Neben den Störungen der kognitiven Entwicklung und dem Suchtpotenzial greift der frühe und häufige Umgang mit der Bilderwelt der digitalen Medien in den Bereich der sozialen Entwicklung und der Selbstkontrolle ein.
Vom ichbezogenen Denken
zum Spiel mit anderen Kindern
Das soziale Denken und Verstehen ist in der Vorschulzeit erst im Aufbau, so dass Störungen von außen langfristige Folgen haben können. Dieser Aufbau verläuft über vorgegebene Reifungsschritte, die an folgenden Merkmalen zu erkennen sind:
In den ersten zwei Jahren läuft das soziale Handeln nur über die Gefühlsansteckung. Erst zwischen 2 und 3 Jahren kommt die Kognition dazu. Es ist die Zeit, wo sich das ichbezogene Denken aufgliedert und die Kinder mühsam lernen, sich in den anderen hinein zu versetzen. Das Denken ist am Anfang total ichbezogen und die Gefühlsansteckung hilft dem Kind, hin und wieder doch sozial zu handeln.
Mit ca. 3 Jahren wird die Gefühlsansteckung durch das beginnende soziale Denken und Verstehen ergänzt. Dann wird das Spiel mit anderen Kindern besonders wichtig, weil das soziale Lernen am Beginn über das bewusste gemeinsame Spiel in Gang kommt: Beim Rollenspiel schlüpfen die Kinder in verschiedene Rollen und üben dabei unbewusst, sich in die andere Rolle hinein zu versetzen. So sind sie immer aktiv, laufen und springen herum, bewegen Spielsachen und reden ununterbrochen. Das ist die natürliche Form des sozialen Lernens, die bei allen Kinder auf der Welt von ganz allein funktioniert.
Soziale Kompetenzen beim gemeinsamen Spiel erlernen
Auch die sprachliche und die kognitive Entwicklung wird durch diese Spiele vorangetrieben. Das soziale Lernen im Spiel passiert unbewusst. Den Kindern ist anfangs nur bewusst, dass sie spielen, aber sie reflektieren den Inhalt des Spiels nicht, sondern handeln spontan. Das trainiert den Kopf und ist der Vorlauf zum Bewusstwerden der sozialen Interaktion im Spiel. Über das unbewusst gesteuerte Handeln wird mit der Zeit begriffen, um was es genau geht. Erst danach wird es bewusst, man kann darüber nachdenken und sprechen.
Kinder können bis ins Grundschulalter hinein (besonders Jungen) häufig nicht über soziale Situationen reden. Erst ab sechs Jahren gelingt das den meisten Kindern. Sie verhalten sich dann von sich aus sozial (sie teilen dann z.B, weil sie die Bedürfnisse des anderen verstehen können) und sind oft erstaunt über ihre sozialen Gefühle (sie berichten nachdenklich darüber, also nicht loberheischend wie vorher).
Die Selbstkontrolle als wichtiger Aspekt des sozialen Lernens ist ebenso auf die direkte Gruppeninteraktion angewiesen. Diese wichtige Fähigkeit wird in der Vorschulzeit ab dem 4. Lebensjahr möglich, wenn die Kinder immer wieder beim gemeinsamen Spielen, Singen und Basteln lernen, auf andere Rücksicht zu nehmen, sich also selbst zu kontrollieren. Diese Entwicklung dauert mehr als drei Jahre. Sie muss auch noch im Grundschulalter immer wieder durch das gemeinsame Spiel trainiert werden, um sich zu stabilisieren.
Digitale Medien stören Lernprozesse nachhaltig
Für die Kinder ist der geschilderte schwierige soziale Lernprozess kein Problem, wenn sie ihrem spontanen Spieltrieb nachgehen können. Deshalb sollten nur notwendige Unterbrechungen im Tagesablauf das Spiel beenden. Bildungseinheiten mit digitalen Medien gehören nicht zu den Notwendigkeiten. Sie beschleunigen weder den sozialen noch den kognitiven Lernprozess, sondern stören Lernprozesse nachhaltig. Alle hier beschriebenen wichtigen Lernprozesse können nicht ohne Einschränkungen stattfinden, wenn Kinder sich schon früh und langzeitig mit digitalen Medien beschäftigen.
Was bedeutet das für den Einsatz in Kitas? Es gibt keinen den Kindern nutzenden Grund, in der Kita digitale Medien einzusetzen. Auch die als „Haus der kleinen Forscher“ hervorgehobenen mit digitalen Medien arbeitenden Kitas – mit ihren begrenzten Medienzeiten – ziehen diese von den entwicklungsfördernden Aktivitäten der Kinder ab. Hinzu kommt, dass Aktionen mit digitalen Medien die meisten Kinder faszinieren, so dass sie davon ferngehalten werden müssten. Des weiteren kann von Vorschulkindern noch kein realistisches Verständnis für ihre Umwelt erwartet werden.
Bis ins sechste Lebensjahr hinein ist die logische Denkweise noch nicht voll ausgebildet (Piaget 1984, S. 157f.). Die Vorschulkinder sind dementsprechend neurobiologisch noch gar nicht in der Lage, Medienkompetenz zu entwickeln. Dies wurde auf dem Kongress des DIJ am 28.01.2016 in München, „Tablets in Kinderhand“, auch sehr eindrucksvoll mit einer Studie zur Medienaneignung Zwei- bis Sechsjähriger bestätigt. Die Kinder unter 6 Jahren konnten mit den digital dargestellten Situationen nichts anfangen; sie suchten fortwährend nach wirklichen Objekten.
„Lernen ist Erfahrung – alles andere ist Information“, Albert Einstein
Die Befürchtung mancher Erziehenden, dass die Kinder den Anschluss an das digitale Zeitalter verlieren, wenn sie nicht früh den Umgang mit digitalen Medien lernen, ist unbegründet. Die Kinder lernen dies sehr schnell, wenn ihr Gehirn weit genug ausgereift ist. Das ist frühestens zum Ende des Grundschulalters der Fall. Deshalb empfehlen alle wirtschaftsunabhängigen Experten, Kindern erst mit 12 Jahren digitale Medien selbstverantwortlich zu überlassen.
Bei zu frühem und langzeitigem Medienkonsum besteht die Gefahr, dass die Schlüsselqualifikationen, die für die Beherrschung der digitalen Medien gebraucht werden, sich nicht entwickeln können (Teuchert-Noodt 2017). Wenn es Eltern gelingt, in den ersten zehn Jahren die kindlichen Entwicklungsbedürfnisse nach Bewegung und Erforschung der realen Welt zu beachten, können Kinder zu medien-kompetenten Nutzern der digitalen Welt werden.
Eltern müssten sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein
Das bedeutet, in Kitas sollten keine digitalen Medien eingesetzt werden. Da sich derzeit die ganze Gesellschaft in einem Rausch der digitalen Möglichkeiten befindet, ist es jedoch schwer, die Kinder davor zu schützen. Kitas können zwar digitale Medien verbannen, es bleibt jedoch der starke Einfluss durch die Eltern. Hier könnten ErzieherInnen einen Elternabend nutzen, um die Problematik zu vermitteln. Eltern müssten sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Wenn sie selbst ständig das Smartphone in der Hand haben, können sie dies den Kindern nicht ausreden. Dann sind sie unglaubwürdig und die Kinder lernen, dass das Smartphone einen besonderen Wert hat.
Es gibt inzwischen viele kleinere Studien zum Thema, wie Eltern damit umgehen könnten. Bei drei dieser Studien kam heraus, dass über das gemeinsame Hantieren mit digitalen Medien die Kontrolle der Eltern am besten funktioniert (Festl & Langmeyer 2018). Das bedeutet, Eltern sollten immer nur kurz dem Kind auf dem digitalen Medium etwas zeigen; das Gerät jedoch nicht aus der Hand geben. Dann bekommen Kinder ein Gefühl dafür, dass dieses Ding nur für Erwachsene ist. Es bleibt dabei wichtig, im Alltag das begehrte Objekt aus dem Blickfeld der Kinder zu nehmen.
von Erika Butzmann
Links zum Thema
Was macht die Digitalisierung mit unseren Kleinstkindern ?
Reset für ein Kindergehirn: Der Mehrwert der bildschirmfreien Zeit, 20. Oktober 2019
Kindheit und Jugend im digitalen Zeitalter, „Jedes 2. Neugeborene hat schon vor der Geburt einen digitalen Fussabdruck“, Meinungsforschungsinstitut Appinio in Zusammenarbeit mit der Kartenmacherei, 2021
Nutzung von Smartphones: Gravierende Folgen für die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, Stern-online, 16.5.2020
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Quellen
siehe Beitrag: Was macht die Digitalisierung mit unseren Schulkindern?