Wie Beziehungserfahrungen wirken 1 - Foto © Kerstin Pukall Der Säugling nimmt schon früh die unterschiedliche Beziehungserfahrung wahr, in sein Bewusstsein kommt dies jedoch erst später. Aus einer Langzeitstudie geht hervor, dass das im Kindesalter von zehn Jahren erhobene innere Modell zwischenmenschlicher Bindung durch unterschiedliche Eigenschaften von Mutter und Vater gefördert wurde. So führen die unterschiedlichen Fähigkeiten von Frauen und Männern zu unterschiedlichen Einflüssen auf die Entwicklung des Kindes.


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Die frühe Fürsorgearbeit mit dem Baby ist für Väter ein Lernprozess, da sie nicht über den Müttern zur Verfügung stehenden hormonellen Zuwendungsantrieb verfügen. In den Situationen, wo die Mutter aufgrund von psychischen Problemen keinen Zugang zum Kind findet und der Vater in der Lage ist, sich auf das Kind einzulassen, wird sich das Kind ihm vollkommen zuwenden und eine Primärbindung an ihn entwickeln. Ansonsten entwickelt sich die Bindung zwischen Vater und Kind in erster Linie über die Spieltätigkeit und die Förderung der Erkundungen des Kindes, wie dies alle bisherigen Studienergebnisse nahelegen.[1,2,3]

Kinder haben zudem ihre eigenen Bedürfnisse, die eine Versorgung im ersten Lebensjahr durch den Vater erschweren kann.

Wenn die Mutter zur Verfügung steht und sich einfühlsam auf das Kind einlässt, hat der Vater während der Hauptbindungsphase an die Mutter in den ersten 12 bis 18 Monaten weniger Chancen, sich um das Kind zu kümmern.

Das gelingt ihm meistens nur dann, wenn die Mutter abwesend ist. Kommt sie zurück, ist das Kind häufig wieder ganz auf sie fixiert.

Die derzeitige gesellschaftliche Forderung, die Väter sollen sich an der Fürsorge der Kinder von Anfang an gleichberechtigt beteiligen, ist abhängig von mehreren Unwägbarkeiten, so dass diese allgemeine positive Annahme über Fürsorgearbeit bereits im ersten Lebensjahr zusätzlichen Stress für Väter und Kinder bedeuten kann. Zu welch dramatischer Ausprägung das führen kann, zeigt das nachfolgende Beispiel aus der Beratung:

Papa oder doch Mama?

Wie Beziehungserfahrungen wirken 2 - Photocase © Paulo SousaDie Betreuung durch den Vater hat ein paar Wochen erstaunlich gut geklappt bei dem knapp einjährigen Kind. Es ist sogar beim Papa auf der Brust eingeschlafen. Dann ging es irgendwie nicht mehr. Die Eltern haben alles genauso gemacht wie vorher, aber das Kind hat wahnsinnig geschrien, als es dann wieder mit dem Papa allein war. Es hat jeden Raum abgesucht, um die Mutter zu finden und war total aufgelöst bis die Mutter zurückkam. Seit dem Vorfall will es gar nicht mehr zum Papa. Sobald er das Kind hochnimmt und die Mutter aus dem Sichtfeld ist, weint es bitterlich.

Hier wäre es notwendig, dass die Mutter vorübergehend die Versorgung des Kindes wieder voll übernimmt, denn das einjährige Kind steckt in der intensivsten Bindungsphase an die Mutter. Vermutlich hat das Kind durch einen Entwicklungsschub plötzlich die Trennung von der Mutter bemerkt, so dass es in Panik geriet. Vorher befand es sich wahrscheinlich in einem allumfassenden ‚ozeanischen Gefühl‘ [4], so dass es sich auch beim Vater wohlfühlte.

von Erika Butzmann

Literaturverzeichnis

[1] Grossmann, K., Grossmann, K. E.: Die psychische Sicherheit in Bindungsbeziehungen, Familiendynamik 33, 2008, S. 231-259.

[2] Strüber, N.: Die erste Bindung. Wie Eltern die Entwicklung des kindlichen Gehirns prägen, Stuttgart: Klett-Cotta, 2016.

[3] Kindler, H.: Väter und Kinder. Langzeitstudien über väterliche Fürsorge und sozioemotionale Entwicklung von Kindern, Weinheim: Juventa, 2002.

[4] Freud, S.: Das Unbehagen in der Kultur, Wien: Internationaler psychoanalytischer Verlag, 1930.

Ein Beitrag aus unserer Praxis-Rubrik:

FamilieLeben – besser verstehen


Sind Eltern zufrieden und glücklich entwickeln sich ihre Kinder zu kleinen Persönlichkeiten mit einer großen Portion gesundem Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Doch was brauchen Familien, damit Spannungen und Konflikte gar nicht erst aufkommen und wie gestalten sie ihre Beziehung und erhalten sie aufrecht? Was wäre nötig, damit Väter selbstbewusst die Vaterrolle annehmen, die Verteilung der Familienarbeit gerecht aufgeteilt ist und die Unstimmigkeiten im Hinblick auf die Kindererziehung nicht ständig Thema sind. Kann Familie gelingen, wenn das geschlechtsspezifische Denken, Wahrnehmen und Verhalten im täglichen Umgang miteinander berücksichtigt wird?