Kindertagespflege – nicht ganz unproblematisch - iStock © FatCameraIn der Kindertagespflege werden viele Kinder inzwischen von Tagesmüttern und -vätern betreut, besonders wenn sie noch sehr jung sind. Das ist nicht ganz unproblematisch. Eltern wollen damit den Kindern die Fremdbetreuung erleichtern, da die Nachteile der Krippenbetreuung bei einer Tagesmutter nicht im gleichen Umfang vorhanden sind. So sind die Gruppen kleiner, was die Reizüberflutung der Kinder mindert. Es gibt keinen Personalwechsel, so dass die Kinder sich nicht auf andere Betreuungspersonen einstellen müssen und die Atmosphäre ist der ähnlich, die die Kinder von zu Hause kennen. Doch auch diese Kinder haben Probleme mit der zu frühen Trennung von den Eltern, die sich ebenfalls in auffälligem Verhalten zeigen können.

Darüber hinaus besteht die „Gefahr“, dass ein in sehr frühem Alter betreutes Kind oder ein Kind aus einer disfunktionalen Familie eine Primärbindung an die Tagesmutter entwickelt.

Die Bindungssuche des Kindes

In den ersten beiden Lebensjahren entwickelt sich zwischen dem Kind und seiner wichtigsten Fürsorgeperson eine enge Bindung. Das Kind ist in dieser Zeit auf Bindungssuche. Wird es in sehr frühem Alter von einer fremden Person wie einer Tagesmutter betreut, kann sich das Kind primär an diese Person binden. Das wirft oft Probleme für das Kind, die Mutter und die betreuende Tagesmutter auf.

Verbundenheit und Geborgenheit, Autonomie und Freiheit sind die Grundbedürfnisse eines jeden Kindes.

Kinder wenden sich zu der Person hin, die sie liebevoll pflegt, füttert, die mit ihnen zusammen Zeit verbringt und verlässlich verfügbar ist, wenn sie Trost, Nähe und Geborgenheit suchen. Je einfühlsamer und feinfühliger diese Person ist, umso mehr fühlt sich das Kind zu dieser Person hingezogen. Es sucht Schutz, Hilfe und Verständnis für seine Bedürftigkeit genauso wie einen vertrauensvollen, anregenden Umgang.

Wer bietet dem Kind eine stabile liebevolle Bindung?

Kindertagespflege – nicht ganz unproblematisch - iStock © Kyryl GorlovDas Neugeborene braucht menschliche Wärme und jederzeit Zugang zu Nahrung, da sein Magen nur so groß wie seine Faust ist. Der Säugling erwartet körperliche und emotionale Nähe, möchte getragen werden, im Dunkeln nicht allein schlafen, Schutz in unbekannten Situationen und vor Fremden. Je mehr das Kleinkind diese Bedürfnisse stillen konnte, je stabiler entwickelt es sich in seiner Persönlichkeit.

Mütter und Väter, die ihr Kind gut kennen gelernt haben und es gut verstehen können, fällt es leichter herauszufinden, wie viel und ab wann ihr Kind eine Außer-Haus-Betreuung verträgt. Dabei beziehen sie auch seine genetische „Ausstattung“ und das „Temperament“ des Kindes mit ein, um so beurteilen zu können, ob ihr Kind durch eine frühe Fremdbetreuung überfordert ist.

Ist es eher sensibel oder ein robustes Löwenzahnkind, das die Umwelt um jeden Preis erkunden will? Welches Temperament hat das Kind mitbekommen? Ein eher ungeduldiges, impulsives oder schüchternes und ängstliches Temperament?

Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist die frühe Trennung von den Eltern für die meisten Kindern jedoch erst nach dem zweiten Geburtstag verträglich. Vorher belasten aufgrund der fehlenden Erinnerungsfähigkeit immer wieder Stress auslösende Trennungs- und Verlassenheitsängste das Kind.

Was Tagesmütter über das Verhalten der Kinder berichten

Kindertagespflege – nicht ganz unproblematisch - iStock © santypanKleinkinder zeigen sich empathisch, wenn andere Kummer haben. Dies läuft jedoch bei den Ein- und Zweijährigen noch über die Gefühlsansteckung. Sie versuchen nur, das negative Gefühl, das sie von anderen spüren, durch ihr tröstendes Verhalten abzustellen. Es ist kein soziales Verhalten, was oft fälschlicher Weise so gedeutet wird.

Bei aufkommendem Frust verhalten sich viele der ein- und zweijährigen Kinder typisch: Zum Beispiel beißen sie andere. Dies bestätigen auch Krippenerzieherinnen. Das zeigen insbesondere Kinder, die mit dem langen Zusammensein mit Gleichaltrigen überfordert sind. Einige Tagesmütter beschreiben das Verhalten so: „Die Kinder schauen wie weggetreten und beißen dann zu“. Dies geschieht auch in entspannten Spielsituationen und zwar in den Momenten, wenn sich einzelne Kinder bedrängt fühlen. Auch das immer wieder aufflammende Verlassenheitsempfinden kann bei den unter Zweijährigen zu negativen Gefühlen und dem Zubeißen führen.

An den Haaren ziehen, andere schubsen, Spielzeug wegnehmen, Anschreien, Hauen, auf Kleinere draufsetzen sind weitere übliche Verhaltensweisen von Kindern, da ihnen das Bewusstsein über das eigene Empfinden und das Empfinden der anderen noch fehlt.

Tagesmütter berichten, dass die Kinder beide Verhaltensbereiche zeigen – die, die eher als sensibel und schüchtern gelten, zeigen negatives Verhalten nicht so sehr, hauptsächlich dann, wenn sie dauerhaft überfordert sind.

Auswirkungen von fehlender Mutterbindung

Ist die Mutter für das Kind in den ersten zwei Jahre zu wenig präsent, suchen sich die Kinder die Bindungsperson, die am verlässlichsten über den ganzen Tag zur Verfügung steht. Die Tagesmutter oder die Krippenerzieherin wird dann zur primären Bindungsperson, diese kann dann zur Ersatz-Mutter werden. Problematisch wird es, wenn das Kind in den Kindergarten wechselt und die Beziehung zu der Tagesmutter abbricht. Dieser Beziehungsabbruch kann für das Kind traumatisch werden, auch dann, wenn die Tagesmutter den Übergang zum Kindergarten mit dem Kind thematisiert.

Kindertagespflege – nicht ganz unproblematisch

Übernimmt die Tagesmutter die Aufgabe der stabilen, belastbaren und langfristigen Betreuung, zeigen einzelne Tageskinder, die sie sehr früh und lange am Tag betreut hatten, auch im Jugendalter noch Bindungsanstrengungen. Sie wollen dann ihre Probleme mit der Tagesmutter besprechen und nicht mit der Mutter. Diese besondere enge Beziehung zwischen Kind und der Tagesmutter als wichtigster Fürsorgeperson entstand aufgrund fehlender ausreichender Mutterbindung.

von Redaktion fürKinder in Zusammenarbeit mit der Erziehungswissenschaftlerin Dr. Erika Butzmann

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Wenn die frühe Krippenbetreuung für Kinder eine zu hohe Belastung ist, zeigt sich dies in unterschiedlicher Weise an Verhaltensänderungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Mit diesen Beispielen aus der Praxis von Kindertherapeuten, Erzieherinnen, Müttern, Tagesmüttern und ErziehungsberaterInnen wird dargestellt, wie überforderte Krippenkinder reagieren. Damit soll Eltern deutlich gemacht werden, in welcher Form und warum sich die Kinder im Verhalten verändern.

Dr. Erika Butzmann, Entwicklungspsychologin, erklärt nach jedem geschilderten Fall, welches Vorgehen der Eltern notwendig ist, um die Belastungen des Kindes aufzulösen oder zu reduzieren.