Thomas Tränen beim Wiedersehen - Foto iStock © RadistDer 5-jährige Thomas ist an vielen Tagen der Woche bis etwa 16:00 Uhr bei einer Tagesmutter. Thomas und die Tagesmutter kennen sich seit Langem und sind in vertrauter und guter Beziehung. Trotzdem spielt sich an vielen Tagen der Woche immer wieder eine ähnliche Situation ab. Nach der Mittagspause fragt Thomas regelmäßig nach, wie spät es ist und ob es noch lange dauert, bis die Mutter kommt. Bei jedem Autogeräusch horcht Thomas auf, manchmal rennt er sogar an die Haustür. Er spielt nur noch unkonzentriert und wie abwesend. Beim Erscheinen der Mutter bricht Thomas häufig in Tränen aus.

Erst nach mehreren solcher Ereignisse beginnt die Mutter zu begreifen, warum Thomas in diesen Abholsituationen weint – und ihr beim Wiedersehen nicht mit einem strahlenden Gesicht um den Hals fällt. Sie versteht immer mehr, dass Thomas nicht mehr kann. Bis zu diesem Moment hat er offensichtlich alles gegeben, was er geben konnte, um sich zu beherrschen (er hat mit der Tagesmutter kooperiert). Aber eigentlich ist er schon seit einer Stunde nicht mehr gut in der Lage, sich hier in dieser für ihn „fremden" Umgebung wohlzufühlen. Jetzt kann er endlich zeigen, wie es ihm wirklich geht. Er ist erschöpft von der langen Zeit ohne Mutter.

Kita und Hort sind zunächst und primär als notwendige und hilfreiche Einrichtungen für die Eltern konzipiert, in dieser ganztägigen Form jedoch nicht entworfen, um dem Kindeswohl zu „dienen". Kinder müssen sich mit diesen Realitäten arrangieren: Einigen gelingt dies gut, sie sind gerne lange in der Kita und fühlen sich dort wohl. Andere tun sich schwer damit, sie blieben lieber ganz zu Hause oder würden sich wünschen, deutlich früher abgeholt zu werden.

Wenn Eltern merken, dass sich ihr Kind nicht wohlfühlt, sollten sie versuchen herauszufinden, warum dies so ist. Und miteinander überlegen, wie die Situation so gestaltet werden kann, dass es ihrem Kind (wieder) besser geht.

Bei Thomas haben die Eltern realisiert, wie anstrengend diese Zeiten bei der Tagesmutter für ihn offensichtlich sind. Sie überlegen gemeinsam, ob und wie sie diese Zeiten für Thomas reduzieren können.

Ein Beitrag aus unserer Praxis-Rubrik:

KinderLeben – besser verstehen


Immer mehr Kinder verbringen lange Tage in Krippe und Kita – doch was passiert, wenn diese Betreuung zur Überforderung wird? Kinder zeigen Belastung nicht mit Worten, sondern durch ihr Verhalten: Unruhe, Rückzug, Wutanfälle oder Schlafprobleme sind nur einige der möglichen Reaktionen. Aus der Praxis von Kindertherapeut:innen, Erzieher:innen, Müttern, Tagesmüttern und Erziehungsberater:innen wird deutlich, wie Kinder auf zu frühe oder zu intensive Betreuung reagieren. Die Fallbeispiele zeigen: Wenn Kinder im Verhalten „auffällig" werden, ist das oft ein stiller Hilferuf.

Prof. Dr. Hannsjörg Bachmann und Dr. Eva-Mareile Bachmann greifen dieses Thema in ihrem Buch „Familien leben – Wie Kinder und Eltern gemeinsam wachsen" auf. Sie zeigen konkret, wie Eltern Belastungen erkennen und ihrem Kind wieder Sicherheit geben können. Den oben genannten Hilferuf von Thomas finden Sie auf den Seiten 341–342. Lesen Sie hier die Rezension zum Buch „Familien leben".