Kürzlich erzählte mir wieder einmal eine Mutter, dass ihr Kind ab und zu einfach den Fernseher „brauche“ um „runterzukommen“: „Wenn mein Kind vom Kindergarten, oder von einem Spieldate bei einem anderen Kind nach Hause kommt, ist es meist so aufgedreht oder auch so voller Frust, dass nur noch das Fernsehen hilft, um wieder runterzukommen.“
Ich habe das Gefühl, solche Aussagen häufen sich in letzter Zeit und ehrlich gesagt, es gibt mir zu denken. Besonders dann, wenn es sich um zwei bis dreijährige Kinder handelt.
Natürlich, ab und zu den Fernseher als Notlösung zu benutzen, ist immer noch besser, als eine Situation eskalieren zu lassen. Doch wir sollten uns bewusst sein, dass wir unserem Kind damit auch beibringen, sich über Fernsehen zu regulieren. Oder schlimmer noch, dass das Kind mit dem Fernsehen seine Emotionen betäubt, statt sie auszudrücken und zu fühlen.
Dies wäre nämlich der Schlüssel im Umgang mit disregulierten, aufgewühlten Kindern:
Kindern, denen wir die Möglichkeit geben, ihre Emotionen auf nicht nachteilige Weise auszudrücken, können sie auch fühlen und im Anschluss regulieren.
Dies bedeutet, dass das Kind, welches so voller Frust aus dem Kindergarten kommt, erst mal eine Möglichkeit braucht, die Energie, die darin steckt, loszuwerden.
Wenn Kinder Frust schieben, brauchen ihre Gefühle Freiraum
Dies kann es durch ein paar Sprünge auf dem Trampolin, indem es ein paar Fußbälle ins Tor bolzt oder Schimpfwörter in die Toilette schreit, etc. Wenn wir als Eltern dann in Worte fassen, was wir wahrnehmen, helfen wir dem Kind, das was in seinem Inneren tobt, zu benennen und zu fühlen. Also zum Beispiel: „Oh ich sehe, das war ein intensiver und strenger Vormittag. Hat dich vielleicht auch etwas traurig gemacht?“.
Wenn die Gefühle jetzt immer noch sehr stark und intensiv sind, braucht das Kind vielleicht Hilfe, um sich zu regulieren. Statt es vor den Fernseher zu setzen, könnten wir es ermutigen, etwas zu malen oder sich in der Kuschelecke ein paar Minuten einzumummeln. Kleinere Kinder brauchen ihre Eltern dabei vielleicht noch mehr. Gemeinsam ein Bilderbuch anschauen oder ein körperbetontes Spiel spielen, kann hier helfen. Ich fragte meine Kinder manchmal: „Brauchst du einen Knuddel?“ Sehr oft antworteten sie mit: „Jaaaa, Mami, unbedingt!“
All diese Dinge und natürlich noch viel mehr sind Werkzeuge, die wir unseren Kindern somit schon früh mit auf den Weg geben. Werkzeuge, die ihnen auch später helfen, sich selbst bei Stress, Frust & Co zu regulieren, statt sich einfach zuzudröhnen.
Es wird eine Zeit kommen, spätestens in der Pubertät, in der die Versuchung, sich abzulenken und zuzudröhnen mittels Medien (und anderem …) riesig wird. Und wenn unsere Jugendlichen nichts anderes kennen, als ihre intensiven Gefühle mittels Medien „wegzumachen“, dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn sie genau dies tun.
Deshalb möchte ich Sie ermutigen, ihren Kindern eine breite Palette an Möglichkeiten, wie man Emotionen ausdrücken und regulieren kann, mit auf den Weg zu geben.
Dass Medien manchmal eine Notlösung sein können, das werden sie so oder so noch früh genug selbst entdecken.
Ihre Angela Indermaur
Ein Beitrag aus unserer Kolumne:
Menschen(s)kinder
Uns beschäftigen aktuell öffentlich diskutierte Themen rund um den Erziehungsalltag genauso wie das gesunde Aufwachsen der Kinder und die notwendigen Bedingungen für die optimale Entwicklung ihrer je besonderen Persönlichkeit. In einer regelmäßig erscheinenden 14-tägigen Kolumne geht unsere Kolumnistin Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?