Beschämung - wenn die Würde fehlt - Foto AdobeStock © Natal.is

Wer hat es seinem Kind nicht auch schon gesagt, aus Empörung, Ärger oder weil man sich im Grunde genommen selbst geschämt hat? „Schäm dich!“

Als Kind habe ich mich immer gefragt, was man denn eigentlich genau tun muss, wenn man sich schämen soll … Weil ich als die Jüngste in unserer Familie mehr kaputte Hosen und Knie nach Hause brachte als meine beiden Brüder zusammen (laut meiner Mama), sollte ich mich öfters mal schämen. Schließlich sei ich doch ein Mädchen …

Da meine Mama diese „schäm dich“ Aussage immer mit einer Prise Humor und theatralisch verdrehten Augen äußerte, nahm ich sie nicht wirklich ernst und so hielten sich auch meine Studien dazu, was man denn jetzt genau tun sollte, in Grenzen.

Als wir Jahre später mit unseren Kindern die Fernsehserie Unsere kleine Farm, welche um die Jahrhundertwende im Westen von Amerika spielt, schauten, da ging mir ein Licht auf: Wenn Willy, der Sohn des Krämers, Dummheiten gemacht hatte, musste er jeweils in der Ecke stehen, Gesicht zur Wand. Das also tut man, wenn man sich schämt.

Beschämt zu werden, beschädigt die Würde des Kindes

Ob das nun pädagogisch wertvoll ist oder nicht, darüber brauchen wir hoffentlich nicht zu diskutieren. Und ich gehe schwer davon aus, dass sich heute kein Kind mehr in die Ecke stellen muss.

Doch ebenso sicher bin ich mir, dass Beschämung nach wie vor in unserer Kindererziehung zu finden ist.

Du benimmst dich ja wie ein Kleinkind.

Jetzt heul doch nicht rum wie ein Baby.

Mach doch nicht so ein Theater, ist doch nichts dabei.

Schäm dich! So was tut / sagt man nicht!

Warum sagen wir als Eltern solche Sätze, die wir meist ja selber nicht nett finden?

Ich denke, es hat ganz oft etwas mit unserem eigenen Wohlergehen zu tun. Sind wir ausgeglichen und ausgeschlafen, kommen wir viel besser mit einem schreienden oder weinenden Schulkind zurecht oder mit einem Kind, das sich partout beim Kinderarzt nicht in den Finger piksen lassen will …

Anders sieht es aus, wenn unser Nervenkostüm sehr schwach ist, aus welchem Grund auch immer. Dann kann einem ein Kind, dass sich weigert, den Finger für den Piks hinzuhalten, den Rest geben. Vielleicht fühlt man sich selbst machtlos und bloßgestellt. (Was ist denn das für eine Mutter, die hat wohl ihr Kind nicht im Griff!)

Eine beschämende Aussage wie oben ist dann das letzte Druckmittel, um das gewünschte Verhalten zu erzwingen; und sie kann auch ein Ventil für den eigenen Frust sein.

Was beschämende Aussagen mit den Kindern machen, das schauen wir beim nächsten Beitrag an. Für heute noch ein kleiner Wegweiser für Stresssituationen:

Oft kann es für alle Beteiligten die Situation entschärfen, wenn man den ganzen Frust in Worte fast und die heftigen Gefühle des Kindes spiegelt. Oftmals braucht es gar nicht viel mehr, als dem Kind damit zu zeigen, dass wir sie sehen und sie ernst nehmen. Denn gesehen und ernst genommen werden, das wollen wir ja alle, vor allem dann, wenn wir in Aufruhr und Not sind, oder?

Ihre Angela Indermaur

Ein Beitrag aus unserer Kolumne:

Menschen(s)kinder


Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In unserer Kolumne geht die zert. Neufeld-Kursleiterin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?