Kinderschutz - Von Anfang anZehn Jahre für die seelische Gesundheit von Babys und KindernAm Anfang stand die dramatische Häufung von Kindesmissbrauchs- und Tötungsfällen und die Wahrnehmung rasch wachsender Unsicherheit und Hilflosigkeit bei vielen Eltern kleiner Kinder quer durch alle soziale Schichten.

Hilfe in der (Kinder-)Not

Wirksamer Kinderschutz, so die Erkenntnis der Experten in Wissenschaft und Beratungspraxis, ist nur möglich über die einfühlsame Begleitung und Beratung dieser Eltern. Aus dieser Einsicht entstand die Initiative “Von Anfang an. Hilfe und Beratung für Eltern mit Kindern von null bis drei Jahren”, die in diesen Tagen ihr 10 jähriges Jubiläum in der Bucerius Law School unter der Schirmherrschaft von Frau Senatorin Dr. Melanie Leonhard feiert.

Das darf nie wieder passieren!

Auswirkungen elterlicher Befindlichkeit auf die hochsensible Eltern-Kind-Interaktion kannten Wissenschaftler bereits seit den 80ger Jahren. 1991 führte es in Deutschland zur Gründung der Münchner Schreibabyambulanz. Einige Jahre später entstand die Ambulanz von Dr. Christiane Deneke im UKE (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf),1998 die Tagesklinik für Kinder psychisch kranker Eltern.

Ab 2005 sensibilisierte die Presse mit Berichten über die tragischen Fälle von Kevin, Jessica, Chantal und Yagmur die Öffentlichkeit für die Probleme eines wirksamen  Kinderschutzes und löste damit eine breite Diskussion über  die Konsequenzen aus, da das bisherige Verständnis der “Frühen Hilfen” versagt hatte.

Fortan fokussierte sich  Kinderschutz sowohl auf Bundesebene wie auch lokal auf  Prävention durch Früherkennung der Feinzeichen von Vernachlässigung  und Gewalt. Die Erkenntnisse über die ungeheure Tragweite des geglückten oder schwierigen Lebensbeginns führte auch auf der politischen Ebene zu gemeinsamen Aktivitäten der Bundesministerien für Gesundheit und Soziales und zur Gründung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfe.

An der Universität Ulm forschten Teams um Prof. Fegert und Frau Prof. Ziegenhain für wirksamen Kinderschutz und entwickelten die “Entwicklungspsychologischen Beratungen” (EPB), die mittlerweile als wirksam anerkannt und vielerorts – so etwa durch den deutschen Kinderschutzbund –  Anwendung finden. Hamburg fördert die EPB Weiterbildung der Familienhebammen und Familienkinderkrankenschwestern.

Die große und die kleine Not

Seit der Jahrtausendwende beobachten Fachleute der frühen Kindheit eine zunächst als schleichend wahrgenommene dann schlagartig zunehmende Verunsicherung junger Eltern im Umgang mit ihren Babys und Kleinkindern – selbst  in Familien, die nicht in Notlagen lebten. Diese jungen Eltern finden nicht selbständig einen Zugang zu den für das Gedeihen des Kindes so wichtigen intuitiven elterlichen Kompetenzen. Kleine Dramen spielen sich, von der Öffentlichkeit  unbemerkt, durch Überforderung und Stress in einer zunehmend großen Anzahl von jungen Familien ab. Den vielfältigen Belastungen ohne zuverlässige Entlastung und Unterstützung, wie sie früher die Großfamilien boten, sind diese Familien nicht gewachsen. Wenn Babys auf den Stress in ihrer Umwelt mit körperlichen Symptomen wie vermehrtem Schreien, Trinkschwierigkeiten oder starker Unruhe mit Schlafschwierigkeiten reagieren, belastet das die Familie so sehr, dass es nie zur Entspannung kommt. Unweigerlich kann der Teufelskreis in einer Gewaltspirale enden.

Sowohl in den kinderärztlichen wie auch in den ergotherapeutischen und physiotherapeutischen Praxen erlebt man entwicklungsauffällige Kinder,  die bereits von Anfang an unter diesem Babystress leiden. Der Rückschluss der Fachleute ist: Frühe Hilfen kommen bei Dreijährigen bereits zu spät. Vorsorge, präventive Interventionen „von Anfang an“ sind notwendig..

Expertise und Vernetzung

So entstand der Zusammenschluss von Therapeutinnen, die von Anfang an helfen wollten, damit aus kleinen Nöten keine große Not wird. Die Beratungsstelle “Von Anfang an.” wurde 2007 in Hamburg Winterhude von Birgit Augustin, Dagmar Brandi und Eva Kaiser gegründet  Nach 10 Jahren bietet das Team unter der Leitung von Meike Kollmeyer und verstärkt durch Ute Klöpper-Wenzel, Heike Ladewig und Frauke Pauls in der Beratungsstelle am neuen Standort in der Rothenbaumchaussee 239 sowie an neun externen Standorten jährlich 800 Entwicklungspsychologische Beratungen an.

Die Beraterinnen verstehen sich als „Dolmetscher“  der Eltern für die Sprache ihres Babys und Kindes. Wenn es Eltern gelingt mit Hilfe der Videogestützten Beratungen, die Bedürfnisse ihres Kindes feinfühlig zu erkennen und prompt zu  beantworten, fühlen sich sowohl das Kind wie auch sie selber sicher. Dann bedeutet Elternschaft, die bekanntlich ja etliche Opfer erfordert, mehr Freude als Last. Die sichere Eltern-Kind-Bindung ist der Schlüssel für ein gelingendes Leben.

2017 feiern viele Angebote in Hamburg, welche die Not der Eltern und die kleinen Dramen für die Babys früh erkannten, ihren 10. Geburtstag z.B. die Babylotsen, die kinderärztliche Arbeitsgemeinschaft Frühe Hilfen, die SchreiBabyambulanz und etliche mehr. Vor 10 Jahren wussten sie weder etwas voneinander noch ahnten sie den Umfang des Bedarfs und die riesige Nachfrage voraus. Heute benötigen 60 % aller Erstkindereltern Hilfe der Berater aus verschiedenen Bereichen, die heute in Netzwerken mit unterschiedlichen Methoden gemeinsam daran arbeiten, dass Kinder von Anfang an sicher aufwachsen können. Eine geregelte Finanzierung aber gibt es immer noch nicht.

Guter Start für Hamburgs Kinder: so geht Prävention

Hamburg verfügt heute über eine vielfältige Angebotslandschaft der Frühen Hilfen. Das Landeskonzept „Guter Start für Hamburgs Kinder“ koordiniert die Angebote aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, hat aber kaum finanzielle Mittel zur Verfügung und ist auf Eigenleistungen der privaten Träger angewiesen. Krankenkassen beteiligen sich bisher nicht an der Finanzierung präventiver Leistungen. So missen die Hilfsangebote neben ihrem professionellen Engagement das Einwerben von Spenden organisieren für die Fälle, in denen Eltern sich die Beratungen nicht leisten können.

Der Verein Von Anfang an.e.V. wurde 2010 zu diesem Zweck als Förderverein gegründet. Ein neues Pilotprojekt  “Sicherer Hafen” in Kooperation mit der BerndtSteinKinder Stiftung und der BASFI soll mit bindungsförderlichen Kursen ab der Schwangerschaft flächendeckend allen Eltern den Start in ein glückliches Familienleben ermöglichen – dann wirklich “Von Anfang an“. Die Kurse werden von erfahrenen Kursleiterinnen durchgeführt, die sowohl als Familienhebammen oder Familienkinderkrankenschwestern als auch als EPB-Beraterinnen ausgebildet sind.

von Dr. Dagmar Brandi

Links zum Thema

Von Anfang an. e.V., Beratungsstelle für Eltern mit Kindern von null bis drei Jahren