Gewalt gegen Kinder vorbeugen - Foto Pertair © fotoliaEin erweiteter Kommentar zum Beitrag von Sabine Lück

Unserer Tageszeitung habe ich entnommen, dass im vergangenen Jahr

• 133 Kinder ermordet wurden
• es bei 78 versucht wurde
• 4.237 Kinder (bekannterweise) misshandelt und
• 14.300 Kinder aktenkundig Opfer sexueller Gewalt wurden

bei einer geschätzten Dunkelziffer von 1 Mio. 133 Kinder bei insgesamt 373 Morden (statistisches Bundesamt)! Fast jeden 2. Tag wird  ein Kind ermordet, jeder 3. Mord geschieht an einem Kind und die Öffentlichkeit schweigt dazu.

Warum tötet jemand ein Kind? Oder schlägt es oder missbraucht es? Vermutlich, weil er selbst Gewalt erlebt hat. Die Gewaltspirale dreht sich offenbar ohne Ende weiter.

Kinder frühzeitig schützen vor den Folgen von Gewalterfahrungen der Eltern und Großeltern

Die Gewalt an Kindern steigt trotz der vielen Präventionsmaßnahmen. Die Maßnahmen sind also falsch oder greifen nicht. Meine Vermutung ist, dass zu spät und mit zu wenig Nachdruck angesetzt wird. Es wird erst dann gehandelt, wenn wirklich gravierende Probleme aufgetreten sind. Die Kinder sind dann meistens auch schon älter. Die prägendsten Jahre aber sind, wie wir wissen, die ersten 3 Jahre.

Deshalb muss von Anfang an – am besten bereits in der pränatalen Phase –  allen Akteuren bewusst sein, was  fehlende Bindung, Gewalterfahrung in der eigenen Kindheit und dadurch ausgelöste Persönlichkeitsstörungen (z. B. Borderline) und damit in Zusammenhang stehende soziale Probleme für Auswirkungen auf die Kinder der nächsten Generation haben.

Ich bin der Meinung, man sollte allen Eltern von der Schwangerschaft an Begleitung geben – und diese nicht nur anbieten. Dann wird auch niemand, weder individuell noch als Gruppe diskriminiert (als sozial oder psychisch auffällig, als Ausländer).

Eine Elternschule für alle

Ich stelle mir eine Art Schule vor. Für jede Tätigkeit, die man bei uns verrichtet, braucht es eine Ausbildung, selbst zum Nägel lackieren. Nur die wichtigste Tätigkeit von allen, das Erziehen der eigenen Kinder braucht keinerlei Befähigungsnachweis, sondern man geht davon aus, dass das jeder von selbst kann.

Das könnte in einer Gesellschaft stimmen, die noch niemals traumatisierende Erfahrungen gemacht hat. Vor 10.000 Jahren bei den Jägern und Sammlern? Im Gegensatz zu den Aussagen des Artikels von Frau Lück bin ich der Meinung, dass Verletzungen nicht nur durch die beiden Weltkriege entstanden sind, sondern auch z. B. durch die Erziehungsmethoden vergangener Zeiten oder auch einfach durch Verlusttraumata durch den frühen Tod der Beziehungsperson u.ä.

Das könnte eine Schule sein als eigene Institution mit eigenem Gebäude und besonders ausgebildeten Lehrkräften. Oder man könnte bestehende Strukturen nutzen und für diesen Zweck erweitern. Auf jeder Ebene, auf der Institutionen mit Eltern in Berührung kommen, könnte angesetzt werden. Jeweils mit dem vorhandenen Personal, das entsprechend zusätzlich fortgebildet wurde (von der Hebamme, dem Kinderarzt über die Kindergärtnerin zu den Lehrern) oder auch mit eigens dafür geschultem Personal.

Der Besuch sollte verpflichtend sein

Die angebotenen Vorträge/Schulungen müssten einen verbindlichen Charakter haben. Gesamtgesellschaftlich müsste ein stärkeres Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass jeder sich aktiv darum bemühen muss, selbst die Verletzungen der Vergangenheit / der Ahnen abzustreifen, um diese nicht an die Kinder in endloser Wiederholung der Traumatisierungen weiter zu geben.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf das Buch von Frau Z. Ramadani „Die verschleierte Gefahr“ hinweisen, in dem sie ausführt, wie innerhalb der moslemischen Familien die Frauen unterdrückenden und Männer zu lebensuntüchtigen Paschas erziehenden Werte immer weiter gegeben werden, üblicherweise unter Anwendung von starker psychischer und physischer Gewalt. Eine verpflichtende „Elternschule für alle“ wäre auch hier eine gute Sache.

Bemühte Mittelschicht-Eltern kämen gern und freiwillig. Ansonsten könnte ich mir sogar einen Zusammenhang zwischen dem Besuch dieser Schule und der Auszahlung des Kindergeldes vorstellen.

Am Geld sollte dies alles nicht scheitern, denn augenblicklich haben wir einen Steuerüberschuss und die Politiker machen sich Gedanken, wohin mit dem vielen Geld. Da scheint mir die Investition in eine gesunde junge Generation sinnvoller als z. B. noch mehr Waffen für die Bundeswehr für noch mehr überflüssige Einsätze.

Tote Kinder für die Medien wenig bedeutsam

Was bewegt mich, über den am Anfang genannten Zeitungsartikel nicht nur einfach hinweg zu lesen, wie so viele andere auch? Unsere Zeitung scheint  tote Kinder in Deutschland auch für nicht sonderlich bedeutsam zu halten, da die Artikelüberschrift lautete: „Immer mehr Gewalt gegen Kinder – Smartphone häufiges Tatwerkzeug – Über neun Millionen Webseiten mit Missbrauchsdarstellung“. Schlimm genug.

Bis vor wenigen Jahren hatte ich zwar den Begriff „Traumatisierung“ oder „Borderline“ schon einmal gehört, aber, was das wirklich für die Betroffenen und ihre Angehörigen bedeutet, war mir nicht klar. Genauso wenig meinem Mann, von Beruf Hausarzt. Und unser ältester Sohn, auch Mediziner hat darüber offenbar heutzutage auch nichts Ausreichendes im Studium erfahren. Denn er hat sich in eine Frau verliebt und diese geheiratet, die sich als Borderlinerin herausgestellt hat. Dieses Problem hat unserer Familie schwer belastet.

Vorher hatte ich unsere Familien und mich selbst für normal angesehen; mich selbst allenfalls für ein wenig schüchtern. Dann habe ich mich mit Psychologie beschäftigt und erst einmal mich selbst analysiert und dann unsere beiden Familien genauer durchleuchtet. Dabei bin ich  auf die Theorie des Generation Code, das Phänomen der transgenerationalen Traumaweitergabe gestoßen. Jetzt glaube ich zu wissen, dass eine meiner Großmütter eine ausgeprägte Borderlinerin war und meine Schwiegermutter unter der funktionalen Variante litt; unser Sohn also – von beiden Seiten vorbelastet – Lebensgeschichte wiederholt. Auch sonst habe ich einige Traumatisierungen bei verschiedenen Vorfahren entdeckt.

Und was hat das mit einer Schule für Eltern zu tun?

Es gibt 3 Mio. Kinder, die bei psychisch kranken Eltern leben: das sind bei einer Alterskohorte von 600.000 mehr als 25 % aller Kinder! Man weiß ja mittlerweile, dass es zwar einen kleinen genetischen Anteil an dieser Problematik gibt, dass jedoch ein großer Anteil eben durch diese transgenerationalen Traumaweitergabe verursacht wird. Ein traumatisiertes Elternteil traumatisiert ungewollt mit relativer Wahrscheinlichkeit sein Kind, d.h. das Problem perpetuiert sich von Generation zu Generation. Und immer wieder repariert dann der Staat kostenintensiv die Schäden (Kosten im Gesundheitswesen, Kosten für den Lebensunterhalt von Leuten, die nicht arbeitsfähig sind bis hin zu Gefängniskosten). Vom Leid der Betroffenen ganz abgesehen!

Die beste Möglichkeit wäre natürlich, wenn die Betroffenen eine Therapie machen würden. Aber abgesehen davon, dass es nicht so viele Therapieplätze gibt, fehlt den Betroffenen sehr häufig die Einsicht. Sie finden, dass sie mit ihrem Problem einigermaßen zurecht kommen. Eine Zwangstherapie ist bei uns (außer bei Selbst- und Fremdgefährdung) nicht möglich und wäre vermutlich auch nicht hilfreich. Auch eine individuelle Hilfe von außen ist nur möglich, wenn der Betroffene das möchte.

von Renate Geißler – Gastautorin

Links zum Thema

„Ängste und Traumata“ von Sabine Lück

Über die Macht der Weitergabe, 37Grad, ZDF.de, Dauer 2:44 Min.