„Ständig haben wir ein riesiges Theater mit viel Geschrei am Esstisch, meine knapp 2-Jährige will unbedingt mit der Gabel essen. Wenn es ihr dann nicht sofort gelingt, schmeißt sie die Gabel von sich und schreit.“
Die Mutter dieses impulsiven Mädchens ist ziemlich verzweifelt, sie möchte endlich wieder einmal in Ruhe das Essen genießen, aber daran ist im Moment nicht zu denken.
Auf die Beschreibung der Situation kommt schnell einmal die Frage, was sie denn jetzt tun soll?
Nun, das Kindchen ist knapp 2, also möchte sie im Moment ihren Eltern möglichst gleich sein, sie nachahmen. Das ist ihre Art, wie sie sich bindet, wie sie Nähe erlebt.
Aus diesem Grund entstand der Wunsch, auch mit der Gabel zu essen, wie Mama und Papa. Funktioniert es nicht, bedeutet das, »nicht gleich sein können« also Trennung! Und das ist äußerst frustrierend! Aus dieser Perspektive ist es also verständlich, dass das Kind die Gabel von sich schmeißt und ihrem Frust Ausdruck verleiht. Dies zu verbieten würde nur zu noch mehr Frustration führen.
Deshalb riet ich den Eltern, ihr zu zeigen, dass auch bei ihnen nicht immer gleich alles funktioniert. Und dass es normal ist, dass zwischendurch eine »freche Nudel« von der Gabel fällt, oder sich das Salatblatt heute einfach nicht aufspießen lassen möchte.
Und sollte der Frust dann doch wieder einmal so groß sein, dass die Gabel fliegt und das Kind schreit, dann braucht es liebevollen Trost und die Rückkehr zur 1. Bindungsstufe: in diesem Fall Körperkontakt. Dann weiß das Gehirn, es ist alles ok, meine Mama oder mein Papa sind mir ganz nah.
Einige Tage später meldete sich die Mutter wieder, mit der frohen Botschaft, dass am Familientisch mehrheitlich Ruhe einkehrt sei. Ab und zu müssten sie alle lachen wegen einer »frechen Nudel« und hin und wieder brauche das Kindchen den liebevollen Trost der Eltern.
Was hab ich mich gefreut über diese »Erfolgsstory«!
Ihre Angela Indermaur
Ein Beitrag aus unserer Kolumne:
Menschen(s)kinder
Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In einer regelmäßig erscheinenden 14-tägigen Kolumne geht unsere Kolumnistin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?