Vor einigen Tagen waren Freunde mit ihrem knapp zweijährigen Kind bei uns zu Besuch. Das Kind saß auf seinem Hochstuhl mit uns beim Essen, dann drehte es den Kopf zur Seite und wandte seinen Blick hin zu einer buntbemalten Uhr, die bei uns auf einem Bücherregal steht und an deren Sekundenzeiger eine kleine Biene befestigt ist, die dort unablässig ihre Runden dreht. Die Biene selbst ist nicht einmal einen Zentimeter groß, aber sie und ihre unablässige Bewegung stießen bei dem kleinen Jungen auf große Aufmerksamkeit.
Es ist wunderbar zu beobachten, wie gerade die winzigen Dinge bei den noch ganz Kleinen auf Interesse und Resonanz stoßen, in einer Welt, die oft genug vom Lauten und Aufdringlichen beherrscht wird. Eine Welt voller Gegenstände, die sich dem Betrachter – meistens, um konsumiert und gekauft zu werden – förmlich aufdrängen.
Kinder, die beim Betrachten ihrer nächsten Umgebung, die mit ihrer Neugierde und mit ihrem unverstellten Blick in Ruhe gelassen werden, behalten ihr Interesse für die kleinen Dinge ein Leben lang. Aber nur, wenn sie das uns Erwachsenen oft Unscheinbare selbst entdecken dürfen. Dazu brauchen sie keine wohlmeinenden Ratschläge. Die Welt für sich zu entdecken, das können sie von Geburt an von ganz allein.
Und auf ebensolche Weise fasziniert das Kind, das mit seinen Eltern auf der Flucht vor Krieg und Zerstörung ist, der Vogel, der plötzlich vor ihm auffliegt und dann in der Ferne langsam verschwindet. Es sieht ihm nach. Vielleicht hin zu einem Ort, denkt das Kind, wo es in Frieden und Ruhe mit seiner Familie leben kann. Man braucht ihm diesen Vogel nicht zu zeigen, es sieht und empfängt seine Botschaft ganz von selbst.
von Claus Koch
Quelle
Ersterscheinung im Pädagogischen Institut Berlin, 2022