Bindungswurzeln - Foto iStock © grkiObwohl ich keinen grünen Daumen habe (dafür habe ich ja einen Gärtner geheiratet 😉), habe ich mit meinen Kindern das eine oder andere Garten-Experiment gemacht. Ab und zu haben wir etwas ausgesät und dann gespannt gewartet, ob da auch wirklich etwas wächst. Bei Kresse ist das noch einfach und erfordert nicht so viel Geduld. Ganz anders war es, als wir Karotten ausgesät haben. Da kam unser Sohn plötzlich ganz begeistert mit einer 2 cm Mini-Karotte daher. Er zeigte uns voller Freude, was da gewachsen ist und konnte nicht wirklich nachvollziehen, warum wir nicht so begeistert reagierten.

Nun es war an der Zeit, dass der Junge lernte, dass gewisse Dinge Zeit brauchen, und dass sie nicht schneller wachsen, wenn wir daran ziehen. Eine Lektion die, so scheint es mir, manch Erwachsener noch nicht verinnerlicht hat … Denn im Grunde genommen verhält es sich mit Kindern ähnlich wie mit Karotten. Sie brauchen Zeit und gute Bedingungen zum Reifen. Und sie reifen nicht schneller, wenn wir daran ziehen. Auch wenn wir so manches Mal in der Versuchung stehen, da ein bisschen nachzuhelfen.

Zeit ist das eine, die guten Bedingungen das andere. Was bei Karotten Sonnenlicht, Wasser und gute Erde sind, sind bei Kindern weiche Herzen, viel Spiel und ein sicherer Ort.

Mit einem sicheren Ort meine ich nicht unbedingt ein Haus, obwohl das auch nicht unwichtig ist. Viel mehr meine ich damit aber eine Beziehung: eine fürsorgliche erwachsene Person (meistens die Eltern), von der man sich bedingungslos angenommen und geliebt fühlt. Eine Person von der man die (nonverbale) Botschaft bekommt: „Du bist herzlich willkommen in meiner Gegenwart!“.

Diese Beziehung schafft den Rahmen für die anderen beiden Bedingungen. Sie ist der Ort, wo Herzen weich werden können, wo Tränen fließen dürfen und sich aus echter Trauer Resilienz entwickeln kann. Eine solche Beziehung schafft Ruhe im Bindungsgehirn, was wiederum den Raum für echtes Spiel öffnet. Echtes Spiel und weiche Herzen gehen sozusagen Hand in Hand.

Kinder brauchen weiche Herzen, viel Spiel und einen sicheren Ort.

Diese drei Dinge sind die Bedingungen, die ein Kind zum Reifen braucht. Das Kind wird tiefere Bindungswurzeln entwickeln und somit mehr und mehr in der Lage sein, innerlich festzuhalten bei Trennung. Und wir können uns mit etwas Vertrauen in diesen Prozess eine Menge Stress ersparen.

Ihre Angela Indermaur

Ein Beitrag aus unserer Kolumne:

Menschen(s)kinder


Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In einer regelmäßig erscheinenden 14-tägigen Kolumne geht unsere Kolumnistin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?