Die kleine Yar Makoi aus dem Südsudan ist unterernährt. Der Brei hat nicht gereicht, erklärt ihre Mutter, Ayen Kuac. Sie hat alle ihre Kinder gestillt, aber als der letzte Familienzuwachs kam, waren ihre Brüste leer, schreibt UNICEF.
Im Rumbek Hospital zeigt das Maßband am Oberarm des Mädchens rot an – eine extrem ernste Situation. Um schwere Spätfolgen für das Kind zu verhindern, ist schnelles Handeln notwendig. Doch das Land erschüttern immer wieder extreme Wetterphänomene wie Überschwemmungen, was die Nahrungsmittelknappheit verschärft; und auch verstehen lässt, warum die Muttermilch versiegte – auch die Mutter ist unterernährt.
Das ist nur ein Beispiel von unzähligen Schicksalen, die Kinder täglich weltweit ereilen.
Um zu einer nachhaltigen Entwicklung für alle Menschen, den einzigen Planeten, den wir haben und den Wohlstand beizutragen, formulierten und verpflichteten sich die Vereinten Nationen (UN) mit ihren 193 Mitgliedstaaten eine globale Nachhaltigkeitsstrategie einzuhalten.
Die Ziele der Agenda 2030 fassten die Staaten in 17 Entwicklungszielen zusammen. Diese zeigen auf, in welchen Bereichen wir alle zusammen umweltfreundlich handeln können. Das 2. Ziel der Agenda lautet: »Kein Hunger«- Ernährung weltweit sichern durch nachhaltige Landwirtschaft.
„Muttermilch ist von Haus aus grün, da sie erneuerbar, umweltfreundlich, natürlich ist. Sie wird ohne Umweltverschmutzung produziert und geliefert,“ betont die Aktionsgruppe Babynahrung e.V. in ihrer Pressemeldung zur Weltstillwoche 2020.
Wohingegen durch massenhafte Produktion und der Vertrieb von Muttermilchersatzprodukten wichtige Ressourcen vernichtet werden wie die Abholzung der Wälder für Weideflächen oder der Verbrauch von Unmengen an Trinkwasser für die Herstellung und Zubereitung von Babynahrungsprodukten.
Die Ziele der Agenda 2030 sollten Anlass geben, die Förderung des Stillens als gesundheitspolitische und gesellschaftliche Aufgabe endlich zu begreifen. Denn Stillen kann im Vergleich zu künstlich hergestellter Milch einen wichtigen Beitrag zu fast allen relevanten Umweltproblemen leisten – so etwa in Bezug auf Treibhausgase, Müll und Ressourcenverbrauch und Mangelernährung.
Welchen Beitrag das Stillen effektiv dazu beitragen kann, wird deutlich, wenn wir uns vor Augen halten, dass alle 20 Sekunden ein Baby auf der Welt stirbt, weil es nicht adäquat ernährt wurde. UNICEF und WHO schätzen, dass jährlich mindestens 1,5 Millionen Säuglinge sterben, weil sie nicht gestillt, sondern mit künstlicher Säuglingsnahrung gefüttert wurden. Der Tod von bis zu 55 % der Kinder, die jedes Jahr an Diarrhö und akuten Atemwegserkrankungen sterben, ist das Ergebnis von unangemessener Säuglingsernährung. Unnötigerweise erkranken weltweit immer noch 6 bis 7 Mill. Kinder durch die Verwendung von Flaschennahrung, da die Kinder um die vielschichtigen Vorteile der Muttermilchernährung gebracht werden, schadhafte Produkte immer wieder auf den Markt gelangen und die Zubereitung für Mütter, die etwa nicht lesen können, zu komplex ist oder sie keinen Zugang zu frischem Trinkwasser haben. Auch fehlt ärmeren Familien das notwendige Geld, um ausreichend Babynahrung zu kaufen und so wird die Nahrung gestreckt!
Beunruhigt über das Ausmaß, indem ungeeignete Säuglingsernährung zur globalen Belastung mit Krankheiten beiträgt, hat die WHO bereits 2001 die Empfehlung ausgesprochen, alle Kinder während der ersten 6 Lebensmonate ausschließlich zu stillen. In den Global Nutrition Targets bekräftigt die WHO, dass die Quoten des ausschließlichen Stillens in den ersten sechs Monaten bis zum Jahr 2025 auf mindestens 50 % steigen sollen. In 2018 wurden in Deutschland nur 8,3 % der Kinder ausschließlich gestillt d.h. sie bekamen nur Muttermilch, wie die WHO es empfiehlt. Für Mütter, wie die von der kleinen unterernährten Yar Makoi, ist Deutschland ein reiches Land mit gesunden Kindern und so glaubt sie den Werbeversprechen der Babynahrungsindustrie, dass auch ihre Kinder mit Flaschennahrung und Fertigbreien gesund und prächtig gedeihen – ein fataler Irrtum!
Fakt ist: Heute wie vor 20 Jahren ist es von glücklichen Zufällen, der sozialen Herkunft und der Bildung einer Frau abhängig, ob sie und ihr Kind die Chance erhalten, eine zuversichtliche, eigenständige und zufriedenstellende Stillbeziehung ausleben zu dürfen.
Auch in unserer westlichen Überflussgesellschaft hören anfänglich stillwillige Mütter vor ihrem geplanten Abstillen laut SuSe-Studie auf zu stillen – u.a. weil auch sie der Werbung der Babynahrungsindustrie glauben. Im Nachhinein bleibt dennoch ein fader Beigeschmack, denn auch hiesige Mütter sind mit ihrem Stillergebnis nicht voll zufrieden gewesen, obwohl sie nicht befürchten müssen, dass ihr Baby wie Yar Makoi unterversorgt aufwächst, haben sie überwiegend subjektiv empfundene Hinderungsgründe für längeres Stillen – die es lohnen, näher betrachtet zu werden. Eine effektive Nachsorge verbessert das Stillmanagement; für die Schaffung einer stillfreundlichen Kultur braucht es jedoch die ganze Gesellschaft. Denn wenn wir Mutter und Kind in ihrem Willen zu Stillen nur unzureichend unterstützen, werden beide um das Erlebnis der Stillbeziehung gebracht.
Familien brauchen übereinstimmende und eindeutige Botschaften über das Stillen. Allein deswegen nehmen Information, Ausbildung und Kommunikation eine zentrale Bedeutung bei Aufbau und Pflege einer Stillkultur ein. Frauen brauchen ein Stillbild, welches auf unabhängigem und werbefreiem Wissen beruht. Werdende und junge Eltern brauchen korrekte und umfassende Information zur Säuglingsernährung, um eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können, wie sie ihr Kind ernähren wollen.
Sicher geht es auch hierzulande nicht immer, aber dort, wo es für Mütter möglich ist, ist das Stillen zweifellos die beste Nahrung für ein Kind. Und Mütter, die sich gegen das Stillen entscheiden oder es frühzeitig aus welchen Gründen auch immer beenden, brauchen einen respektvollen Umgang für ihre jeweilig getroffene Entscheidung, denn nur sie kennen ihre individuelle Lebenssituation. Da Familien sich auf vielfältige Weise voneinander unterscheiden und jedes Mutter-Kind-Paar einzigartig ist, brauchen wir eine gesellschaftliche Ausrichtung, die uns befähigt eine verantwortungsvolle Mutterschaft zu gestalten.
Intuitives mütterliches Verhalten wie das Stillen ist in unserem Kulturkreis nicht mehr selbstverständlich. Dadurch brauchen Mütter heute mehr Zeit, um in ihre Mutterrolle hineinzuwachsen und eigene, kreative Lösungen zu finden. Eine breit angelegte Stillförderungskampagne, die die altersentsprechenden Bedürfnisse der Säuglinge und Kleinstkinder in ihren Mittelpunkt stellt, würde allen Müttern helfen und zur globalen Nachhaltigkeit beitragen.
Wie das Stillen eines Kindes im Einzelnen dazu beitragen kann, um die vereinbarten Ziele der Agenda 2030 zu erreichen, hat WABA – World Alliance for Breastfeeding Action – entschlüsselt und dazu entsprechende Antworten formuliert.
Die Redaktion fürKinder hat diese ergänzt um die Vorteile, Handlungsfelder und Verantwortlichkeiten darzustellen.
Ziel 1: Armut in jeder Form und überall beenden
Stillen ist eine natürliche und kostengünstige Ernährungsweise für Säuglinge und Kinder. Muttermilch ist für jeden erschwinglich und keine Belastung für das Haushaltsbudget im Vergleich zu künstlicher Nahrung. Stillen trägt zur Armutsbekämpfung bei.
Allein in Deutschland produzieren die Mütter jährlich 21,3 Millionen Liter Muttermilch im Wert von ca. 1,83 Milliarden Euro. Datengrundlage von 2021, Quelle: Nationale Stillförderung
Ziel 2: Ernährung weltweit sichern
Ausschließliches Stillen und Weiterstillen bis zu zwei Jahren und darüber hinaus, bietet qualitativ hochwertige Nährstoffe und ausreichende Energie und kann Hunger, Unterernährung und Fettleibigkeit verhindern. Stillen bedeutet auch Ernährungssicherheit für Kleinkinder.
Ziel 3: Gesundheit und Wohlergehen
Stillen verbessert signifikant die Gesundheit, Entwicklung und das Überleben von Säuglingen und Kindern. Es trägt auch zur Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens von Müttern bei, sowohl auf kurze als auch auf lange Sicht.
Ziel 4: Hochwertige Bildung weltweit
Stillen und geeignete Beikost bilden die Grundlagen für Lernbereitschaft. Stillen und qualitativ gute ergänzende Nahrungsmittel tragen bedeutsam zur geistigen und kognitiven Entwicklung bei und fördern so das Lernen.
Ziel 5: Gleichstellung von Frauen und Männern
Stillen macht alle gleich und gibt jedem Kind einen fairen und guten Start ins Leben. Stillen ist ein einzigartiges Recht von Frauen und sie sollten von der Gesellschaft unterstützt werden, um bestmöglich zu stillen. Die Stillerfahrung kann befriedigend sein, da die Mutter die Macht und die Kontrolle darüber hat, wie sie ihr Baby ernährt.
Ziel 6: Ausreichend Wasser in bester Qualität
Stillen nach Bedarf bietet einem Baby alle Flüssigkeit, die es braucht – auch bei heißem Wetter. Andererseits ist sauberes Trinkwasser notwendig für die Zubereitung, Hygiene und Reinigung von Muttermilchersatznahrung.
Ziel 7: Bezahlbare und saubere Energie
Stillen verbraucht weniger Energie im Vergleich zur industriell hergestellten Säuglingsmilch. Es reduziert auch den Bedarf an Wasser, Brennholz und fossile Brennstoffe in der Wohnung.
Ziel 8: Nachhaltig wirtschaften als Chance für alle
Stillende Frauen, die von ihrem Arbeitgeber unterstützt werden, sind produktiver und loyaler. Mutterschutz und andere Arbeitsplatzpolitik können Frauen ermöglichen, das Stillen und ihre sonstige Aufgabe oder Beschäftigung zu kombinieren. Eine ordentliche Arbeitsstelle sollte auf die Bedürfnisse der stillenden Frauen eingehen, insbesondere jenen in prekären Situationen.
Ziel 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur
Mit der Industrialisierung und Verstädterung werden die zeitlichen und räumlichen Herausforderungen dringender. Stillende Mütter, die außer Haus arbeiten, müssen diese Herausforderungen bewältigen und durch Arbeitgeber, ihre eigenen Familien und Gemeinden unterstützt werden. Kinderkrippen in der Nähe des Arbeitsplatzes, Stillräume und Stillpausen können einen großen Unterschied ausmachen.
Ziel 10: Weniger Ungleichheiten
Die Stillpraktiken unterscheiden sich rund um den Erdball. Stillen muss geschützt, gefördert und unterstützt werden – vor allem unter den Armen und gefährdete Gruppen. Dies wird dazu beitragen Ungleichheiten zu reduzieren.
Ziel 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden
Im Trubel der Großstädte müssen sich stillende Mütter und ihre Babys in allen öffentlichen Räumen sicher und willkommen fühlen. Von einer Katastrophe und humanitären Krisen sind Frauen und Kinder unverhältnismäßig betroffen. Schwangere und stillende Frauen brauchen besondere Unterstützung in solchen Zeiten.
Ziel 12: Nachhaltig produzieren und konsumieren
Stillen bietet eine gesunde, lebensfähige, umweltverträgliche, intensive ressourcenschonende, nachhaltige und natürliche Ernährungs- und Nahrungsquelle.
Ziel 13: Weltweit Klimaschutz umsetzen
Stillen schützt die Gesundheit und Ernährung von Säuglingen in Zeiten der Not und wetterbedingte Katastrophen durch globale Erwärmung.
Ziel 14: Leben unter Wasser schützen
Stillen bedeutet weniger Müll im Vergleich zu künstlicher Säuglingsnahrung. Industrielle Herstellung und Vertrieb von Babynahrung führt zu Abfall, der die Meere verschmutzt und das Meeresleben beeinflusst.
Ziel 15: Leben an Land
Stillen ist ökologisch im Vergleich zu Ersatznahrung. Die Herstellung bedingt eine Milchwirtschaft, die die natürlichen Ressourcen belastet und zu Kohlenstoffemissionen und Klimawandel beiträgt.
Ziel 16: Starke und transparente Institutionen fördern
Stillen ist in vielen Menschenrechtsabkommen verankert. Nationale Gesetzgebung und Politik zum Schutz und zur Unterstützung stillender Mütter und Babys sind erforderlich, um sicherzustellen, dass ihre Rechte aufrechterhalten werden.
Ziel 17: Globale Partnerschaft
Die Globale Strategie für Säuglings- und Kleinkinderernährung (Young Child Feeding -GSIYCF) fördert sektorübergreifende Zusammenarbeit und kann auf verschiedenen Partnerschaften zur Unterstützung der Entwicklung von Stillprogrammen und -initiativen aufbauen.
Links zum Thema
Baby-Flaschennahrung: „Firmen zielen mit ihrer Werbung auf die Unsicherheiten der Mütter“, Weltweit werden so viele Babys wie nie mit der Flasche ernährt. Forscherin Chantell Witten erklärt, wann das Kindern schaden kann und welche Macht die Hersteller haben, Zeit-online, Interview: Alexandra Endres, 5. Mai 2023
„Förderung des Stillens profitabelste Investition“, Keith Hansen, Vice President for Human Development, Manager der Weltbank, The Lancet, 30.01.2016
Wie stillfreundlich ist Deutschland? Berlin, 5.06.2019
Das internationale Forschungsvorhaben „Becoming Breastfeeding Friendly“ (BBF) gibt konkrete Empfehlungen für Gesundheitswesen, Politik, Medien und Gesellschaft, um das Stillen wirksam, effizient und nachhaltig zu fördern. Das Forschungsvorhaben wird seit 2017 auf Initiative des Bundesernährungsministeriums vom Netzwerk Gesund ins Leben und der Nationalen Stillkommission gemeinsam mit der Universität Yale durchgeführt.
Ergebnisse im PDF-Format
Wie erreicht man alle Eltern? Umgang mit dem Präventionsdilemma, Vortrag: Mechthild Paul, 19.06.2019, Nationales Zentrum Frühe Hilfen, NRW Familienministerin
„Es gibt viele Wege, Leben zu retten, einige davon mit beeindruckenden Technologien. Aber vielleicht haben wir in unserer Anspruchshaltung einen Weg übersehen, um die Unterernährung von Kindern zu lindern, der nachhaltig, skalierbar und kostenlos ist – und der so einfach ist, dass alle hungrigen Neugeborenen danach schreien.“ Nicolas Kristof, A Free Miracle Food, NYT, 7/10/13
Von allen präventiven Maßnahmen hat das Stillen den größten potenziellen Einfluss auf das Überleben von Kindern, doch nur 40% der Babys in den Entwicklungsländern werden ausschließlich gestillt. Praktisch jede Mutter kann stillen, wenn sie angemessene Unterstützung, Ratschläge und Ermutigung sowie praktische Hilfe bei der Lösung von Problemen erhält. Die Stillserie von Global Health Media „zeigt und erzählt“ diese wichtigen Informationen, um dem Gesundheitspersonal und den Müttern zu helfen, weltweit einen größeren Stillerfolg zu erzielen.
Quelle: Global Health Media, 14.04.2021
Das Geschäft mit der Babymilch – wie lange sollten Mütter stillen?
Sechs Monate Stillen sei das Beste, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Woran liegt es, dass Frauen in Deutschland in der Regel deutlich kürzen stillen und früher zu Milchersatzprodukten greifen? Was hält Mütter vom Stillen ab? Die Dokumentation geht auf Spurensuche, die im Kreißsaal beginnt. Es geht um ein hochsensibles Thema: die Ernährung der ganz Kleinen.
Quelle: ARD Mediathek, SWR, 11.05.2022