserfahrung und somit für alle Beteiligten, in erster Linie aber für den Säugling mit Stress verbunden.

„Je verbundener sich ein Ungeborenes fühlt, desto eher kann es den Trennungsstress überwinden und verarbeiten“, Matthew Appleton, Kinder- und Jugendpsychologe, Körperpsychotherapeut.

Frühkindliches Trauma - Foto © FotoliaDiese Erkenntnis legt nahe, dass wir uns gut daran tun, bereits vor der Geburt, aber auch danach, die Bindung zum Baby zu stärken. Das Neugeborene wird seine Geburtserfahrungen „erzählen“ und ausdrücken müssen. Das passiert in der Regel über Körpersprache: das sogenannte Erinnerungsweinen. Hier ist Empathie die allerbeste Medizin! Wird auf ein unglückliches Baby nicht empathisch eingegangen, lässt man es zum Beispiel allein im Bettchen schreien, kann es zu einer zweiten stressvollen Erfahrung und damit Verletzung kommen. Dies kann eine Beschädigung oder gar der Verlust des Urvertrauens in die Welt zur Folge haben.

Verschiedene Referenten beschrieben wie Therapeuten mit Babys und Kleinkinder Geburtstrauma verarbeiten. Dies war hochinteressant und macht Hoffnung, dass Kinder in Zukunft ihre frühen Traumata auch früh bearbeiten können.

Stresserfahrungen der Früh- und Neugeborenen

Mary Coughlin, die viele Jahre in den USA auf der Neugeborenen-Intensivstation gearbeitet hat, berichtete über die versteckten Traumata auf der Neonatologie.

Die Trennung von Mutter und Kind kurz nach der Geburt, war sehr oft viel zu früh. Alle Früh- und Neugeborenen, die eine intensivmedizinische Betreuung benötigen, die sich im Überlebenskampf befinden, Schmerzen haben oder etwa reanimiert werden müssen, erleben Grenzverletzungen, die sich traumatisch auswirken.

„Das Neugeborene oder gar Frühgeborene ist nicht vorbereitet für eine Intensivstation.“

So ihre Botschaft.

  • Es ist dafür vorbereitet, zu atmen, weil es Atemluft geben wird.
  • Es ist dafür vorbereitet, zu saugen, weil die Mutter es stillen wird.
  • Es ist hilflos, weil es schützende Eltern hat.
  • Aber es ist nicht vorbereitet für Schmerz, Atemnot, Atemhilfe, Trennung von seinen Eltern, Infektionen, Lärm und Licht etc.

Gefangen in diesem Alptraum von Überforderung müssen frühgeborene Babys einen großen Teil ihrer Energie darauf verwenden, sich vor einer Überforderung ihres Nervensystems zur schützen. Der Kampf gegen die Übererregung wird zu einer notwendigen Überlebensstrategie.

Mary Coughlin plädierte für Menschlichkeit, Verletzlichkeit und Authentizität gerade auch in diesem spitzenmedizinischen Bereich. Sie unterstrich dies mit dem Beispiel von einfacher Knetmasse.

Sobald wir etwas Knetmasse in die Hand nehmen, hinterlassen wir einen Eindruck darauf. Genau so sei es bei Kindern und Familien, mit denen wir zu tun hätten. Dies sollte uns allen, die wir mit verletzlichen und traumatisierten Kindern arbeiten, sehr bewusst sein.

„Traumainformierte Pflege auf der Intensivpflegestation – DAS ist LIEBE“, sagte Mary Coughlin.

Katrin Boger, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, stellte, die von ihr entwickelte „Integrative bindungsorientierte Traumatherapie“ kurz I.B.T.-Methode bei Säuglingen und Kleinkindern vor.

Die I.B.T.-Methode hat sich aus EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) heraus entwickelt und ist angezeigt bei prä- und perinatalen Traumata, Entwicklungstrauma und auch vor anstehenden, potenziell traumatischen Ereignissen wie einer OP.

Mit der I.B.T.-Methode ist es möglich, in Zusammenarbeit mit den Eltern frühe Traumata auf schonende Art und Weise über die reine Elternberatung und der Bearbeitung der Eltern-Kind-Beziehung hinaus zu bewältigen.

Frühkindliche Traumata belasten nicht nur Kleinkinder.

Von daher ist es für jede und jeden ein schwer erträgliches Thema, welches wohl alle am liebsten verdrängen würden. Aus diesem Kongress ging ich dennoch ermutigt und motiviert heraus, da die hier referierenden Wissenschaftler Wege aufgezeigt haben, wie frühkindlicher Traumatisierung und ihre Einflüsse auf die Bindungsfähigkeit präventiv entgegengewirkt werden kann.

Trotz der vielversprechenden Ansätze und den jüngsten beeindruckenden Erkenntnissen aus der Neurophysiologie gilt es, nicht zu vergessen, dass noch viel Forschungsarbeit zu leisten ist. So dürfen wir alle gespannt sein, was für neue Erkenntnisse in den nächsten Jahren noch gewonnen und präsentiert werden.

von Angela Indermaur

Links zum Thema

Kurzzusammenfassungen der Vorträge vom „Internationalen Kongress frühkindliches Trauma“ Sehen – verstehen – behandeln, Akademie Ottenstein

Babygeplauder – Auch Babys erzählen Geschichten

Frühgeborene brauchen mehr Liebe, Bärbel Weygandt, Kinderkrankenschwester

Schrei-Baby-Ambulanz, Emotionelle Erste Hilfe für Eltern, Säuglinge und Kleinkinder in Not, Zepp-Bremen